Hanno Lustig
München (Weltexpresso) - Insgesamt 18 deutsche Produktionen gibt es in der Reihe Neues Deutsches Kino auf dem FILMFEST MÜNCHEN in Weltpremiere zu entdecken. Intime Portraits von Familien und Liebesbeziehungen stehen gesellschaftskritischen Analysen gegenüber, düstere Märchen wechseln sich ab mit munteren Komödien und absurden Satiren. Auch wenn man insgeheim ein wenig schmunzelt, wie oft eigentlich das Neue am Deutschen Kino erfunden werden soll. "Neu", das wird leicht immer das Alte von Gestern. Was aber richtig ist, das ist, das das Prädikat "deutscher Film" nicht leicht deutbar ist. Von daher ist jede Vokabel recht, damit die Filme gesehen werden!
„Diese Filme sind eine Einladung, jede Perfektion über Bord zu werfen, jedes stabile Selbstimage – und sich einfach mal wieder überraschen zu lassen. Am besten von sich selbst“, so Christoph Gröner, Kurator der Reihe Neues Deutsches Kino. Eröffnet wird die Reihe von Ilker Çataks Drama „Es gilt das gesprochene Wort“.
Selbstreflexiv geht es in „All I Never Wanted“ von Leonie Stade und Annika Blendl zu. Darin spielen die beiden Filmemacherinnen sich gewissermaßen selbst. Ihre filmischen Alter Egos drehen eine Dokumentation über zwei Freundinnen, die in den eitlen Scheinwelten der Film- und Modebranche ihren Platz suchen. Auf der Jagd nach dem Traum von Karriere und Selbstverwirklichung müssen alle vier aufpassen, ihre Freundschaft und Integrität nicht aufs Spiel zu setzen. Einen romantisch-nostalgischen Blick auf das Showgeschäft wirft Christian Klandt mit „Leif In Concert“: Die Gäste einer Szenekneipe warten auf den Auftritt des Musikers Leif. Doch der will einfach nicht kommen, sodass sich das Publikum kurzerhand sein eigenes Unterhaltungsprogramm zusammenstellt. Auch der junge David träumt in Sabrina Sarabis „Prélude“ von den großen Bühnen der Welt. Als angehender Konzertpianist droht er am Musikkonservatorium jedoch am Konkurrenz- und Leistungsdruck zu zerbrechen.
Viktor hingegen hat es bereits geschafft: Als Solo-Pianist steht er vor seinem größten Auftritt. Die ganze Familie ist eingeladen – mit Ausnahme seiner Mutter. Doch „Lara“, die Titelheldin des gleichnamigen neuen Films von Jan-Ole Gerster, lässt sich nicht so leicht beeindrucken: Sie besorgt sich ein Ticket und hat ihre eigenen Pläne für den Abend. Mutter-Kind-Beziehungen sind im Neuen Deutschen Kino ein bestimmendes Thema mit vielen Facetten. Während Ava in „Golden Twenties“ von Sophie Kluge nicht gerade begeistert ist, nach dem Studium wieder bei ihrer Mutter einzuziehen, wünschen sich die alleinerziehende Melli und ihr neunjähriger Sohn Ben in Christina Ebelts „Sterne über uns“ nichts sehnlicher, als zusammenbleiben zu können. Ohne eigene Schuld wurden sie obdachlos Das ist aber nur ein Grund, warum sie nun mit dem Gedanken spielt, Ben wegzugeben.
Die Familie hat ihre eigenen Gesetze, vor allem die Beziehung zwischen Geschwistern. Das zeigt „Bruder Schwester Herz“ von Tom Sommerlatte. Franz und Lilly betreiben darin gemeinsam die von ihrem Vater geerbte Rinderzucht, haben jedoch gänzlich unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft. Ein ungleiches Paar sind auch die Protagonistinnen von Elisa Mishtos „Stillstehen“: Julie ist schlagfertig und eigensinnig, Agnes ist hingegen stets bemüht, alles richtig zu machen. Trotz ihrer enormen Unterschiede verbindet die beiden eine außergewöhnliche Freundschaft.
Beziehungen und die Hindernisse, die ihnen im Weg stehen – auch das ist ein Thema im Neuen Deutschen Kino. In Ilker Çataks „Es gilt das gesprochene Wort“, dem Eröffnungsfilm der Reihe, beginnt die Zweisamkeit als Fiktion. Der Kurde Baran und die deutsche Pilotin Marion heiraten zum Schein, um Baran eine Zukunft in Europa zu ermöglichen. Eine gemeinsame Zukunft scheint ganz nah, doch Gefühle und Ängste verkomplizieren die Vereinbarung. Fiktion oder Wahrheit, dieser Frage widmet sich auch „Mein Ende. Dein Anfang.“ von Mariko Minoguchi. Ein frisch verliebtes Paar wird durch einen Unfall jäh auseinander gerissen. Nora bleibt allein und erschüttert zurück, tröstet sich mit einem Neuen. Doch irgendwie ist alles so vertraut. Ein Déjà-vu oder pure Einbildung? Keine Einbildung war jedenfalls die kurze, aber leidenschaftliche Beziehung von Astrid und Julius in „Was gewesen wäre“ von Florian Koerner von Gustorf. Allerdings ist diese Zweisamkeit schon eine ganze Weile her. Als sich die beiden Jahrzehnte später zufällig wiedertreffen, lebt die Vergangenheit plötzlich auf. „Zu zweit Allein“ (Regie: Sabine Koder) sind indes Nina und Karl. Die beiden führen eine Langzeitbeziehung, in der sich Nina zusehends eingeengt fühlt und so eines Tages unangekündigt die Flucht ergreift. Aus der anfänglichen Krise ergeben sich bald frische Perspektiven. Solche erhofft sich auch das Pärchen in Florian Gottschicks „Rest in Greece“ von ihrem Urlaub im ländlichen Griechenland. Doch in ihrem Ferienhaus erwartet die beiden eine faustdicke Überraschung, die ihre Pläne über den Haufen wirft. Im dystopischen Gedankenspiel „Mär“ von Katharina Mihm macht sich ein Journalist auf die Reise quer durchs Land, um der Wiederkehr der Wölfe auf den Grund zu gehen. Dabei verliert er zusehends den Kontakt zu sich selbst und der ihn umgebenden Realität.
Die genannten 14 Filme sind für den renommierten Förderpreis Neues Deutsches Kino nominiert. Gewissermaßen außer Konkurrenz laufen in diesem Jahr zwei sehr unterschiedliche Dokumentarfilme: Während Jens Pfeifers „Spider Murphy Gang - Glory Days of Rock 'n' Roll“ lautstark die Münchner Kultband feiert, schlägt Jasco Viefhues mit „Rettet das Feuer“ leisere Töne an. Mithilfe alter Weggefährten und umfangreichem Archivmaterial zeichnet der Film ein Portrait des 1993 an HIV verstorbenen Fotografen und Künstlers Jürgen Baldiga. Dieser wurde durch seine Arbeiten zum Chronisten eines Stücks Westberliner Geschichte. Zwei Filme werden zudem im Rahmen eines Special-Screenings einmalig und ebenfalls außer Konkurrenz als Double-Feature gezeigt: Der 3-D-Kurzfilm „A New Normal“ von Luzie Loose begleitet einen jungen Mann auf der Suche nach sich selbst. Äußerlich ruhig, aber im Innern brodelnd kommt er zu der Erkenntnis, dass weitermachen alternativlos ist. Immer weiter, das war auch das Motto des Kunstberaters Helge Achenbach. Basierend auf dem realen Fall inszeniert Jan Bonny in „Jupp, watt hamwer jemaht?“ satirisch den Aufstieg und Fall des Hochstaplers.
Alle Filme der Reihe Neues Deutsches Kino:
„All I Never Wanted“
von Leonie Stade und Annika Blendl, Deutschland 2019
mit Marielle Blendl, Lida Freudenreich, Annika Blendl, Leonie Stade, Jochen Strodthoff
Man on Mars Filmproduktion, Karbe Film, Bayerischer Rundfunk (BR)
„Bruder Schwester Herz“
von Tom Sommerlatte, Deutschland 2019
mit Sebastian Fräsdorf, Karin Hanczewski, Wolfgang Packhäuser, Jenny Schily, Godehard Giese
Osiris Media / Verleih: Kinostar Filmverleih
„Es gilt das gesprochene Wort“
von Ilker Çatak, Deutschland/Frankreich 2018
mit Anne Ratte-Polle, Oğulcan Arman Uslu, Godehard Giese
if... Productions, Loin Derrière l’Oural, Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), Arte / Verleih: X Verleih
„Golden Twenties“
von Sophie Kluge, Deutschland 2019
mit Henriette Confurius, Max Krause, Inga Busch, Franziska Machens, Hanna Hilsdorf
Amerikafilm, BerghausWöbke Filmproduktion, Fox International Productions Germany / Verleih: Twentieth Century Fox of Germany
„Lara“
von Jan-Ole Gerster, Deutschland 2019
mit Corinna Harfouch, Tom Schilling, André Jung, Volkmar Kleinert, Rainer Bock
Schiwago Film, Studiocanal Film, Bayerischer Rundfunk (BR), Arte / Verleih: Studiocanal
„Leif In Concert“
von Christian Klandt, Deutschland 2019
mit Luise Heyer, Klaus Manchen, Michael Klammer, Jule Böwe, Bela B
Lischke&Klandt Filmproduktion / Verleih: missingFilms
„Mär“ von Katharina Mihm, Deutschland/Österreich 2019
mit Martin Vischer, Jeanne Werner, Irina Potapenko, Sophie Resch, Björn Bonn Opak
Butterfilm
„Mein Ende. Dein Anfang.“
von Mariko Minoguchi, Deutschland 2019
mit Saskia Rosendahl, Edin Hasanović, Julius Feldmeier
Trimafilm, BerghausWöbke Filmproduktion / Verleih: Telepool
„Prélude“
von Sabrina Sarabi, Deutschland 2019
mit Louis Hofmann, Liv-Lisa Fries, Johannes Nussbaum, Ursina Lardi, Saskia Rosendahl
Weydemann Bros., about:film, Westdeutscher Rundfunk (WDR)
„Rest In Greece“
von Florian Gottschick, Deutschland 2019
mit Caroline Erickson, Margarita Siotou, Jacob Matschenz, Michail Tabakakis
Penny Lane Film
„Rettet das Feuer“
von Jasco Viefhues, Deutschland 2019
mit Aron Neubert, Michael Brynntrup, Melitta Poppe, Mignon, Renate Wanda De la Gosse
Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB)
„Spider Murphy Gang - Glory Days of Rock 'n' Roll“
von Jens Pfeifer, Deutschland 2019
mit Günther Sigl, Barny Murphy, Michael Busse, Franz Trojan, Ludwig Seuss
juno film, Bayerischer Rundfunk (BR), Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) / Verleih: Weltkino Filmverleih
„Sterne über uns“
von Christina Ebelt, Deutschland 2018
mit Franziska Hartmann, Claudio Magno, Kai Ivo Baulitz, Nicole Johannhanwahr, Davina Donaldson
2Pilots Filmproduction, Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), Arte
„Stillstehen“
von Elisa Mishto, Deutschland/Italien 2019
mit Natalia Belitski, Luisa Céline Gaffron, Giuseppe Battiston, Martin Wuttke, Katharina Schüttler
CALA Filmproduktion, PMI srl – PartnerMediaInvestment, Cine Plus, Farbfilm Produktion / Verleih: Farbfilm Verleih
„Was gewesen wäre“
von Florian Koerner von Gustorf, Deutschland 2019
mit Christiane Paul, Ronald Zehrfeld, Sebastian Hülk
Flare Film, Westdeutscher Rundfunk (WDR) / Verleih: Farbfilm Verleih
„Zu zweit allein“
von Sabine Koder, Deutschland 2019
mit Eva Bay, Tom Lass, Anne Haug, Johannes Dullin
Elfenholz Film, Hochschule für Fernsehen und Film (HFF München)
„A New Normal” von Luzie Loose, Deutschland 2019
mit Daniel Sträßer, James Faulkner
Filmakademie Baden-Württemberg, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf
„Jupp, watt hamwer jemaht?“
von Jan Bonny, Deutschland 2019
mit Bibiana Beglau, Joachim Król, Ronald Kukulies, Ricards Seifried, Jean-Luc Bubert
Volksbühne Berlin
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