f koniglicher 3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Februar 2019, Teil 7

Claire Vassé

Paris (Weltexpresso) - Wie haben Sie von diesem erstaunlichen Austausch von Prinzessinnen erfahren?

Aus den Memoiren des Herzogs von Saint-Simon. Und weil Ludwig XV. schon in meinem vorigen Roman, „Le Testament d’Olympe“ vorkam. Ich hatte mehrere Biographien über ihn gelesen, in denen nebenbei erwähnt wurde, dass er im Alter von elf Jahren mit der spanischen Infantin Maria Anna Victoria, damals vier Jahre alt, verheiratet wurde. Während des Ancien Regimes waren politische und diplomatische Heiraten sehr üblich. Ihr Zweck bestand darin, den über Generationen gehegten Hass zwischen den Nationen zu mildern. Das Schicksal dieser Prinzessinnen war ziemlich hart, da sie vergangene Kriege repräsentierten – sie waren in gewisser Weise Geiseln. Das Besondere im Fall von Maria Anna Victoria und Ludwig XV. ist ihr sehr junges Alter. Das verschlug mir die Sprache.


Tatsächlich ist für uns heute der Anblick dieser geopferten Kindheiten, die zugleich eine erwachsene Reife ausstrahlen, etwas sehr Überraschendes.

In der Tat, diese Kinder sind bloße Instrumente, Schachfiguren in politischen Plänen, völlig jenseits ihrer Kontrolle. Was mich faszinierte war diese völlig andere Auffassung von Kindheit, die Sichtweise auf Körper, Zeit und Tod. Diese Kinder sind einerseits völlig unschuldig, wie die Briefe von Madame de Ventadour, der Gouvernante der Infantin, zeigen. Doch vom Moment an, in dem ihr Vater ihr ankündigt, dass sie dazu bestimmt sei, die Königin von Frankreich zu werden, nimmt dieses kleine Mädchen seine Rolle mit ganzem Ernst an. Wie Ludwig XV. ist sie zugleich das Opfer von Manipulation und eine Herrscherin.

Ich glaube, wir haben deshalb so viel Probleme damit, diese Reife zu verstehen, weil wir uns heute in einem entgegengesetzten Prozess befinden: Die Kindheit wird manchmal bis in die Jugend ausgedehnt, die ihrerseits unendlich scheint – wobei das Alter, in dem man als Erwachsener Verantwortung übernimmt, immer weiter hinausgezögert wird. In der damaligen Epoche war Kindheit ein im Grunde nicht existierendes Stadium. Und das galt für jede Schicht.


Ludwig XV. hatte ein ausgeprägtes Bewusstsein für den Tod...

Nachdem er in sehr jungem Alter Mutter, Vater und Brüder verloren hatte, fühlte sich Ludwig XV. permanent vom Tod umzingelt – umso mehr, da er beständig in Gefahr schwebte, vergiftet zu werden. Im Film fragt er: „Könnte jemand ein Kind töten, um seinen Thron zu bekommen?“

Ich glaube, dass Ludwig ein Leben voller Stille und Trauer führte, voller Sehnsucht nach seiner Mutter, die eine außergewöhnliche Frau war. Daher rührt seine tiefe Verbundenheit zu seiner Gouvernante, obwohl diese zur Gouvernante der Infantin wird. Ludwig XV. und die Infantin werden unfreiwillig zu Rivalen um die Aufmerksamkeit der einzigen Person, die sie lieben: Madame de Ventadour.


Welche Erziehung genoss Ludwig XV. bei der Vorbereitung auf seine Position als Herrscher einer ganzen Nation?

Er war intelligent und wurde mit großer Sorgfalt erzogen. Er hatte sehr aufmerksame Lehrer. Sie erklärten ihm die hauptsächlichen gegnerischen Mächte, Karten der verschiedenen Länder, unterwiesen ihn jedoch, streng genommen, nicht in Diplomatie. Ludwig XV. war seit dem Alter von fünf Jahren König, doch bevollmächtigt als absoluter Herrscher wurde er mit 12 Jahren durch seine Krönung in Reims. Ab da konnte er alles entscheiden. Doch, wie er selbst sagt, regierten andere an seiner Stelle, in seinem Namen.

Die Prinzessinnen indes genießen, mit Ausnahmen, fast keine Ausbildung, werden aber andererseits unterwiesen in Beschäftigungen, die „vornehmen Damen“ geziemen, wie etwa Kunsthandwerk und Musik. Die daraus resultierende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern setzte sich über sehr lange Zeit fort.


Der Film taucht tiefer in die Fikton ein als Ihr Buch, besonders hinsichtlich der Beziehung zwischen Luis und Louise Elisabeth, die, anders als in Ihrem Buch, sich letztendlich ihrem Ehemann annähert.

Ich denke, dass der größte Unterschied zwischen einem Roman und einem Film darin besteht, dass ersterer offener ist für Interpretation. Dies ist ein Luxus, den sich Filme nicht leisten können, weil ein Film innerhalb einer beschränkten Zeitspanne und für ein Publikum gezeigt werden muss. Deshalb müssen bestimmte Entscheidungen getroffen werden. Im Buch blieb ich den Briefen von Luis treu, in denen er seine Liebe für Louise Elisabeth ausdrückt, die ihrem Ehemann nicht besonders nahe steht, außer vielleicht ganz am Ende. Und genau dieses positive und gefühlvolle Ende wollten Marc Dugain und ich im Film weiterentwickeln. Durch diesen letzten Liebesfunken zwischen ihnen wirkt der frühe Tod des Prinzen noch grausamer. In dem Moment, in dem Louise Elisabeth beginnt, ihn zu lieben, geht also etwas Entscheidendes verloren. Ich verstand Louise Elisabeth erst wirklich, als ich nach Madrid ging und ihre Notizen las. Offenkundig hatte man sie nicht schreiben gelehrt, sie hatte keine Erziehung bekommen, sie wurde von ihrer Familie nicht geliebt, und dieser Mangel an Liebe setzte sich mit der spanischen Königsfamilie fort. Der einzige Mensch, der sie lieben konnte, war Luis, doch dies entdeckte sie zu spät.


Letztendlich beginnen wir Don Luis sehr zu mögen...

Don Luis war gefällig und wohl gestaltet, aber sehr unglücklich. Als Inspiration studierte ich in Madrid verschiedene Gemälde der königlichen Familie. Eins davon, in dem er in einem blassen grauen Kostüm porträtiert wird, ist besonders verstörend. Seine Geschichte ist ziemlich tragisch. Seine Schwester Maria Anna Victoria hatte eine große Bestimmung, aber er ging an seinem erstickenden Unglück schier zugrunde. Zuerst wegen des Verlustes seiner Mutter, dann wegen seiner Gefangenschaft in den Klauen der kalten und verächtlichen Farnese, die ihm die Luft abschnürte. Es war schrecklich, wie er die königliche Verantwortung schultern musste und von ihr gleichzeitig herabgesetzt wurde. Wenn er sich dem Gemälde von Louise Elisabeth zuwendet und sie anfleht, ihn zu lieben, wird klar, dass all seine Hoffnungen auf ihr ruhen.


Elisabeth Farnese, Königin von Spanien, war eine unversöhnliche Mutter und Stiefmutter...

Farnese hatte mit schlangenartiger Hinterlist die eigentliche politische Führung des spanischen Hofs übernommen. Und sie misshandelte die Kinder aus der ersten Ehe von Philipp V., besonders Luis. Im Film ist sie weniger präsent als im Buch, weil es wichtiger war, sich auf die vier Kinder zu konzentrieren. Aber wir begreifen schnell, welch faszinierendes Paar sie mit Philipp V. bildete, der in einer merkwürdigen Leidenschaft für sie gefangen war und verfügte, dass sie nie weit weg von ihm sein durfte. Wir können leicht erkennen, dass dieses Paar ein zweiköpfiges Monster darstellte – und wie vollständig und entsetzlich Philipp von Mystizismus und Paranoia verzehrt wurde.


Die Geschichte der Infantin hat im Film ebenfalls einen größeren fiktionalen Anteil, wenn Ludwig XV. ihr mehr Aufmerksamkeit erweist als im Buch ...

Es handelt sich vielleicht nicht um mehr Fiktion, sondern darum, dass er nicht ganz so gnadenlos agiert. Ludwig XV. streckt seine Hand weiter aus als im Film. Doch was Buch und Film teilen, ist die Schwierigkeit dieser Kinder, ihr eigenes Leben zu gestalten, ihre Einsamkeit, ihr Versuch, sich zurecht zu finden in einer Welt, in der sie Gefangene eines schrecklichen politischen Machtspiels sind und Gefahr laufen als Individuen vollständig zertreten zu werden.


Homosexualität ist in der Handlung sehr präsent.

Homosexualität ist ebenfalls ein Thema, das in Biographien gemeinhin beschönigt oder ignoriert wird, besonders bei Ludwig XV., der zwar durch die Zahl seiner jungen Mätressen in seinem Leben berüchtigt wurde. Dennoch verbrachte er Jahre im Kreise von homosexuellen Freunden und geriet selbst in Versuchung. Was die Homosexualität von Louise Elisabeth betrifft, so verhält es sich hier nicht so wie in meinem Roman „Les Adieux à la Reine“ („Leb wohl, meine Königin!“), in dem ich die Figur der Vorleserin erfand und ihr ein unbewusstes Begehren verlieh. Hier aber ist die Beziehung der Prinzessin zu einer ihrer Zofen historisch belegt.


Wie gestaltete sich Ihre gemeinsame Arbeit mit Marc Dugain am Drehbuch?

Er kann auf sehr direkte, schnelle und markante Art ausdrücken was er sich vorstellt und was er will. Wir kürzten den Roman und wählten jene Szenen aus, von denen jeder von uns das Gefühl hatte, dass sie wichtig genug waren, um sie zu behalten. Ich habe manche Passagen laut vorgelesen, Marc hat sie sofort in Dialoge übertragen, die er mir dann schickte und die ich erneut las. So gab es einen Kreislauf zwischen lesen, aussprechen, erneut lesen, erneut darüber sprechen – doch es gab auch Gelächter. Und es gab auch Zeiten, in denen wir uns gegenseitig Geschichten erzählten, auch persönliche Geschichten. Marc und ich interessieren uns nicht für dieselben historischen Epochen, aber wir haben uns sehr schnell verstanden. Ihn hat, glaube ich, vor allem das Thema einer Kindheit zwischen Macht und Tod gereizt.


Warum zog Ludwig XV. zu Beginn des Films nach Versailles um?

Als Ludwig XIV. 1715 starb, wollte der Regent nicht in den Hof von Versailles ziehen. Er lebte im Palais Royal und liebte Paris. Deshalb hatte er Ludwig XV. in seine Nähe umgesiedelt, in den Louvre. Sieben Jahre später dann zogen sie gemeinsam nach Versailles, vor allem aus politischen Gründen. Die Entourage des Regenten war der Meinung, dass es gut für die Popularität von Ludwig XV. sei, in die Fußstapfen seines Vorgängers zu treten. Ich bin total fasziniert von Versailles, diesem politischen Symbol, durchdrungen von der Idee des absolutistischen, vom Volk entfernten Königtums. Und ich liebe seine labyrinthische Architektur, diese Veränderungen, die von einem Herrscher zum nächsten vorgenommen wurden. Wir sind wohl vertraut mit dem Offensichtlichen, der Pracht und dem Zeremoniellen: etwa in dem Spiegelsaal und den Räumen des Königs und der Königin. Doch es gibt eine andere Seite, in die wir nicht eingeweiht sind. Jene verwinkelten Korridore und Räume, die nie gelüftet wurden, sind auch ein Teil von Versailles, und auch die vielen Schicksale, die, unfähig der höfischen Verlockung zu widerstehen, dort zerschmettert wurden.


Der Film zeigt nur wenig vom höfischen Prunk.

Als Ludwig XV. in Versailles ankam, stand das Schloss seit sieben Jahren verlassen da und wurde kaum instand gehalten. Der Hof brauchte einige Zeit, um sich im Schloss wieder einzurichten. Der Film zeigt die Schattenseite der makellosen und monumentalen Kulisse von Versailles. Es ist hier sogar ein eher intimer Raum: ein einst mächtiger Ort, irgendwo in der Pampa, der für mich fast etwas Märchenhaftes hat. Zumal diese ganze Geschichte sehr an ein Märchen erinnert.


Die Filmfigur des Regenten Philipp von Orléans wirkt ziemlich komplex

Ich empfinde für ihn viel Sympathie. Als ich am CNRS (Centre national de la recherche scientifigque) arbeitete, haben wir ihm ein ganzes Buch gewidmet. Der Regent war ein wirklich markanter Charakter, eine geistreicher, brillianter Kopf. Er verzehrte sich sein ganzes Leben nach der Macht, wurde aber von seinem Onkel, Ludwig XIV. zurückgehalten, vor allem weil er so brilliant war. Erst nach dem Tod von Ludwig XIV. konnte der Regent seine wahren Fähigkeiten beweisen. Der Regent war ein Zyniker, wie wir in der Szene des Tauschhandels sehen, aber er war Ludwig XV. dennoch sehr zugewandt.

Über ihn ist vor allem bekannt, dass er ein wollüstiger Libertin war, wenig bekannt ist aber, dass er ein klares Verständnis der internationalen Politik hatte, dass er ein Auge als Kunstsammler besaß, und ein Ästhet war. Er liebte Musik und komponierte Opern. In seiner Regentschaft wurde der Hof, nach dem Ende der Herrschaft von Ludwig XIV buchstäblich menschenleer, neu formiert.


Die Mutter des Regenten, Liselotte von der Pfalz („princesse palatine“), war eine großartige Frau...

Die Mutter des Regenten ist eine meiner liebsten Charaktere. Ich bete sie an! Von Louise Elisabeth und Farnese wissen wir nur durch indirekte Quellen. Und die „princesse palatine“ ist bekannt für ihre umfangreiche Korrespondenz, was uns eine Menge Informationen über sehr viele Ereignisse verschaffte. Im Besonderen über die kleine Maria Anna Victoria, die so liebenswert und bezaubernd war. Sie beschreibt das kleine Mädchen in ihren Briefen in einer Weise, die sehr berührt. Die „princesse palatine“ ragt aus den anderen Figuren hervor, weil sie sich in einer Welt, deren Bewohner sich über die Jagd, die letzten Theatervorstellungen, und Klatsch unterhielten, so lebhaft auszudrücken wusste. Die „princesse palatine“ trug ihr Herz auf der Zunge, was im Hof des Sonnenkönigs skandalös war.


Glauben Sie, dass diese Geschichte auch heute relevant ist?

Ja, wegen der Art, mit der Kinder behandelt wurden. Heute sagt zwar jeder, dass ihr Glück das erstrebenswerteste Ziel ist. Doch Kinder werden oft unbewusst zu Schachfiguren in den Strategien der Eltern umfunktioniert – und diese setzen mit ihren widersprüchlichen Gefühlen das emotionale Gleichgewicht der Kinder aufs Spiel. Nur geschieht dies heute nicht mehr auf einer politischen Ebene, sondern auf einer familiären Ebene. Und auch auf einer ökonomischen Ebene, denn Kinder repräsentieren als Konsumenten einen riesigen kommerziellen Markt. Und wenn wir über den Tellerrand unserer Kultur hinausblicken, so ist das Thema der Zwangsheiraten, die in vielen Kontinenten immer noch erlaubt sind, hochaktuell. Wir empören uns über diesen entsetzlichen, im 18. Jahrhundert praktizierten Brauch, aber wer spricht über die Millionen von Frauen, die in afrikanischen Ländern, in Indien oder Afghanistan, zwangsverheiratet werden? Kleine Mädchen oder Teenager werden als das Eigentum von Eltern behandelt, die mit ihnen tun können, was ihnen beliebt. Diese Abscheulichkeit ist heute umso mehr relevant.


Und diese Politik, die aus kaum mehr als kleinkarierten Verhandlungen und Manipulation besteht...

Im Ancien Regime wurde Politik zwischen Familien gemacht. Die Herrscher waren alle mehr oder weniger Brüder und Cousins – was übrigens, zu Beginn der französischen Revolution, die Unfähigkeit von Marie Antoinette erklärt, allein die Vorstellung von Nation zu begreifen! Diese familiäre Dimension ist aus der modernen Politik in unserer heutigen Zeit verschwunden. Und dann wiederum, wenn Sie Marc Dugains letzen Roman „Ils vont tuer Robert Kennedy“ lesen, erkennen Sie, wie außergewöhnlich die Geschichte des Kennedy-Clans ist: diese enge Beziehung zwischen zwei Brüdern, die Angst vor Verschwörung, der Fluch, der über der Familie liegt. Und das in einem Land, das so riesig und modern zu sein scheint.

Damals, als wir am Drehbuch arbeiteten, hatte Marc dieses Buch noch nicht geschrieben. Doch jetzt, da ich es gelesen habe, verstehe ich umso mehr seine Auffassungen, seinen analytischen Geist, seine fantasievolle und zugleich praktisch-forensische Art, die ihn zu dem Gedanken hinführte: Im Herzen der Macht regiert die Finsternis. Auch DER KÖNIGLICHE TAUSCH findet im Herz der Finsternis statt. Und doch hat diese Geschichte eine einzigartige Strahlkraft, dank der vier Kinder, die sich, allen Umständen zum Trotz, als wahre Könige und Königinnen erweisen. 

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Philipp V. von Spanien .     LAMBERT WILSON
Louise Elisabeth                ANAMARIA VARTOLOMEI
Philipp von Orléans,
Regent von Frankreich      OLIVIER GOURMET
Madame de Ventadour      CATHERINE MOUCHET
Don Luis .                          KACEY MOTTET KLEIN
Ludwig XV.                        IGOR VAN DESSEL
Maria Anna Victoria,
die Infantin                        JULIANE LEPOUREAU
Elisabeth Farnese             MAYA SANSA
Princesse Palatine            ANDRÉA FERRÉOL

Abdruck aus dem Presseheft