Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Die hätten wir auch gerne, die mysteriöse Pflanze VISION, die in den japanischen Wäldern, aber nein, nur in den tiefen undurchdringlichen Wäldern der Yoshino-Berg, wächst und - wie die Legende sagt - exakt alle 997 Jahre blüht und dann den Menschen, der ihrer teilhaftig wird, von seinen Ängsten und Schwächen befreit und für immer frei sein läßt, richtig zu leben. Die Französin Jeanne (Juliette Binoche) auf jeden Fall ist überzeugt, daß es so weit sein müsse und macht sich auf den Weg nach Japan in diese Wälder, die aber nicht nur schön und unverletzt sind, sondern in denen sich der Mensch mit Kettensägen austobt, um möglichst viel Holz zu schlagen, möglichst Gewinn zu machen, was so brutal gezeigt wird, wie es ist, wenn etwas Lebendiges wie ein Baum stirbt.
Tatsächlich spielt die eigentliche Hauptrolle die Natur. Und zwar von Anfang an, wenn die fünfzigjährige japanische Filmemacherin, die poetische kunstvolle Filme dreht, die Wälder im Bezirk Nara vom Kameramann Dodo Arat so einfangen läßt, daß wir zum einen das Verschlingende der Natur empfinden, dann ihre unendlich vielen Schattierungen von Grün, aber vor allem, welche Wirkung das Sonnenlicht hat, wenn es durch die Blätter fällt, aber insbesondere, wenn es uns blendet und diese Gegenlichtperspektive wird die des Films sein. Wir sehen nämlich wie beim Eisberg als Metapher nur wenig und wie dort das Eigentliche unter Wasser liegt, so löst das Gegenlicht die Gegenstände auf und wir müssen dauernd die Augen zusammenkneifen, wollen wir überhaupt etwas entdecken. Das ist dann einfach ein anderer Blick. Geht es darum nicht insgesamt, einen anderen Blick auf die Welt zu werfen, die sich hier auf das Wald-Berg-Gebiet beschränkt.
Überhaupt ist das ein Film, der zwei Ansätze vereint. Den visuellen, also den ästhetischen Reiz, den verschlingende Natur auslöst, und den gedanklichen, den die Regisseurin in einem Regiekommentar im Presseheft äußert, den wir in Folge deshalb abdrucken. Dort spricht sie von dem Unbehagen und setzt dies in Anführungszeichen, also vom „Unbehagen“, das in der heutigen Gesellschaft entsteht und das dieser Film beleuchtet will (wieder eine Lichtmetapher). In kulturellen Zusammenhängen aber ist einem dann sofort – ohne Anführungszeichen – der Titel DAS UNBEHAGEN IN DER KULTUR vor Augen, eine Schrift die Sigmund Freud 1930 herausgab und summa summarum den Gegensatz zwischen Kultur und Triebkräfte zum Thema hat. Während nämlich die Kultur die größeren sozialen Einheiten anstrebt, wird sie daran von sexuellen und aggressiven Trieben gehindert, was Schuldgefühle zurückläßt. Wenn aber Kultur deshalb leidvoll erlebt wird, so führt dies zum besagten Unbehagen in der Kultur.
Es ist spannend herauszufinden, ob die japanische Regisseurin diesem Unbehagen folgt, wenn sie dies in den Kontext der Natur stellt. Denn diese ist es, die den Menschen, sein Handeln und seine Gefühle überdauert und Ewigkeit suggeriert, wobei auch die Natur diese Doppelfunktion hat. Die einzelne Pflanze, das einzelne Tier vergeht, aber das Ganze der Natur wächst. Zurück zu den Personen, um die es geht. Sie hat eine junge japanische Assistentin namens Hana (Minami). Beide treffen auf Tomo (Masatoshi Nagase), den wir schon kennengelernt hatten. Er war der ältere Mann, der mit dem Gewehr zu Beginn durch den Wald streifte und keinen angenehmen Eindruck machte. Er zeigt sich verschlossen, aber läßt beide Frauen bei sich wohnen.
Wenn nun erst einmal alles auf eine Liebesgeschichte hinausläuft zwischen der durch unbekannte Wunden geschlagenen Jeanne aus Europa und dem Japaner, der vor der Hälfte seines Lebens hier in den Wäldern ankam und blieb, um die Müdigkeit auszuschlafen, also zu regenerieren, was jetzt schon 24 Jahre anhält, so ist da was dran. Aber dies wird nicht überhöht, sondern eher als der Versuch verstanden, mit Vorsicht dem anderen Geschlecht zu begegnen, für beide als ein neuer Anfang, nachdem dies Thema für sie erledigt war.
Es ist jedoch nicht das Paar, sondern Jeanne, bei der wir bleiben, wenn der Zuschauer nach und nach entdeckt, warum sie der Heilung so bedürftig ist und welchen Anteil die Natur daran hat, ob nun die Pflanze blüht oder nicht. Da gibt es neben den immer wieder hinreißenden Bildern von der Unendlichkeit der Natur, aber auch von ihrer Kraft und dem Überstehen, einige Menschen, die den leeren Menschenraum füllen. Aki (Mari Natsuki) ist so eine, Tomo bekannt, die von sich sagt, sie sei 1000 Jahre alt, wobei man natürlich sofort an die Pflanze denken muß. Sie tanzt im Wald, der Wind ist ihr Begleiter, ihr Lehrmeister und der, der die Musik in den Zweigen der Bäume hervorbringt.
Der Film ist schon etwas prätentiös, bekommt aber immer wieder die Kurve. Juliette Binoche soll hier eine Rolle verkörpern, die wohl für Schauspielerinnen über 50 Jahren zugedacht ist, eben die durchs Leben und die Männer älter gewordene, verletzte Frau. Es ist nicht so, daß sie das nicht hinbekommt, aber wir finden sie in weniger verhaltenen Rollen, also mit Saft und Kraft passender. Noch. Und hoffentlich noch lange.
Foto:
© Verleih