Bildschirmfoto 2019 05 02 um 10.33.01Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Mai 2019, Teil 4

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Der Flohmarkt von Madame Claire ist die Verfilmung eines Romans von Lynda Rutledge. Was hat Ihnen an dem Film gefallen?

Ich sammle unglaublich gerne Dinge, ich fühle mich in leeren Wohnungen nicht wohl, und ich bin ein Fan von Flohmärkten und Antiquitätenmärkten. Die Leute, die dort ihre Sachen verkaufen, stellen sich aus, ohne es zu wissen. Diese Objekte sind wie eine offene Tür zu ihren Familiengeschichten. Sie haben etwas erlebt, sie haben eine Seele, Fleisch. Eine enge Freundin hat mir das Buch geschenkt, da sie beim Lesen an mich denken musste.

Bildschirmfoto 2019 05 02 um 10.32.35Sie hat ganz richtig gedacht, ich bin sofort in die Geschichte eingetaucht, da der Roman etwas erzählt, das mich bewegt: die komplexen Beziehungen zwischen Mutter und Tochter; die Toten, die uns verfolgen; die Dinge und Möbel, die uns überfluten und uns als Ersatzerinnerung dienen; die Geheimnisse, und das Nichtgesagte in Familien, die uns schwer zusetzen; das Ende des Lebens, das uns aufl auert; die Erinnerung, die uns ausmacht, uns gefangen hält und uns gleichzeitig erstickt, und das Vergessen, das uns traurig macht, aber uns auch befreit und erleichtert.

Meine Verbundenheit zu den Dingen kommt hat sich über mehrere Generationen übertragen. Die Häuser meiner Kindheit waren voller Erinnerungen aus Reisen, Familienerb- und Fundstücken und Sammlungen. So viele Bedeutungen, zarte Verbindungen, Erinnerungen, Symbole von Zeiten und Orten, denen man nachtrauert, und Brennpunkte aus unserem Leben, von denen man sich so schwer lösen kann. Trotz aller Kritik, die ich als Kind dieser pathologischen Verrücktheit und der unverhältnismäßigen Begeisterung für Staubfänger entgegenbrachte, habe ich mir den Virus trotzdem eingefangen. Es war für mich der Moment, eine Inventur dieser Dämonen zu unternehmen und mich dem zu nähern, was auch mich konstruiert hat. Und meine Produzentin Yaël Fogiel hat mich in meinem Vorhaben ermutigt.


Die letzte Verrücktheit Ihrer Heldin besteht darin, einen Flohmarkt zu organisieren, um alle Dinge ihres Hausstands zu verkaufen.

Ich weiß, bis zu welchem Grad das Anhäufen und das Sammeln einen starken Sinn ergeben: in der Psychoanalyse sagt man, das Sammeln bedeutet, den Tod abzuwenden, ihn wegzustoßen, denn man findet ohne Ende neue Stücke für ein Puzzle ohne Grenzen. Und dieses unendliche Gebäude, durch seine Vermassung und seine Komposition, wird selbst ein Werk, ein Blick und ein Lächeln auf diese Welt von menschlichen Dingen. Dementsprechend ist der Verkauf ihrer Sachen für Claire Darling ein noch verrückterer Akt, denn wie sie zum Pfarrer so schön sagt, die Dinge haben es ihr erlaubt, die Proben, auf die uns das Leben stellt, durchzustehen. Zu akzeptieren, dass all die Objekte, die sie gekauft hat, sie überleben werden und ein neues Leben haben können und das bedeutet nichts weniger als den Tod zu akzeptieren.


Ihre Geste ist auch voller Ungezwungenheit und Freiheit...

Die Idee des Loslassens hat mir an dem Roman besonders gefallen. Claire Darling befreit sich, in dem sie ihre Gegenstände quasi verschenkt, sie will niemandem ein Erbe hinterlassen. Auch wenn sie den Einkäufern zu jedem Gegenstand seine Geschichte erzählt. Es geht für sie nicht darum, die Dinge zu verscherbeln, sondern sie zu übergeben. Für mich ist dieser letzte Akt der Freiheit eine Reaktion auf die Frustrationen ihres Lebens. Ein Ventil. Claire Darling hatte ein Leben, etwas außerhalb der Zeit, der Welt, sie war nicht immer lieveoll und achtsam ihrem Umfeld gegenüber, vor allem was ihre Tochter angeht. Aber es war für sie ein Schutz, eine Art Panzer. Ohne diesen hätte sie nicht durchgehalten. Mit dieser letzten Verrücktheit akzeptiert sie ihre Schwächen, ihre Exzesse, ihre Fehler und versöhnt sich mit ihrer Tochter.


Die Dinge bilden das Zentrum der Geschichte, aber sie sind nicht festgelegt auf ihre antiquarische Eigenschaft.

Ich wollte, dass man ihre Schönheit spürt, ihre Zugehörigkeit zu einer Geschichte, wie die Dinge, die einen Aufziehmechanismus haben, die affektiv noch mehr beladen sind, da einige davon meiner Großmutter gehörten. Aber bereits beim Drehbuchschreiben habe ich sehr darauf geachtet, nicht in Ästhetizismus zu verfallen und habe dafür gesorgt, dass die Gegenstände mit der Geschichte verwoben sind, und immer durch den Blick einer Person gesehen werden. Jedes bot die Möglichkeit, ein Stück des Puzzles des Lebens dieser Familie zu erzählen.


Genauso wie die Dinge so ist auch die Vergangenheit im Film nie reine Rekonstruktion, sondern in die Gegenwart integriert.

Bildschirmfoto 2019 05 02 um 10.34.30Meine Ko-Autorin Sophie Fillières und ich haben mit den verschiedenen Zeitebenen gespielt, mit der ungeordneten Ebene der Erinnerung und der des einheitlichen Zeitrahmens eines 24-Stunden- Tages. Wir haben versucht, Erinnerungsmomente zu verlebendigen, die einen geisterhafen Effekt haben und einen Eindruck von Gleichzeitigkeit, An- und Abwesenheit, hervorbringen. Das Wichtige war nicht die Vergangenheit an sich, sondern die Erinnerungen an die Vergangenheit, die bei Claire, ihrer Tochter oder der Kindheitsfreundin Martine bruchstückhaft an die Oberfl äche steigen. Die Dinge sind wohl nicht genauso geschehen, aber das ist zweitrangig. In ihren Erinnerungen sind sie sehr komprimierte Momente der Vergangenheit. Diese parallele Erzählung erschien uns eine gute Art, die lineare Erzählung eines Tages, des letzten Tages dieser Frau, die ihr Leben an sich vorbeiziehen sieht, zu erhellen, zu bereichern und komplexer zu machen.

Der Versuch, die Zeitlichkeit flach darzustellen, war eines der Grundprinzipien, das ich auch bei der Inszenierung weitergeführt habe. Ich wollte totale Subjektivität, aber keine unscharfen Bilder, keine Objektivwechsel oder Farbwechsel. Und so sind wir dann auch mit meiner DOP Irina Lubtchansky vorgegangen. Ich wollte, dass die Zeitsprünge sehr nüchtern passieren und dass man Zweifel haben kann: hat das wirklich stattgefunden? Als Claire Darling wieder in den Garten kommt und der Flohmarkt plötzlich weg ist, kann man sich fragen, was wahr ist und was nicht. Und ich habe auch traumartige Visionen hinzugefügt, die nicht im Buch waren: die Farandole der Kinder, die Fahrräder in den Bäumen, das Box-Auto...Ich wollte, dass das Publikum sich in verschiedene Niveaus der Wirklichkeit projizieren kann, zwischen dem Wundersamen, dem Märchen und der Realität schwanken kann. Als Claire die Vision von den Neuvermählten hat und man sie plötzlich in ihrer Mitte sieht, denkt man, dass es sich um eine Erinnerung handelt. Aber wer sind diese anderen Frauen? Vielleicht all die Generationen von Frauen, die über die Liebe fantasieren, die von der Liebe so viel erwartet haben. Und von denen einige vielleicht Leben wie Claire Darling geführt haben, voller Tragödien, Kompromissen und Enttäuschungen.


Dann ist da noch das kleine Mädchen, dass aus dem Nichts auftaucht und das ganze Geschehen um das Haus herum beobachtet.

Diese kleine Mädchen ist im Buch mehr erklärt. Es war eine kleine Waise aus dem Dorf. Im Film sind die Momente, in denen sie erscheint, magischer und mysteriöser. Ist es ein kleines Mädchen aus dem Dorf, das herumschnüffelt? Handelt es sich um Claire oder ihre Tochter als sie klein waren? Das Gleiche gilt für die Farandole im Garten. Sind es tatsächlich Kinder aus dem Dorf, oder Kinder, die durch die Jahrhunderte hindurch das Haus betreten haben?

FORTSETZUNG FOLGT

Fotos:
Madame Claire (Catherine Deneuve) begegnet den Memoiren ihres Lebens
© Neue Visionen Filmverleih

Info:
Besetzung

Claire Darling          Catherine Deneuve, Alice Taglioni
Marie Darling          Chiara Mastroianni, Colomba Giovanni, Mona Goinard
Amir                        Samir Guesmi, Amine Mejri
Martine                   Laure Calamy, Lewine Weber
Claude Darling       Olivier Rabourdin
Priester Georges    Johan Leysen, Julien Chavrial
Martin Darling         Simon Thomas, Joseph Flammer
Junge Helfer           Valentin Dériaud, Yasin Houicha, Morgan Niquet, Jérémy Beuvin