Karin Schiefer
Wien (Weltexpresso) - WOMIT HABEN WIR DAS VERDIENT? ist Ihr erster Spielfi lm, für den Sie nicht nur das Buch geschrieben haben, sondern auch die Regie führen. Lag für Sie ein Unbehagen im Wiener Alltag in der Luft, dass Sie diese neue Aktualität der Religionen als Thema für Ihren Film aufgegriffen haben?
Gar kein Unbehagen. Wir saßen vor einigen Jahren in einer Runde von Eltern zusammen, unsere Kinder waren gerade am Beginn der Pubertät, und wir haben uns unterhalten, was jetzt alles auf uns zukommen wird. Alle haben die für sie schlimmsten Dinge aufgezählt: Drogen, Schwangerschaft, Schule abbrechen, dass das Kind rechtsradikal werden könnte ...
Ich habe gesagt, das schlimmste für mich wäre, wenn meine Tochter plötzlich mit Kopftuch vor mir stehen und mir erklären würde, sie ist jetzt voll religiös geworden. Das fanden alle sehr lustig, dass mir Hardcore-Feministin und Atheistin sowas passieren könnte. Und das war der Ausgangspunkt eine Komödie zu machen. Das Beste für eine Komödie ist ja bekanntlich, wenn der Protagonistin das Schlimmste passiert, was sie sich vorstellen kann.
Natürlich hat mich das Thema auch politisch und inhaltlich interessiert. Als ich 2016 begonnen habe, daran zu arbeiten, war das Thema noch nicht so eskaliert, aber ich hatte den Eindruck, dass sich die Linken oder fortschrittlichen Kräfte das Thema von den Rechten hatten aus der Hand nehmen lassen. Ich habe Frauen getroffen, die ein Kopftuch tragen und zu mir gesagt haben, sie wählen das nächste Mal die FPÖ, weil das die Einzigen sind, die ein Kopftuchverbot durchsetzen werden. Auf meinen Einwand, dass das aber doch die sind, die sie beschimpfen und bespucken, meinten sie, das stimme natürlich, aber der Druck auf ihre Töchter, ein Kopftuch zu tragen, ist in den Schulen in den letzten Jahren so groß geworden und das wollen sie nicht. Die sollen das selber entscheiden. Und dann haben sie lachend gesagt, dass sie sie danach dann natürlich nicht mehr wählen werden...
Da hab ich kapiert, wie extrem komplex die ganze Situation ist und wie wenig das Kopftuch mit anderen Symbolen wie dem Kreuz oder der Kippa zu vergleichen ist, weil es nur für einen Teil der Geschlechter gilt. Es ist eine Sexualisierung, es teilt die Frauen in „reine“ und „unreine“ Frauen, es ist ein patriarchales Unterdrückungsinstrument gegenüber Frauen. Als Nicht-Muslimin, als Atheistin, als Feministin ist das mein Standpunkt, von dem aus hab ich das Thema untersucht. Im Film kommen aber natürlich die unterschiedlichsten Meinungen und ganz gegensätzliche Positionen zu meiner Haltung vor. Was mich sehr freut, ist, dass die Moslems und Muslima, die den Film gesehen haben, ihn total lustig fanden. Es kommen auch Witze und Situationen vor, die Nicht-Religiöse oder Nicht-Muslime gar nicht so witzig finden, weil sie einen anderen Kontext haben. Ich wollte, dass man viele verschiedene Perspektiven sieht, die immer wieder eine andere Sicht auf die Dinge ermöglichen. Und immer wenn man sich denkt: „Ja, genau!“, dann passiert etwas und man denkt sich: „Naja, so gesehen ist es natürlich anders!“, genauso ist es mir während der Recherche immer gegangen.
Standen Sie vor der Entscheidung, die Thematik von einer ernsteren, dramatischen Seite oder als Komödie anzugehen?
Nein, nie. Erstens liebe ich Komödien und finde es schade, dass ich selten im Kino eine wirklich lustige sehe. Mir liegt das und ich schreibe total gerne lustige Dialoge. Und zweitens eignet sich dieses Thema am besten für eine Komödie. Es ist viel zu komplex, um es nicht komödiantisch zu erzählen. Es ist doch absurd, dass wir jetzt ernsthaft wieder dieses Religionsthema auf der Tagesordnung haben. Das haben wir doch eigentlich in den letzten 10 oder 15 Jahren für erledigt gehalten, jedenfalls nach dem Auffliegen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche.
Jetzt kommt das auf einmal wieder daher und mit so einer Vehemenz. Spannend ist ja auch, dass das Frauenbild der Rechten im Prinzip das gleiche ist wie das der Islamisten: die Frauen sollen bei den Kindern bleiben, die einen bekämpfen verzweifelt das Binnen-I, um Frauen in der Sprache nicht vorkommen lassen, die anderen stecken sie in Tücher, um sie im öffentlichen Raum nicht vorkommen zu lassen. Die einen wollen die Töchter nicht in der Bundeshymne, die anderen nicht im Bikini. Die einen wollen sie ausziehen, die anderen wollen sie anziehen. Und dann die Absurdität, dass es FeministInnen gibt, die sich fürs Burkini-Tragen stark machen, während ihre feministischen Großmütter vor 50 Jahren ihre BHs verbrannt haben. Natürlich ist es klar, dass es Frauen, die aus Ländern kommen, wo Frauen überhaupt nicht schwimmen gehen dürfen, unheimlich ist, so wenig anzuhaben. Prinzipiell sollen natürlich alle anziehen dürfen, was sie wollen, logisch. Aber dass Schulen auf einmal für Mädchen, die hier geboren sind, über irgendwelche Schwimmunterrichts-Ausnahmen nachdenken, ist ein unfassbarer Backlash.
Da geht’s doch dann darum, es gibt ehrbare Frauen, die verhüllen ihre Reize und tragen Burkini und dann gibt’s die Schlampen, die gehen im Bikini. Und das nicht zu unterstützen, ist eine politische Frage, keine Frage der Freiwilligkeit.
Ist es bei einem so sensiblen Thema, wo man ständig auf Tabugrenzen stößt, leichter oder heikler, eine Komödie zu verfassen?
Es ist eindeutig leichter, weil man immer an die Grenze gehen kann. Manchmal hab ich überlegt: „Darf ich das so erzählen? Darf ich mich darüber lustig machen?“, und dann hab ich an Monty Pythons Das Leben des Brian gedacht, einen meiner Lieblingsfilme, und dann hab ich’s gemacht. Alles, was in meinem Film vorkommt, gibt es in Wirklichkeit. Für jedes einzelne YouTube-Video im Film gibt es eine Vorlage, wir haben es nur nachgedreht bzw. so verändert, dass wir keine Rechteprobleme bekommen. Alles, was gesagt wird, habe ich auch in Wirklichkeit gehört. Ich habe sehr aufgepasst, keine Codes zu verletzen. Zum einen aus inhaltlichen Gründen, weil ich wollte, dass alles stimmt, und die Realität ist sowieso immer lustiger als das, was man sich ausdenkt. Und natürlich auch, weil ich überleben wollte. Ich war zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Autorin mit der Frage konfrontiert, ob das, was ich schreibe, gefährlich sein kann. Das ist eine schlimme Entwicklung.
Hatten Sie das Gefühl, bei diesem Drehbuch anders zu schreiben, wissend, dass Sie es selber umsetzen würden?
Nein. Das Drehbuch ist ja die Arbeitsgrundlage nicht nur für die Regie, sondern auch für alle anderen Departments am Set. Je genauer etwas beschrieben ist, umso klarer wissen alle, was ich will. Aber es war natürlich großartig, dass ich dann am Set auf alles reagieren konnte, wenn ich bemerkt habe, dass irgendwas nicht funktioniert oder wenn ich gesehen habe, dass etwas, was im Buch lustig ist, beim Drehen anders sein muss. Und auch umgekehrt wusste ich sehr genau, worauf ich bestehe, was auf keinen Fall anders sein darf als im Buch.
Wie sieht die familiäre Patchwork-Konstellation aus? Warum haben Sie sich für diese weniger klassische Form der Familie entschieden?
Zum einen kenne ich diese Form von Familie sehr gut, weil ich immer so gelebt habe. Und die bürgerliche Kleinfamilie kommt ohnehin oft genug im Kino vor. Ein Film, den ich sehr mag, ist Monsieur Claude und seine Töchter, wo aus einer sehr katholischen, konservativen Position heraus andere Religionszugehörigkeiten, Vorurteile, Hautfarben witzig aufeinanderprallen. Für das Thema ist eine liberale Patchwork-Familie halt auch deshalb lustig, weil hier Menschen mit Offenheit und Toleranz plötzlich nicht mehr weiterkommen, wenn sie auf Leute treffen, die gar nicht tolerant sind und finden, dass Toleranz das Schlimmste ist, was es gibt. Patchwork-Situationen eignen sich außerdem hervorragend für Komödien, weil sie so kompliziert sind und man sich damit identifizieren kann, auch wenn man es selbst nicht lebt. Alle Familien funktionieren ja im Prinzip ähnlich, auch in der Kleinfamilie entstehen immer wieder Situationen, die einen überfordern, weil man einander sehr mag und sich gleichzeitig auch auf die Nerven geht.
Fortsetzung folgt
Foto:
Regisseurin Eva Spreitzhofer
© Brunner Images für Thimmfilm© Verleih
Info:
Besetzung
Wanda Caroline Peters
Harald Simon Schwarz
Nina Chantal Zitzenbache
Therapeutin Emily Cox
Klara Anna Laimanee
Sissy Hilde Dalik
Elke Pia Hierzegger
Matthias Christopher Schärf
Tony Marcel Mohab
Till Angelo Konzett
Franzi Lorenz Strasser
Helga Susanne Michel
Maryam Duygu Arslan
Interview im September 2018, Abdruck aus dem Presseheft
Natürlich hat mich das Thema auch politisch und inhaltlich interessiert. Als ich 2016 begonnen habe, daran zu arbeiten, war das Thema noch nicht so eskaliert, aber ich hatte den Eindruck, dass sich die Linken oder fortschrittlichen Kräfte das Thema von den Rechten hatten aus der Hand nehmen lassen. Ich habe Frauen getroffen, die ein Kopftuch tragen und zu mir gesagt haben, sie wählen das nächste Mal die FPÖ, weil das die Einzigen sind, die ein Kopftuchverbot durchsetzen werden. Auf meinen Einwand, dass das aber doch die sind, die sie beschimpfen und bespucken, meinten sie, das stimme natürlich, aber der Druck auf ihre Töchter, ein Kopftuch zu tragen, ist in den Schulen in den letzten Jahren so groß geworden und das wollen sie nicht. Die sollen das selber entscheiden. Und dann haben sie lachend gesagt, dass sie sie danach dann natürlich nicht mehr wählen werden...
Da hab ich kapiert, wie extrem komplex die ganze Situation ist und wie wenig das Kopftuch mit anderen Symbolen wie dem Kreuz oder der Kippa zu vergleichen ist, weil es nur für einen Teil der Geschlechter gilt. Es ist eine Sexualisierung, es teilt die Frauen in „reine“ und „unreine“ Frauen, es ist ein patriarchales Unterdrückungsinstrument gegenüber Frauen. Als Nicht-Muslimin, als Atheistin, als Feministin ist das mein Standpunkt, von dem aus hab ich das Thema untersucht. Im Film kommen aber natürlich die unterschiedlichsten Meinungen und ganz gegensätzliche Positionen zu meiner Haltung vor. Was mich sehr freut, ist, dass die Moslems und Muslima, die den Film gesehen haben, ihn total lustig fanden. Es kommen auch Witze und Situationen vor, die Nicht-Religiöse oder Nicht-Muslime gar nicht so witzig finden, weil sie einen anderen Kontext haben. Ich wollte, dass man viele verschiedene Perspektiven sieht, die immer wieder eine andere Sicht auf die Dinge ermöglichen. Und immer wenn man sich denkt: „Ja, genau!“, dann passiert etwas und man denkt sich: „Naja, so gesehen ist es natürlich anders!“, genauso ist es mir während der Recherche immer gegangen.
Standen Sie vor der Entscheidung, die Thematik von einer ernsteren, dramatischen Seite oder als Komödie anzugehen?
Nein, nie. Erstens liebe ich Komödien und finde es schade, dass ich selten im Kino eine wirklich lustige sehe. Mir liegt das und ich schreibe total gerne lustige Dialoge. Und zweitens eignet sich dieses Thema am besten für eine Komödie. Es ist viel zu komplex, um es nicht komödiantisch zu erzählen. Es ist doch absurd, dass wir jetzt ernsthaft wieder dieses Religionsthema auf der Tagesordnung haben. Das haben wir doch eigentlich in den letzten 10 oder 15 Jahren für erledigt gehalten, jedenfalls nach dem Auffliegen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche.
Jetzt kommt das auf einmal wieder daher und mit so einer Vehemenz. Spannend ist ja auch, dass das Frauenbild der Rechten im Prinzip das gleiche ist wie das der Islamisten: die Frauen sollen bei den Kindern bleiben, die einen bekämpfen verzweifelt das Binnen-I, um Frauen in der Sprache nicht vorkommen lassen, die anderen stecken sie in Tücher, um sie im öffentlichen Raum nicht vorkommen zu lassen. Die einen wollen die Töchter nicht in der Bundeshymne, die anderen nicht im Bikini. Die einen wollen sie ausziehen, die anderen wollen sie anziehen. Und dann die Absurdität, dass es FeministInnen gibt, die sich fürs Burkini-Tragen stark machen, während ihre feministischen Großmütter vor 50 Jahren ihre BHs verbrannt haben. Natürlich ist es klar, dass es Frauen, die aus Ländern kommen, wo Frauen überhaupt nicht schwimmen gehen dürfen, unheimlich ist, so wenig anzuhaben. Prinzipiell sollen natürlich alle anziehen dürfen, was sie wollen, logisch. Aber dass Schulen auf einmal für Mädchen, die hier geboren sind, über irgendwelche Schwimmunterrichts-Ausnahmen nachdenken, ist ein unfassbarer Backlash.
Da geht’s doch dann darum, es gibt ehrbare Frauen, die verhüllen ihre Reize und tragen Burkini und dann gibt’s die Schlampen, die gehen im Bikini. Und das nicht zu unterstützen, ist eine politische Frage, keine Frage der Freiwilligkeit.
Ist es bei einem so sensiblen Thema, wo man ständig auf Tabugrenzen stößt, leichter oder heikler, eine Komödie zu verfassen?
Es ist eindeutig leichter, weil man immer an die Grenze gehen kann. Manchmal hab ich überlegt: „Darf ich das so erzählen? Darf ich mich darüber lustig machen?“, und dann hab ich an Monty Pythons Das Leben des Brian gedacht, einen meiner Lieblingsfilme, und dann hab ich’s gemacht. Alles, was in meinem Film vorkommt, gibt es in Wirklichkeit. Für jedes einzelne YouTube-Video im Film gibt es eine Vorlage, wir haben es nur nachgedreht bzw. so verändert, dass wir keine Rechteprobleme bekommen. Alles, was gesagt wird, habe ich auch in Wirklichkeit gehört. Ich habe sehr aufgepasst, keine Codes zu verletzen. Zum einen aus inhaltlichen Gründen, weil ich wollte, dass alles stimmt, und die Realität ist sowieso immer lustiger als das, was man sich ausdenkt. Und natürlich auch, weil ich überleben wollte. Ich war zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Autorin mit der Frage konfrontiert, ob das, was ich schreibe, gefährlich sein kann. Das ist eine schlimme Entwicklung.
Hatten Sie das Gefühl, bei diesem Drehbuch anders zu schreiben, wissend, dass Sie es selber umsetzen würden?
Nein. Das Drehbuch ist ja die Arbeitsgrundlage nicht nur für die Regie, sondern auch für alle anderen Departments am Set. Je genauer etwas beschrieben ist, umso klarer wissen alle, was ich will. Aber es war natürlich großartig, dass ich dann am Set auf alles reagieren konnte, wenn ich bemerkt habe, dass irgendwas nicht funktioniert oder wenn ich gesehen habe, dass etwas, was im Buch lustig ist, beim Drehen anders sein muss. Und auch umgekehrt wusste ich sehr genau, worauf ich bestehe, was auf keinen Fall anders sein darf als im Buch.
Wie sieht die familiäre Patchwork-Konstellation aus? Warum haben Sie sich für diese weniger klassische Form der Familie entschieden?
Zum einen kenne ich diese Form von Familie sehr gut, weil ich immer so gelebt habe. Und die bürgerliche Kleinfamilie kommt ohnehin oft genug im Kino vor. Ein Film, den ich sehr mag, ist Monsieur Claude und seine Töchter, wo aus einer sehr katholischen, konservativen Position heraus andere Religionszugehörigkeiten, Vorurteile, Hautfarben witzig aufeinanderprallen. Für das Thema ist eine liberale Patchwork-Familie halt auch deshalb lustig, weil hier Menschen mit Offenheit und Toleranz plötzlich nicht mehr weiterkommen, wenn sie auf Leute treffen, die gar nicht tolerant sind und finden, dass Toleranz das Schlimmste ist, was es gibt. Patchwork-Situationen eignen sich außerdem hervorragend für Komödien, weil sie so kompliziert sind und man sich damit identifizieren kann, auch wenn man es selbst nicht lebt. Alle Familien funktionieren ja im Prinzip ähnlich, auch in der Kleinfamilie entstehen immer wieder Situationen, die einen überfordern, weil man einander sehr mag und sich gleichzeitig auch auf die Nerven geht.
Fortsetzung folgt
Foto:
Regisseurin Eva Spreitzhofer
© Brunner Images für Thimmfilm© Verleih
Info:
Besetzung
Wanda Caroline Peters
Harald Simon Schwarz
Nina Chantal Zitzenbache
Therapeutin Emily Cox
Klara Anna Laimanee
Sissy Hilde Dalik
Elke Pia Hierzegger
Matthias Christopher Schärf
Tony Marcel Mohab
Till Angelo Konzett
Franzi Lorenz Strasser
Helga Susanne Michel
Maryam Duygu Arslan
Interview im September 2018, Abdruck aus dem Presseheft