f schneiderin1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Dezember 2018, Teil 8

N.N.

Mumbai (Weltexpresso) - Können Sie etwas über den Ursprung von DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME erzählen und warum Sie diese Geschichte
erzählen wollten?

Ich habe mich mein Leben lang mit den Klassenunterschieden in Indien auseinandergesetzt. Als ich ein Kind war, lebten wir dort und hatten Hausangestellte bei uns wohnen, so bin ich aufgewachsen. Ich hatte ein Kindermädchen, sie hat sich um mich gekümmert und wir waren uns sehr nah, aber es gab eine klare gesellschaftliche Trennung. Dann bin ich nach Amerika gegangen, um meinen Bachelor zu machen, ich war in Stanford und diskutierte über Ideologie und Philosophie, und kam ich dann nach Hause, hatte sich dort gar nichts geändert. Es war jedes Mal schwierig, zurück nach Indien zu kommen, aber so sehr man die Dinge auch ändern möchte, man schaff t es nicht über Nacht. Ich fragte mich ständig:Was kann man tun?


Warum haben Sie sich dafür entschieden, dieses Thema in Form einer Liebesgeschichte zu behandeln?

Ich kam auf die Idee, mich mit dem Thema der Klassenunterschiede in Indien auseinanderzusetzen, das mich seit jeher beschäftigt, und es durch eine Liebesgeschichte zu erkunden. Mich interessierte auch sehr, wie wir uns selbst die Erlaubnis geben, jemanden zu lieben.Ich wollte das Ganze nicht auf eine moralisierende Weise angehen oder so tun, als ob ich alle Antworten hätte oder den Leuten vorschreiben wollte, wie sie zu denken
haben. Und auf gar keinen Fall wollte ich, dass Ratna als Opfer dargestellt wird. Die Liebesgeschichte hat es mir erlaubt, die Unmöglichkeit, die Klassengrenzen zu überschreiten, durch eine Dynamik auszuloten, die auf Gleichheit und Zurückhaltung basiert.


Gab es spezifi sche Einflüsse, die Ihnen geholfen haben,die Geschichte von DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME zu gestalten?

Für mich ist Wong Kar-Wais IN THE MOOD FOR LOVEdie größte Referenz (und es ist eine sehr hochgesteckte Referenz, bitte verzeihen Sie mir). Es ist ein wunderschöner Film, der auf dieser Idee der Zurückhaltung aufbaut und in dem sich die Wege zweier Menschen kreuzen, die etwas teilen, es aber nicht ausleben können. In DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME findet man kleine Echos davon. Wenn Ratna und Ashwin sich beispielsweise im leeren Flur über den Weg laufen, verkörpert dieser Raum gleichzeitig die Idee von Trennung und Verbindung. Die Art, wie sich die Figuren durch den Raum bewegen, hat etwas Besonderes, das ich sehr schön finde, und IN THE MOOD FOR LOVE hat mir wirklich geholfen, den Ideen für meinen Film Form zu geben.


Die Welt, die Sie darstellen, dreht sich um die Kluft zwischen den Welten von Ratna und Ashwin. Wie haben Sie diese Kluft sichtbar gemacht und gleichzeitig gezeigt, wie die Liebe unter diesen Umständen aufblühen kann?

Ich wollte die physischen Barrieren, die es zwischen ihnen gab, nutzen, aber es musste natürlich wirken. Wegen der Dynamik zwischen Ashwin und Ratna würden sie niemals einfach so miteinander reden, es musste etwas passieren, das sie zusammenbringt. Was auch bedeutet, dass der bloße Akt des sich Gegenüberstehens plötzlich elektrisiert wird, sobald die Barriere wegfällt. Als sie weint, steht er auf, aber er weiß nicht, was er tun
soll, da er sich ihr nicht nähern kann. In einer anderen Szene sagt Ratna zu Ashwin, dass alle Eltern ihre Kinder verheiratet sehen wollen. Sie zeigt ihm so, dass sie verstanden hat, dass er unter großem familiären Druck steht. Das ist etwas, was er tief im Inneren weiß, aber noch nicht akzeptiert hat, und es schockiert ihn, nicht nur weil es wahr ist, sondern weil die Erkenntnis von seiner Haushaltshilfe kommt. Es mag viele Barrieren zwischen
ihnen geben, sowohl physische als auch soziale, aber allmählich nähern sie sich trotz der Unterschiede, die zwischen ihnen bestehen, einander an. Letztlich wird es immer eine gewisse Intimität geben, wenn Menschen zusammenleben, auch wenn sie unausgesprochen
bleibt. Mit dieser Idee im Hinterkopf muss man sich fragen, warum eine solche Liebe tabu bleiben muss. Das ist eine der zentralen Fragen von DIE SCHNEIDERIN DER TRÄUME.


Wie wollten Sie die Machtverhältnisse, die Hausangestellte wie Ratna und Laxmi teilen, darstellen?

Es sind extreme Machtverhältnisse. Man kann das zum Beispiel sehen, als Ratna ihre Freundin Laxmi fragt, ob sie gefeuert wird, weil sie dem Sohn ihres Arbeitgebers eine Ohrfeige gegeben hat. In dem Moment wird uns bewusst, was für diese Menschen auf dem Spiel steht. Sollte Laxmi gefeuert werden, verliert sie nicht nur ihren Job und ihr Gehalt, nein, sie verliert auch ihr Zuhause. Aber es zeigt sich auch, wie die Machtverhältnisse in
beide Richtungen funktionieren: so sehr Lakshmis Job gefährdet ist, sie weiß auch, dass ihre Arbeitgeberin ihren Sohn nicht ohne sie großziehen kann. Es ist kein ausgeglichenes Machtverhältnis, aber es zeigt, wie komplex diese Beziehungen sind.


Glauben Sie, dass eine solche Liebesgeschichte innerhalb der Grenzen der kosmopolitischen indischen Gesellschaft tatsächlich existieren könnte?

Ein solches Verhältnis öffentlich zuzugeben, wäre nahezu unmöglich, also würde niemand davon erfahren, denn die gesellschaftlichen Zwänge sind immer noch zu groß. Würde jemand zugeben, in solch einer Beziehung zu sein, würde er sicherlich ausgegrenzt werden. Ich denke, die einzige Lösung für solch ein Paar wäre,das Land zu verlassen, vorausgesetzt, man kann es sich leisten. Wenn dieses Liebespaar erst einmal in einem
anderen Land ist, sind sie nur noch zwei Menschen aus zwei verschiedenen Kulturen, denn man darf nicht vergessen, dass sie unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben, auch wenn sie beide Inder sind. Ich denke, dass ein Paar weit weg von seinen Familien sein müsste, damit eine solche Beziehung funktionieren kann.


Können Sie uns erzählen, wie Sie das Thema Familie im Film angegangen sind und wie das mit den Kontrasten zwischen Land- und Stadtleben verknüpft ist?

Die Nähe zur Familie ist oft mit traditionellen Verhaltensmustern verknüpft. Dadurch, dass Ratna nach dem Tod ihres Mannes in die Stadt geht, hat sie mehr Freiheiten, denn die Stadt gibt ihr Anonymität. Ashwin wiederum hat in New York gelebt, und jetzt kommt er zurück nach Mumbai, wo seine Familie lebt, und er versucht, deren Erwartungen zu entsprechen. Er lebt in einem goldenen Käfig. Für Ratna ist das komplette Gegenteil der Fall.


Wie wollten Sie das Landleben in Indien portraitieren? Wie sind Sie das angegangen?

Ich war sehr spezifisch bezüglich der Orte, an denen ich die Dorfszenen drehen wollte. Wir hätten diese Szenen viel näher an Mumbai drehen können, aber es war mir wichtig, dass Ratna von einem Ort kommt, wo die Natur sehr schön ist. Ihre Gründe, in die Stadt zu gehen, sind
finanzieller Art, und sie tut es auch, um bessere Möglichkeiten zu haben. Ich wollte zeigen, dass Menschen, die auf dem Land leben, dort oft sehr glücklich sind und nicht in einen Slum in der Stadt ziehen wollen. Ich wollte nie auf die Leute auf dem Land herabschauen, denn es gibt diese Tendenz in Filmen, Dörfer auf dem Land als erbärmliche, staubige Orte zu zeigen. Für mich war das nie so, das Land ist wunderschön.



Ratna ist Witwe. Wie verändert das die Dynamik?

Für eine Witwe aus dem Dorf kann die Stadt ein großartiger Ort sein, weil man sein altes Leben hinter sich lassen und mehr Freiheiten haben kann. Eine Witwe zu sein, bedeutet etwas anderes, je nachdem, wo in Indien man ist. Selbst unter fortschrittlichen, kosmopolitischen Menschen kann die Tatsache, dass man Witwe ist, bedeuten,dass das Leben vorbei ist. Von allen Witwen, die ich kenne, hat keine einen Neuanfang mit einem anderen
Mann gewagt. Wenn sie Kinder haben, müssen sie diesen ihr Leben widmen, und es interessiert nicht, ob sie mit einem anderen Mann zusammensein wollen oder gerne Gesellschaft hätten. Das wird in der indischen Gesellschaft völlig negiert, über die Sexualität einer Frau wird selten gesprochen.



Wie kamen Sie dazu, Tillotama Shome zu casten?

Ich hatte Tillotama Shome schon lange für Ratna im Kopf. Ich fürchtete, dass sie Nein sagen würde, weil sie schon in Mira Nairs MONSOON WEDDING eine Magd gespielt hatte. Dann sah ich sie in QISSA – DER GEIST IST EIN EINSAMER WANDERER, wo sie ein Mädchen spielte,
das als Junge aufgewachsen war, und sie war wirklich fantastisch. Ich sprach mit ihr ein Jahr vor Drehstart, als noch nichts feststand. Danach rief sie mich alle sechs Wochen an, um zu fragen, wie weit das Projekt war. Sie wollte die Rolle unbedingt, und sie wollte auf keinen Fall, dass ich sie jemand anderem gebe. Das war toll.


Was hat Vivek Gomber, das Sie dazu gebracht hat, ihn als Ashwin zu besetzen?

Die richtige Person für Ashwin zu finden, war eine andere Geschichte. Es gibt eine Menge guter Schauspieler in Indien, aber ich brauchte jemanden, der wirklich versteht,wer Ashwin ist und was er durchmacht. Jemand schlug mir dann Vivek vor, und ich war überrascht, weil ich COURT gesehen habe, wo er einen Anwalt spielt, und er schien so im Widerspruch zu dem zu stehen, was ich suchte. Doch man sagte mir, dass er perfekt für die Rolle sei, und so traf ich ihn. Beim Vorsprechen hat er sich sowohl den Charakter als auch den Raum um sich herum sofort angeeignet, und ich war unglaublich erleichtert, weil ich wusste, dass ich die richtige Person hatte.


Wie war die Dynamik zwischen Vivek Gomber und Tillotama Shome am Set?

Sie waren sich sehr nahe und haben sich gegenseitig vertraut. Aufgrund unseres geringen Budgets mussten sie sich einen Raum teilen, in dem sie sich zwischen den Aufnahmen ausruhen konnten. Das hat mit Sicherheit auch geholfen, die beiden noch näher zu bringen.Wir haben fast den ganzen Film chronologisch gedreht, dementsprechend gab es eine echte Verbindung, die mit der Zeit zwischen ihnen entstand. Es war sehr intensiv
und anstrengend für beide, sie taten so viel für mich und für einander, und für den Film.

Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller
Ratna     Tillotama Shome
Ashwin    Vivek Gomber
Laxmi     Geetanjali Kulkarni
Ashwins Vater   Rahul Vohra
Ashwins Mutter  Divya Seth Shah
Vicky     Chandrachoor  Rai
 
Interview dem Presseheft entnommen