exground filmfest in Wiesbaden, 16.-25. November, Teil 4
Claudia Schulmerich
Wiesbaden (Weltexpresso) – Unsereiner kennt in erster Linie als philippinischen Filmregisseur Lav Diaz, der auf den letzten Berlinalen einmal einen achtstündigen und ein andermal einen ‚nur‘ vierstündigen Film den verblüfften Kritikern vorführte – außer Konkurrenz, aber immer im Wettbewerb dabei.
Auch in Wiesbaden ist sein Werk dabei, diesmal SEASON OF THE DEVIL (ANG PANAHON NG HALIMAW), was auf der diesjährigen BERLINALE im Wettbewerb gezeigt wurde und sich inhaltlich völlig absetzte von den vorherigen Filmen. Diaz wiederholt sich nicht. Dieser Film führt mitten hinein in die Geschichte des Landes und wird im exground filmfest am Sonntag um 12 Uhr in der Caligari FilmBühne 234 Minuten lang vorgeführt, in der Originalfassung mit englischen Untertiteln.
Er steht in einer ansehnlichen Tradition, denn wie das Filmfest formuliert: „Filmisch sind die Philippinen das mit großem Abstand leistungsstärkste Powerhaus der Region...Die Philippinen gehören zu den ältesten Filmnationen weltweit. Seit nachweislich 100 Jahren produzieren Filipinos nunmehr schon Filme. Heute sind Regisseure wie Lav Diaz, Brillante Mendoza und Khavn De La Cruz international anerkannt und preisgekrönt.“
Lav Diaz ist, das kann man angesichts der Auswahl von philippinischen Filmen erst jetzt erkennen, ist sozusagen der Poet unter den Filmemachern, der die Natur als Metapher nutzt. Denn, was Mikhail Red in NEOMANILA als Eröffnungsfilm bot, ist sozusagen das Gegenteil, die Großstadt in ihren Abgründen, wobei das seit Jahren der Drogenmißbrauch, ihr Gebrauch und vor allem der Drogenhandel ist und dessen Verfolgung ausmacht. Allerdings sind das gewissermaßen Polizeifilme, denn diese spielt die Hauptrolle, weil sich alles um sie dreht. Sie verfolgt nicht nur, sondern sie stiftet auch an, ist also selbst ein Drogendealer sowie diejenige Instanz, die angeblich für Ordnung sorgt. So bringt sie gekonnt, alle gegeneinander auf.
Es herrscht Drogenkrieg. Die Polizei ist diejenige, die offizielle gegen die Drogen, sowohl den Handel, wie den Gebrauch vorgeht, gleichzeitig steckt sie mittendrinnen und spielt die einen gegen die anderen aus. Wir erleben das Geschehen anhand von zwei Personen intensiver mit. Da ist zum einen die Auftragsmörderin Irma ( Eula Valdez ) und zum anderen der Waisenjunge Toto (Timothy Castillo). Sein Bruder Kiko ist im Gefängnis und er weiß, daß er Geld braucht, um ihm zu helfen, denn überall ist Korruption und nichts ist sicher. So wird Toto auch herausfinden, daß es Gangster sind, die es auf ihn abgesehen haben. Erst aber folgen wir dem beängstigenden Leben von Irma, die durch das nächtliche Manila hastet, eine Schießerei nach der anderen, ein Toter nach dem anderen, wobei man nie genau weiß, wer der Übeltäter ist und man durch die Abfolge im Film schon fast die Mörderin Irma als positive Bezugsperson ansieht.
Erst recht, als die Toto nicht umbringt, sondern die Rollen umkehrt und ihn zum Killer ausbilden will. Daß Irma ihre Aufträge von ‚Sarge‘ erhält, einem korrupten Polizisten, macht das Durchschauen nicht einfacher, aber hat man erst einmal das Prinzip erkannt, daß es hier nicht die Guten und die Bösen gibt, sondern alle Menschen in ihrer Situation auf ihr Eigenwohl achten, nur Irma tatsächlich ein persönliches Interesse an Toto gewinnt und ihm hilft, dann erkennt man filmische Absicht.
An einem Beispiel versteht man auch, wenn in der Diskussion nach dem Film Mikhail Red, Drehbuchautor und Regisseur, sagt, weshalb er dies Thema aufgriff, das direkt auf die Politik des gegenwärtigen Präsidenten Ferdinand Duterte Bezug nimmt. Das Beispiel sind die Todeslisten, auf die der Junge angesetzt werden soll. Die gibt es tatsächlich und sind eine der übelsten Tatsachen auf den gegenwärtigen Philippinen. Diese Listen entstehen durch Anzeigen irgendwelcher Leute, die andere des Drogenhandels bezichtigen. Das Unglaubliche ist nun, daß keine Überprüfung stattfindet, also reine Denunziation schon zum Tod führt, denn die Polizei dingt nun selber Mörder, die auf die Personen auf der Liste angesetzt sind und Erfolgshonorar erhalten.
Regisseur Red betonte auch, daß er absichtlich das Geschehen in einem bestimmten Bezirk von Manila, rund um die Polizeistation hat spielen lassen, weil er nur filmisch das wiedergab, was er dort tatsächlich erleben konnte und in Handyaufnahmen festhielt. Eine mörderische Welt, ein mörderisches Perpetuum mobile .
Fotos:
exground filmfest 31 Eröffnung // Opening
Mikhail Red, Regisseur des Eröffnungsfilms NEOMANILA aus den Philippinen
Mikhail Red, director of the opening film NEOMANILA from the Philippines
© Peter Fischer