Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Dezember 2018, Teil 7
Rohena Gera
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In Indien arbeiten 40 Millionen Hausangestellte, meist Frauen, informell und ohne Rechte unter Konditionen,
die moderner Sklaverei gleichkommen. Sie haben weder staatlichen Schutz in Form von Mindestlöhnen oder einer festgelegten Stundenzahl noch ein Recht auf Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung oder irgendeine andere Form von Sozialversicherung. Um es einfach zu sagen: diese Frauen sind voll und ganz abhängig von ihren Arbeitgebern.
Zu ihrer extremen körperlichen und finanziellen Verwundbarkeit kommt hinzu, dass sie täglichen Demütigungen ausgesetzt sind. Sie essen Reste, schlafen auf einer Matte oder auf dem Boden (in der Küche, im Flur oder, wenn sie Glück haben, in einem kleinen Dienstmädchenzimmer),
benutzen separate Gläser, um Wasser zu trinken sowie separate Toiletten (oft eine Gemeinschaftstoilette des Gebäudes, die sie mit den
Chauffeuren teilen).
Was zutiefst beunruhigend ist, ist, dass dies von denprivilegierten Klassen in Indien allgemein als akzeptabel angesehen wird. Dieser Akzeptanz von extremer Ungerechtigkeit liegt ein zutiefst rassistischer und auf dem Kastensystem basierender Denkansatz zugrunde, demzufolge das Hausmädchen als weniger menschlich betrachtet wird. Das erinnert an den Rassismus der USA in den 50er Jahren, wo schwarze Menschen als grundsätzlich minderwertig und andersartig angesehen wurden.
Das ist der Kontext, in dem diese Geschichte spielt. Ratna ist Witwe und Hausangestellte. Aber sie ist kein Opfer.Sie ist eine mutige und hoffnungsvolle Frau, die für ihren Traum kämpft, Modedesignerin zu werden... So unrealistisch das in dieser extremen Klassengesellschaft
auch erscheinen mag. Als Ashwin, ihr Arbeitgeber, mehr über sie erfährt, fi ndet er sie interessant und inspirierend. Aber beide wissen, dass die unsichtbare Mauer zwischen ihnen unüberwindbar ist. Und doch leben sie Seite an Seite, in einem intimen, aber getrennten Raum, in dem zwei völlig unterschiedliche Welten unter einem Dach existieren.
Für die Menschen, die ich in Indien kenne, ist die Vorstellung extrem beunruhigend, dass man sich in seine Hausangestellte verlieben kann. Produzenten, Freunde und Familie haben mir gesagt, dies sei eine unmögliche Geschichte und dass so etwas nie passieren könnte. Dennoch hat keiner eine Antwort auf die Frage: Und warum nicht? Natürlich gibt es Arbeitgeber, die die Verletzlichkeit der Frauen, die für sie arbeiten, ausnutzen
und sie auch sexuell ausbeuten. Aber das ist nicht diese Geschichte. Dies ist die Geschichte einer gegenseitigen, einvernehmlichen Liebe zwischen zwei Erwachsenen und über die Art und Weise, wie selbst die privilegiertesten Menschen von dieser Gesellschaft unterdrückt werden...Und darüber, wie die wichtigsten Dinge ungesagt bleiben.
Wenn das Publikum dank des Films mit diesen beiden Menschen mitfühlen und sie sich als Paar vorstellen kann, dann ist das schon ein wahrer Erfolg, denn es würde helfen, die eigene Vorstellung vom „Anderen“ grundlegend zu verändern.
DIE REGISSEURIN ROHENA GERA des Films DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME
Rohena Gera ist in Indien aufgewachsen und hat in Kalifornien, New York und Paris gelebt. Ausgebildet an der Stanford University (B.A.) in Kalifornien und am Sarah Lawrence College (M.F.A.) in New York, arbeitet Rohena Gera seit fast 20 Jahren im Bereich Film und Fernsehen,
u.a. als Drehbuchautorin, unabhängige Produzentin und Regisseurin. Ihr Film WHAT‘S LOVE GOT TO DO WITH IT?, ein Mikro-Budget-Dokumentarfilm, hat beim Filmfestival in Mumbai 2013 Premiere gefeiert.
Sie produzierte und leitete eine gemeinnützige Kampagne namens „Stop the Hatred“, um den Kommunalismus zu bekämpfen. Diese wurde von vielen indischen Prominenten unterstützt und in 240 Kinos landesweit sowie auf allen nationalen TV-Sendern gezeigt. Sie wurde beauftragt, für Mainstream-Regisseure wie Kunal Kohli und Rohan Sippy sowie für Santosh Sivan und Ram Madhvan, die zum unabhängigen indischen
Kino gezählt werden, Drehbücher zu schreiben. Zudem hat sie mehr als 40 Folgen für die sehr erfolgreiche Fernsehserie JASSI JAISSI KOI NAHIN geschrieben, die auf der Idee von UGLY BETTY (YO SOY BETTY, LA FEA) basiert. Zudem ist sie Musikerin und als UN-Beraterin für eine Artenschutzkampagne in Indien tätig.
DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME, Rohenas Spielfilmdebüt, hat seine Weltpremiere in der Semaine de la Critique in Cannes 2018 gefeiert.
Filmografie (Auswahl)
2018 DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME
2013 WHAT‘S LOVE GOT TO DO WITH IT?
Foto:
© Verleih
Info:
Darsteller
Ratna Tillotama Shome
Ashwin Vivek Gomber
Laxmi Geetanjali Kulkarni
Ashwins Vater Rahul Vohra
Ashwins Mutter Divya Seth Shah
Vicky Chandrachoor Rai