f koniglicher 2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Februar 2019, Teil 6

Claire Vassé

Paris (Weltexpresso) - Dies ist das erste Mal, dass Sie einen Film nach einer anderen Buchvorlage als Ihrer eigenen adaptiert haben. Was hat Sie an Chantal Thomas’ Roman „Der königliche Tausch“ gereizt?

Ich interessiere mich sehr für Geschichte. Dieser Roman hat mich deshalb so sehr angesprochen, weil ich als Kind so viele Bücher über das 18. Jahrhundert verschlungen habe. Und die historische Fußnote über den Prinzessinnen-Tausch ist wirklich einzigartig, besonders im Hinblick darauf, mit welch unvorstellbarer Grausamkeit diese Kinder behandelt wurden; wie sie, jedes auf seine Weise, versucht haben, diese Situation zu meistern. All das ist nicht weit entfernt von meinem bevorzugten Thema, der politischen Manipulation. Diese Kinder sind ganz buchstäblich Instrumente in den Händen von Erwachsenen, die selbst nicht wirklich erwachsen sind. Junge Prinzen und Aristokraten wurden mit viel Prunk und der Vermittlung des Gefühls ihrer „grandeur“ aufgezogen und zugleich infantilisiert, in einem kindlichen Stadium gehalten: Kinder, die Krieg spielen, weil sie sonst nichts zu tun haben. Dies hat zum Teil zum Untergang der Monarchie beigetragen. In diesem Film kann man sehen, dass die Monarchie bereits im Niedergang begriffen ist.


Tatsächlich beginnt schon Ihr Film mit dem Blick auf eine einzigartige, untergegangene Welt, in einem Versailles, in dem der Tod allgegenwärtig ist, und das zur Ruine verfällt.

Das Gefühl der Unsicherheit, das in jenem historischen Zeitraum herrschte, war ausschlaggebend für meinen Wunsch, diesen Film zu drehen. Im 18. Jahrhundert führte die Omnipräsenz von Seuchen wie Pest und Pocken dazu, dass die Menschen eine für uns ungewohnte Perspektive auf das Leben hatten. Die heutige Aussicht, das siebzigste Lebensjahr zu erreichen, existierte nicht. Es war wahrscheinlicher, vor dem Erreichen des 35. Lebensjahres zu sterben. Die unheilverkündende, allgegenwärtige Präsenz des Todes erklärt auch die Bedeutung der Religion für die Menschen, denn diese knüpfte eine Verbindung zwischen dem ewigen Leben und dem so vergänglichen Erdendasein. Wenn Philipp V. der Infantin sagt, dass Leben und Tod dasselbe sind, beschreibt er jenes fundamentale Konzept der Religion, nach dem das Leben in der Vorbereitung auf den Tod besteht. Und diesen zentralen und bestimmenden Moment einer Kindheit, nämlich die schreckliche Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit, wollte ich deutlich machen.


Das ist etwas, das besonders Ludwig XV. betrifft...

Ludwig XV. ist ein Kind, dessen gesamte Familie durch die Pocken ausgelöscht wurde. Er hat jeden in seiner Umgebung sterben sehen: Urgroßvater, Großvater, Vater, Mutter, Bruder. Und trotz dieses schrecklichen emotionalen Verlustes ist er gezwungen, König zu sein. Er steckt in der Zwangsjacke einer Funktion, die er anfangs nur unbeholfen ausfüllt; er lernt aber, sie gänzlich zu verkörpern.


Ein Satz des Königs, den er zu dem Regenten sagt, zeigt seine komplexe Beziehung zu seiner Rolle als König: „Am Vorabend meiner Mündigkeit weigern wir uns, allein zu schlafen.“

Der Film zeigt den Prozess der Königwerdung; wie ein kranker, verwaister Junge wegen eines im Grunde lächerlichen Erbfolgesystems plötzlich die Funktion eines Königs übergestülpt bekommt – und wie er die Welt durch das Prisma eines absoluten Herrschers entdeckt. Gleichzeitig versteht er aber auch, dass „er einzig zum König erhoben wurde, um dieser Bürde zu gehorchen.“

Der junge Ludwig XV. ist taktlos und unentschlossen. Immer wenn er eine Entscheidung treffen soll, ist er auf der Hut, beobachtet misstrauisch seine Umgebung und antwortet kaum. Es ist dieser Aspekt der königlichen Macht, den ich zeigen wollte - die Last, die diese Verantwortung für ein Kind darstellt. Ludwig XV. ist von seiner Rolle überfordert, doch er weicht nicht davor zurück und erfüllt sie, manchmal sogar mit großem Ernst. Wenn er mit der Infantin in einem Boot sitzt und sagt: „Madame, die Leute sagen, dass ihr nicht wachst“, hat er, im königlichen Verständnis dieses Begriffs, bereits seine reproduktive Rolle angenommen.


Die innere Stärke und Würde der Infantin sind erstaunlich...

Schon in Chantal Thomas’ Buch ist die Figur der Infantin sehr präsent und sehr gut ausformuliert. Sie verleiht den Kindern spezielle Eigenschaften und eine Frühreife, die sie in der Realität vielleicht nicht besaßen. Dennoch liebe ich es, wie sie diese Kinder charakterisiert. Ich verlieh Ludwig XV. Eigenschaften, Chantal verlieh der Infantin Eigenschaften; der Film ist das Ergebnis unserer jeweiligen Projektionen. Chantal akzeptierte meine Vorstellung von Ludwig XV., und ich versuchte so gut wie möglich ihre Sichtweise der Infantin zu respektierten. Dies im Wissen, dass ich ebenso sehr an den Charakteren der anderen Kinder interessiert war, und dass es wichtig für mich war, die richtige Balance zu finden. Es ging darum, vier Kinder von gleicher Wichtigkeit zu erschaffen.


Die Fiktion hat im Film eine größere Rolle als im Buch, besonders in Bezug auf Louise Elisabeth, die schließlich beginnt, sich Don Luis anzunähern...

Louise Elisabeth war ein emanzipiertes, freches und eher modernes Mädchen. Dennoch wollte ich diese Aspekte nicht übertreiben. Ich fand es interessant, jenen Moment zu zeigen, in dem sie sich in ihre Rolle einer königlichen Ehefrau fügt, beginnt, sich in Don Luis zu verlieben und ihn dazu ermuntert, sich gegen seine Eltern zu behaupten: „Wenn du als König ebenso entschieden bleibst, könnte ich dich sogar lieben“, sagt sie zu ihm. Ich finde die Tatsache, dass sie resignierend ihr Schicksal akzeptiert, zugleich unerträglich und wunderschön.


Diese Kinder sind Teil einer zynischen Verschwörung und doch gelingt es ihnen, mit Würde durch diese rauen Gewässer zu steuern und ihr Schicksal anzunehmen ...

Niemals würde ich meine Charaktere degradieren oder verniedlichen, das kann ich einfach nicht, das ist nicht meine Art. Ich mag Filme, in denen die Charaktere in ihrem Wesen eine gewisse Würde und Größe ausstrahlen. Wir müssen uns nicht ständig auf die Darstellung einer untergehenden und verzweifelten Menschheit konzentrieren, das Untergehen bekommt sie schon gut allein hin! Dass die Kinder den Kopf hoch halten und ihre Würde bewahren, macht sie nicht weniger zu Opfern ihres verfaulenden Erbes. Das betrifft letztlich das Thema des Determinismus: in welchem Umfang kann es gelingen, sich von seiner Erziehung zu befreien, sich aus jener Umgebung zu lösen, in der man von Geburt an steckt? Wenn man sehr stark gegen seine Kindheit opponiert, bedeutet das zugleich, dass man sehr stark darin gefangen war. Und die Flucht aus diesem Milieu ist für Kinder extrem kompliziert, besonders für Ludwig XV., weil er nur einen einzigen Ausweg hat: König zu werden, weil er dazu geboren wurde, König zu werden. Er akzeptiert dies und wächst daran. 


Sie konzentrieren sich vor allem auf das Privatleben Ihrer jungen Charaktere und zeigen sehr wenig von der höfischen Pracht.

Wenn man einen historischen Film dreht, hat man zwei Optionen. Entweder man filmt die offizielle Geschichte – Historie mit einem großem H, inklusive Glanz und Gloria, also eine eher angelsächsische Herangehensweise an Geschichte – oder man wählt einen eher intimeren Weg der Erzählung. Ich habe Letzteres gewählt, weil ich ganz nah bei den Kindern bleiben wollte, bei ihren Reaktionen und Gefühlen. Darin beruht, nach meinem Verständnis, die eigentliche Spannung meines Films, und eben nicht in einem detaillierten Panorama des 18. Jahrhunderts.


Was das gemeine Volk betrifft, so wird es vollkommen ausgeblendet, abgesehen von jenem Intermezzo im Wald, in dem die Prinzessin einer jungen Bäuerin ansichtig wird ...

Die Prinzessin steigt aus der Kutsche um sich zu erleichtern, blickt in den Himmel und sieht plötzlich dieses junge Mädchen im Wald. Sie ist fasziniert, ihr Gesicht wird vom Anflug eines Lächelns überzogen, doch man ruft sie sofort in ihre eigene Welt zurück. Ich fand es interessant, die einzige Interaktion zwischen der Aristokratie und dem gemeinen Volk auf diese Weise zu zeigen – zu zeigen, dass die Prinzessin in ihrer Welt auch unterdrückt wird. Um den Niedergang der Aristokratie zu zeigen, war es nicht nötig, das abgenutzte Klischee von Sansculotten in Lumpen zu bringen, die Blutsverwandtschaft reichte dazu vollkommen aus! Diese Aristokratie zerstörte sich in ihren Stammeskriegen ganz von allein: die Bourbonen-Dynastie gegen das Haus Orléans. Nach Jahren der Inzucht innerhalb ihrer Sippe sind sie degeneriert, wie es etwa Philipp V. beispielhaft veranschaulicht.


Der Fürst von Condé ist eine ziemlich lächerliche Figur.

Ich mag die exzessive Seite dieses Charakters, jemand der gerade verrückt genug ist, um den Wunsch zu hegen, Politiker zu werden. In dieser Zeit war Frankreich die weltweit führende Nation – und an ihrer Spitze stand ein junger dreizehnjähriger König, der sich selbst zu finden versuchte, und ein 21-jähriger, degenerierter Premierminister.


Es gibt viele Anspielungen auf Homosexualität...

Diese Periode der Uneindeutigkeit, die viele Jugendliche durchlaufen – übrigens nicht nur im Hinblick auf ihre Sexualität – ist hochinteressant. Besonders weil in jener Zeit viele Männerfreundschaften von Bewunderung und tiefen Gefühlen befeuert wurden; damals schrieben sich Männer fast so viele Briefe, wie es sonst nur zwischen zwei Frauen üblich ist. In jener Epoche war die Annäherung an Frauen viel komplizierter. Ich wollte all diese Fragestellungen, die dieser werdende König durchläuft, veranschaulichen. Was Louise Elisabeths Homosexualität betrifft, war ich hingegen ganz direkt. Wenn sie mit ihrer Zofe aus dem Bett steigt, verstehen wir, dass hier wirklich etwas passiert ist, dass sie neues Territorium entdeckt hat. In jener Zeit war Homosexualität ein Weg, sexuelle Tabus zu umgehen, und auch ein Weg, um das ziemlich hohe Risiko einer Schwangerschaft zu vermeiden.


Wo haben Sie den Film gedreht?

Wir nutzten mehrere belgische Schlösser: Beloeil, dessen Einrichtung eine Kopie von Versailles ist, und den Egmont-Palast, der das belgische Außenministerium beherbergt. Nicht weit davon entfernt befindet sich in Flandern das Kasteel Gaasbeek, ein schönes Beispiel für spanisch beeinflusste flämische Baukunst. Dort drehten wir die Szenen am Hof von Philipp V.


Wie entdeckten Sie die vier jungen Darsteller?

Jemand hatte mir von Igor Van Dessel erzählt, der später Ludwig XV. spielen sollte. Er drehte gerade einen Film in Cap Ferret, und da ich in Bordeaux lebe, bin ich losgefahren, um ihn zu treffen. Ich habe ihn zum Essen ausgeführt, wir hatten ein Gespräch, und dann hat er, mit seinen 13 Jahren, seine Brieftasche gezückt und gefragt: „Darf ich Sie zum Essen einladen?“ Igor ist extrem fotogen. Irgendwie zieht er, mit seinen unglaublichen Augen und dem leicht engelhaften Gebaren, das Licht auf sich. Wie alle großen Schauspieler ist er zu großer Konzentration fähig, kann aber, wenn ein Take vorbei ist, sofort abschalten. Die Fähigkeit dieses Jungen, in Sekundenbruchteilen Details nachzubessern, ist verblüffend. Er hatte die Begabung, seinen Filmcharakter immer weiterzuentwickeln, obwohl wir nicht chronologisch drehten. Igor hatte ein tiefes Verständnis für seinen Rollencharakter, diesen Jungen, der alles verloren hat und sich selbst neu zusammensetzen muss.


Und die Wahl von Juliane Lepoureau als Infantin?

Sie befand sich inmitten zahlreicher Kinder, die zum Casting gekommen waren. Sobald ich sie gesehen hatte, wusste ich, dass sie die Richtige war. Sie war so spontan, und sie strahlte soviel Intelligenz beim Vorsprechen aus. Ich weiß nicht, wo jemand in ihrem zarten Alter soviel Talent her hat. Am Set war sie immer fröhlich, nie müde und beklagte sich nie, obwohl es lange Zeiten gab, in denen sie warten und warten musste.

Für die Rolle von Louise Elisabeth wurde mir von Gilles Porte Anamaria Vartolomei empfohlen. Er hatte sie, als Kameramann, in Frédéric Beigbeders Film L’IDÉAL (2016) gesehen. Tatsächlich erwies sie sich als hervorragende und sehr talentierte Schauspielerin. Und Kacey Mottet-Klein, der Don Luis spielt, war geradezu ein Geschenk des Himmels.


Und das Casting der Erwachsenen?

Als Schauspielerin hat Catherine Mouchet einen besonderen Stil. Das ist schon am Set aufregend, aber noch mehr, wenn man ihre Arbeit auf Filmmaterial sieht. Catherine verkörpert perfekt das Bindeglied zu den beiden verlorenen Kindern. Und was Lambert Wilson betrifft, so ist er extrem freigiebig, besitzt eine Kraft, die manchmal gebändigt werden muss, die ihn aber zu einem außergewöhnlichen Schauspieler macht. Besonders in der Abdankungsszene, in der er in vollendeter Weise den mystisch befeuerten Wahnsinn von Philipp V. verkörpert, finde ich ihn umwerfend. Ich habe ihn mir von Anfang an in dieser Rolle vorgestellt, weil er zugleich extrem sensibel und imposant ist. Auch Olivier Gourmet als Regent war für mich eine naheliegende Wahl. Tatsächlich war der Regent effeminierter, doch die Brutalität, die Gourmet ausstrahlte, passt gut zum Kuhhandel-Charakter des Austauschs: Ich verkaufe dir meine Tochter und kaufe deine...

Ich wollte auch unbedingt Maya Sansa für die Rolle der spanischen Königin Elisabeth Farnese. Alle diese Schauspieler waren genau die richtigen Leute, auf die ich gehofft hatte, selbst bei den Nebendarstellern, wie etwa Vincent Londez, der Saint-Simon spielt. Wir sehen zwar nicht viel von ihm, doch er schafft es, mit nur einem Blick, Präsenz zu zeigen.


Wie war Ihre Zusammenarbeit mit Kameramann Gilles Porte?

Was Schauspieler betrifft, so vertraue ich ihrem Talent, ihrer Fähigkeit zu improvisieren – das gilt jedoch nicht für einen Regisseur während des Drehs. Folglich bereite ich alles im Voraus vor, besonders die Drehfassung. Einen Monat vor dem Dreh habe ich mit Gilles die verschiedenen Orte und Sets aufgesucht und die Stellungen der Schauspieler Szene um Szene ausprobiert, um die Kamerapositionen herauszufinden. Letztendlich haben wir die Drehfassung ziemlich exakt befolgt. Um Gilles meine Vorstellung für die Beleuchtung zu verdeutlichen, zeigte ich ihm Gemälde, besonders eins, das perfekt mit dem übereinstimmt, was ich vorhatte: das Gemälde eines Kindes von Gainsborough. Ich mochte die Lichtreflexe, die er auf das Gesicht des Kindes zauberte, und Gilles hat sich davon auf brillante Weise inspirieren lassen.


Und wie haben Sie die Musik erarbeitet?

Ich wandte mich an Marc Tomasi, der bereits die Musik für meinen Fernsehfilm „Der Fluch des Edgar Hoover“ (2013) komponiert hatte. Ich wollte Musik in einem neobarocken Stil, und Marc hat Tag und Nacht gearbeitet, um die Komposition des Soundtracks rechtzeitig fertig zu bekommen. Der Applaus, den ihm die Musiker des London Symphony Orchestra während der Aufnahme spendeten, bedeutete für ihn die größtmögliche Auszeichnung.


Warum interessieren Sie sich so sehr für historische Figuren?

Das ist bei mir seit jeher so. Als Kind hatte ich einen Mann vor Augen, dessen Leben mit der Geschichte kollidiert war: Mein Großvater wurde während des ersten Weltkriegs entsetzlich entstellt. Dieser Zusammenprall zwischen Geschichte und Privatleben führte mir eindringlich vor Augen, dass große Dinge äußerst dramatische Folgen für Individuen haben können. EIN KÖNIGLICHER TAUSCH erzählt auf seine Weise, von jenen Mächten, die uns manipulieren und kollektiv ins Desaster hinabziehen. Es ist eine Geschichte, die auch ich hätte schreiben können. 

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Philipp V. von Spanien .     LAMBERT WILSON
Louise Elisabeth                ANAMARIA VARTOLOMEI
Philipp von Orléans,
Regent von Frankreich      OLIVIER GOURMET
Madame de Ventadour      CATHERINE MOUCHET
Don Luis .                          KACEY MOTTET KLEIN
Ludwig XV.                        IGOR VAN DESSEL
Maria Anna Victoria,
die Infantin                        JULIANE LEPOUREAU
Elisabeth Farnese             MAYA SANSA
Princesse Palatine            ANDRÉA FERRÉOL

Abdruck aus dem Presseheft