f Chantal Akerman Quelle DIFDas Kino von Chantal Akerman. Auftakt der Veranstaltungsreihe im Rahmen von LECTURE & FILM am Donnerstag, 25. Oktober

Siegrid Püschel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit Jean-Luc Godard wird das Kino historisch, mit Chantal Akerman fängt es neu an: Das Werk der belgischen Regisseurin, Installationskünstlerin und Schriftstellerin Chantal Akerman (1950 – 2015) ist eine ausführliche und vielgestaltige Antwort auf die Frage, was im Kino möglich ist – jenseits der männlich geprägten Helden-Geschichten von D. W. Griffith bis Alfred Hitchcock. Akermans Filme, wie JEANNE DIELMAN, 23 QUAI DU COMMERCE, 1080 BRUXELLES, JE TU IL ELLE, D’EST oder LA CAPTIVE, sind im Kino ohne Vorbild und prägen mit ihrer bahnbrechenden feministischen Sichtweise die Ausdrucksmöglichkeiten des Films.

Akermans Ästhetik der Alltagserfahrung, ihr Überschreiten der Genregrenzen zwischen Spielfilm, Dokumentar- und Experimentalfilm, ihr Sinn für Dauer und Zeiterfahrung jenseits der Stechuhr-Dramaturgie des herkömmlichen Spielfilms machen sie zu einer Neuerfinderin der Formen des Kinos. Zugleich ist Akerman seit den 1970er Jahren eine Pionierin der filmischen Installation, mehr als zwei Jahrzehnte, bevor diese Form im Kunstbetrieb dominant wird. Als Tochter von Holocaust-Überlebenden ist Chantal Akerman zudem eine singuläre Zeitzeugin der historischen Brüche und Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Die Auseinandersetzung mit jüdischem Leben durchzieht ihre Filme auf vielfältige und subtil reflektierende Weise. Immer wieder umkreist Akermans Schaffen besonders die Beziehung zu ihrer Mutter und die Frage der Familienzugehörigkeit. Wie kaum einer Regisseurin zuvor gelingt es ihr, autobiographisches Material zum Stoff des Kinos zu machen.

Mit diesem bedeutenden Lebenswerk befassen sich in der Lecture & Film-Reihe „Die Erfinderin der Formen. Das Kino von Chantal Akerman“ neben Weggefährt/innen wie Babette Mangolte, Eric de Kuyper und Claire Atherton auch Kuratoren und Filmwissenschaftler/innen darunter Tim Griffin, Ivone Margulies, Alisa Lebow, Patricia White und Laliv Melamed.



Donnerstag, 25. Oktober, 20:15 Uhr
Das Melodrama des kolonialen Wahns: Zu LA FOLIE ALMAYER
Lecture von Prof. Vinzenz Hediger (Frankfurt)
in deutscher Sprache

Ein Merkmal von Chantal Akermans Werk besteht darin, dass sie Formen findet, die einen Zusammenhang zwischen der Intimität der Autobiographie und der Erfahrung von Geschichte herstellen. Das gilt auch für ihren zweitletzten Film, LA FOLIE ALMAYER. Ihre Meditation mit melodramatischen Zügen über die Abgründe des kolonialen Wahns transponiert den zugrundeliegenden Roman-Stoff des polnischen Exilanten Joseph Conrad in eine irritierende Gegenwart.

Vinzenz Hediger ist Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, wo er das Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“ (konfigurationen-des-films.de) leitet.

Filmbeginn ca. 21:15 Uhr
LA FOLIE ALMAYER  Almayer’s Folly
Belgien/Frankreich 2011. R: Chantal Akerman. D: Stanislas Merhar, Aurora Marion, Marc Barbé. 127 Min. DCP. OmeU

Der Film beginnt mit einer langen Fahrt hin auf eine Nahaufnahme des Gesichts einer schönen, singenden jungen Frau mit asiatischen Gesichtszügen. Er endet mit einer langen Einstellung des zerwühlten, ja zerstörten Gesichts eines weißen Mannes mittleren Alters: Tochter und Vater, verbunden und voneinander getrennt durch eine Geschichte, die von gescheiterten Träumen von raschem Reichtum und den Fallen des Rassismus handelt. Akerman adaptiert Joseph Conrads Erstling mit Stanislas Merhar in der Titelrolle.

Foto:
©dff-film

Info:
Das vollständige Programm finden Sie unter chantal-akerman.de
Eine Veranstaltungsreihe des Kinos des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums und des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität gemeinsam mit dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und dem DFG-Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“ (konfigurationen-des-films.de)
In Kooperation mit der hessischen Film- und Medienakademie