f frau 2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Mai 2019, Teil 10

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) -  Aynur erzählt in NUR EINE FRAU selbst von ihrem Leben und von ihrem Tod. Worauf basiert diese subjektive Sichtweise?

Zum einem reflektiert unser Film eine objektive, gerichtlich festgestellte Sicht auf diesen Fall. Dafür haben wir uns streng an die unterschiedlichen Urteile der Richter gehalten, an psychologische Gutachten, Zeugenaussagen und generell all das, was im Rahmen des gesamten Prozesses zu erfahren war.

Unsere Erzählung basiert auch stark auf den Recherchen der rbb-Journalisten Matthias Deiß und Jo Goll, die für ihre Dokumentation und ihr Buch mit beinahe allen Beteiligten des Falls gesprochen haben. NUR EINE FRAU nimmt sich aber auch die Freiheit, das Leben Aynurs in diesem Rahmen subjektiv aus ihrer eigenen Sicht zu erzählen. Wir nehmen in unserem Film ganz radikal Aynurs Position ein, sie selbst schildert ihre Version ihrer Geschichte.

In beiden Dokumentationen über diesen Fall sind es auch Aynurs Brüder, die zu Wort kommen. Natürlich geben diese Filme damit auch deren Sicht auf den Mord wieder. Wir aber wollten jene Sichtweise zeigen, die Aynur eingenommen hätte. Auch diese haben wir nicht frei erfunden, sondern sie durch lange Gespräche belegt, die u.a. mit Aynurs Freundin, ihrem Meister und den Mitarbeitern des Jugendamts geführt wurden. Ergänzend haben wir mit Aynurs damaligem Freund, mit Mitarbeitern des Jugendamtes, mit der Anwältin der Kronzeugin und mit ihrem Ausbilder gesprochen. All das hat uns die Möglichkeit gegeben, in unserem dokumentarischen Spielfilm Aynurs subjektive Sicht auf die Dinge einzunehmen.


Mittlerweile sind mehr als 14 Jahre vergangen, seitdem Aynur an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof von ihrem Bruder erschossen wurde. Warum kommt Ihr Film jetzt?

Obwohl der Mord an Aynur so lange zurückliegt, ist er in vielerlei Hinsicht noch sehr aktuell. Die juristische Aufarbeitung reichte noch bis in das Jahr 2017 hinein, als in Istanbul zwei Brüder Aynurs aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden. 2018 wurde in Berlin eine Brücke nach Aynur benannt. Aynurs Ermordung hat damals eine breite Debatte ausgelöst über Integration und Fehler, die dabei gemacht wurden. In den Jahren danach hatten viele die Hoffnung, dass tatsächlich ein Umdenken eingesetzt hätte, vor allem in den türkischen und kurdischen Gemeinden in Deutschland. Das Thema Zwangsheirat und familiäre Gewalt ist aber noch längst nicht gelöst. Die letzten Jahre haben, ganz im Gegenteil, die Sorge aufkommen lassen, dass die Entwicklung wieder zurückgedreht werden könnte. Nicht nur, weil Zwangsheirat auch in neuen Zuwanderergruppen ein Thema ist, sondern auch, weil wir eine Zunahme an fundamentalistisch-religiösen Tendenzen beobachten können. Ich habe das Gefühl, dass Aynurs Tod gerade in unserer Gegenwart nicht vergessen werden sollte.

Ist die Debatte über „Parallelkulturen” inzwischen nicht noch intensiver geworden?

Ich bin sehr vorsichtig mit dem Begriff „Parallelkultur” – das klammert aus und gibt allen Seiten die Möglichkeit, sich hinter die eigenen Mauern zurückzuziehen. „Parallelkultur” impliziert: Das sind die anderen, nicht wir. Wir können aber nicht so tun, als ob unsere Nachbarschaft aus lauter „Parallelwelten” bestünde, die uns nichts angingen. Wir alle tragen eine Verantwortung für unsere Gesellschaft. Ich lebe mit meiner Familie in Berlin, und für mich gilt: Wenn etwas hier in meiner Stadt passiert, dann ist das auch meine Sache – kümmere dich darum!


Wie würden Sie diese Haltung in Bezug auf den Film beschreiben?

Ich bin durch unseren Berliner Verein Vincentino e.V., der an sogenannten Brennpunktschulen kulturelle Bildungs- und Medienprojekte durchführt, häufig mit Kindern und Jugendlichen in Bezirken wie Neukölln und Kreuzberg in Kontakt. Auch dadurch ist mir klar geworden, dass sich in den vergangenen Jahren häufig überkommene Vorstellungen von – und das sage ich jetzt ganz bewusst – nicht Traditionen sondern von Werten verfestigt haben, die mit unseren nicht vereinbar sind. Das bringt eine Menge an Arbeit mit sich, die mit dem Schlagwort Integration alleine gar nicht zu erfassen ist. Vielmehr geht es doch darum, das zu verteidigen, was wir uns über Jahrhunderte erkämpft haben: die allgemeine Gültigkeit von Menschenrechten, die Selbstbestimmung eines jeden Menschen, auch so etwas wie das Recht auf ein ,pursuit of happiness‘ – ganz unabhängig davon, ob man eine Frau ist oder welcher Religion man angehört.


Eine Haltung, die auch eine Aufforderung beinhaltet.

Mich bedrückt es wirklich sehr, dass wir bei Frauenrechten gerade einen Rückschritt zu machen scheinen. Viel zu lange haben wir gedacht, dass sich das schon von alleine zurecht rüttelt. So läuft das aber nicht. Auf der anderen Seite gibt es inzwischen Kräfte, die das, was uns kulturell unterscheidet, missbrauchen, um eine ganze Religion oder einen ganzen Kulturkreis zu diskreditieren. Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Ich will noch einmal ganz deutlich sagen – und das ist übrigens auch im Sinne der liberalen Muslime in Berlin: Wir leben in einem Land, in dem Frauenrechte Menschenrechte sind, und in dem diese durch unsere Verfassung geschützt sind. Da gibt es keine Kompromisse. Man kann es auch so sehen: Aynurs Geschichte steht für den Kampf der Frauen gegen männliche Dominanz und Gewalt. Den gibt es seit Menschengedenken - er verkleidet sich nur immer in neue Riten, Traditionen oder Religionen. Wer Aynurs Schicksal alleine der türkisch-kurdischen oder islamischen Kultur aufladen möchte, verkennt die Dimension.


Was würden Sie denjenigen Kräften entgegnen, die die kulturellen Unterschiede für ihre Zwecke nutzen möchten?

Dass es eben nicht darum geht zu generalisieren und zu sagen, eine ganze Gruppe von Menschen an sich passt nicht, oder gleich eine gesamte Religion. Ich lebe in meiner Stadt mit Türken, Kurden und Arabern zusammen, und mit den allermeisten von ihnen tue ich das sehr gut und nicht anders als mit Deutschen, Polen oder Senegalesen. Es ist doch ganz wichtig zu sehen, dass es diese Mehrheit in unserer Gesellschaft gibt, die an einem Strang zieht, egal, welcher Ethnie oder Religion sie angehört. Das zeigt gerade auch unser Film: es gibt auch Aynurs Ausbilder oder mutige Frauen wie Evin und ihre Mutter. Mit ihnen müssen wir den Schulterschluss suchen.


Wie kann man derartige Schritte heute unterstützen?

Ich habe gerade wieder mit der Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateș gesprochen, die die Sürücü-Prozesse sowohl in Berlin als auch in Istanbul intensiv verfolgt hat und uns auch zusammen mit der Soziologin Necla Kelek und dem Psychologen Ahmad Mansour zur Seite gestanden hat, um unseren Blick auf die Eigenheiten von Familien wie der von Aynur zu schärfen. Sie erzählte, dass immer wieder junge Frauen und Mädchen bei ihr Unterstützung suchen, um sich von ihrer Familie emanzipieren zu können. Es gibt in Berlin Häuser, die allein dafür geschaffen wurden, um solchen Mädchen einen Zufluchtsort zu geben und ihnen zu helfen, sich aus dem Bann der Familie zu lösen, wenn zum Beispiel eine Zwangsheirat droht. Einige von ihnen schaffen es, aber ein nicht unerheblicher Teil kann sich am Ende nicht lösen und geht zurück.


Können Sie noch etwas dazu sagen, wie aufwändig es war, einen Film wie NUR EINE FRAU für das Kino zu produzieren?

Es war nicht so, dass uns für diesen Film gleich jede Tür offen stand. Aber der Sender dieser Stadt, der rbb, hat uns großartig unterstützt. Von Rolf Bergmann im rbb kam der Impuls, einen Film über diesen Fall zu machen. Außerdem haben alle beteiligten Sender, also rbb, NDR, SWR, HR und WDR nicht nur eine große finanzielle Kraftanstrengung unternommen – übrigens sämtlichst aus Redaktionen, die für Dokumentation verantwortlich sind – sondern uns auch inhaltlich und künstlerisch in jeder Phase getragen. Damit und mit der Förderung durch die Nordmedia, das Medienboard Berlin-Brandenburg und den Deutschen Filmförderfonds, konnten wir unseren Film so realisieren, wie wir es uns von Anfang an vorgestellt haben.


Was ist Ihr Wunsch für den Film?

Ich wünsche unserem Film vor allem viele junge Zuschauer. Und danach einen lebhafte und ehrlichen Austausch und offene Herzen für das, was in unserer Nachbarschaft passiert.

Foto:
© Verleih

Info:
Die Darstellerinnen und Darsteller

Almila Bagriacik – Aynur
Rauand Taleb – Nuri
Meral Perin – Deniya
Mürtüz Yolcu – Rohat
Armin Wahedi – Aram .
Aram Arami – Tarik
Merve Aksoy – Shirin
Mehmet Atesci – Sinan
Jacob Matschenz – Tim
Lara Aylin Winkler – Evin
Idil Üner – Dilber

Abdruck aus dem Presseheft