f es giltSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. August 2019, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Starker Anfang, so stark, daß sich der Film später anstrengen muß, seine Überraschungsmomente beizubehalten, denn wenn diesen Film Liebesfilm zu nennen, einem nicht behagt, hat das mit seiner kühlen Machart zu tun, die gleichzeitig dieser Geschichte erst die Hitze eingibt.

Es ist immer faszinierend, wenn man einem Geschehen auf der Leinwand folgt und nichts versteht. Doch, natürlich versteht man die Worte, wozu auch ES GILT DAS GESPROCHENE WORT GEHÖRT, alles nämlich rechtsverbindliche Formeln, wenn das Schreiben schwierig ist oder gar nicht geht, die hier zu unserer Überraschung zwei Menschen in ein Eheversprechen vor einem deutschen Standesamt führen.

Sie, eine kühle Blonde, nicht ganz jung, aber auch nicht alt, daß sie Pilotin ist, gewichtet ihre Figur erheblich, denn der nun geehelichte Mann ist nicht nur jünger, sehr viel dunkler von Haut und Haar, sondern auch dadurch, daß er kein Deutsch kann, kein ebenbürtiger Partner in einer Ehe in Deutschland.

Das ändert sich mit der nächsten Einstellung, die zum Stärksten im Film gehört. Das wird nämlich ohne viel Worte, aber mit hintersinnigen Szenen das vorgeführt, was schon Ulrich Seidel so hinreißend in dem Teil seiner Trilogie: LIEBE auf die Leinwand brachte. Wie deutschsprachige Touristinnen, bei ihm war es die gemütliche, runde Wienerin, sich von jungen, braungebrannten, manchmal schwarzen Männern Liebesdienste erkaufen, für wenig Geld im Vergleich zur Heimat.

Wenn man mal registriert, wie häufig in Filmen gekaufter Sex andersherum läuft – im Leben eh – daß alte, dicke Männer für junge, schlanke Frauen bezahlen, haben solche Szenen was von ausgleichender Gerechtigkeit – auch wenn unsereiner sie nicht versteht, will sagen, diese Frauen nicht versteht. Die Männer sehr viel eher. Denn für die ist es ein Geschäft, die bieten ihren Körper und bekommen dafür Geld, das sie meistens sparen, denn sie wollen dorthin, wo die Touristinnen herkommen, dort müßte doch alles viel einfacher sein, als hier in Marmaris an der türkischen Riviera, wohin Baran (Ogulcan Arman Uslu) von seinem Heimatdorf getrampt war. Und er lag nicht gleich in den Armen von in seinen Augen reichen Europäerinnen! Er hatte erst einmal nichts zu essen, spülte dann Teller, hatte aber immer schon flinke Augen und machte sich nützlich, durfte dann bedienen – schwups und schon hatte er Kontakt mit den Touristinnen. Das war kein Plan, das ergab sich, wie dieser Baran keiner ist, der rational was in Gang setzt, sondern einer, der affektiv reagiert und Chancen nutzt.

Dann wird es etwas deutschlandschwer. Denn die kühle, selbstbewußte Pilotin Marion (Anne Ratte-Polle) - sie muß einfach blond, mit langen Haaren sein - wird filmisch durchleuchtet. Dabei wird einerseits Brustkrebs festgestellt, andererseits ihr Verhältnis zum verheirateten Geliebten und Musiklehrer Raphael (Godehard Giese) als brüchig dargestellt. Beide befinden sich auf unterschiedlichen Skalen ihrer Liebesbeziehung. Während bei ihm ihre Krebsdiagnose seinen Entschluß fördert, seine Ehefrau und Familie zu verlassen und mit ihr zu leben, geht es ihr entgegengesetzt. Genug.

So empfindet sie – und allein in dieser Konstellation kann man erkennen, was diesem Film immer wieder seine Spannung gibt. Man kann nichts vorhersagen, die Menschen reagieren nicht wie aus der Retorte, sondern menschlich, also unterschiedlich. Mal ganz abgesehen davon, daß natürlich der Entschluß, seine Frau verlassen zu wollen, leicht auch daraus resultiert, zu bemerken,d aß man für die Geliebte nicht genug getan hatte. Ein schlechtes Gewissen zwei Frauen gegenüber ist für manche Männer Lebenselixier.

Und jetzt erst kommen die beiden Erzählstränge zusammen, denn Raphael fliegt mit seiner kranken Pilotin in den Urlaub in die Türkei, genau, nach Marmaris, wo ihr dann auch Baran über den Weg läuft. Sie motiviert ihn, nach Deutschland zu kommen, heiratet ihn nicht nur, damit er eine Aufenthaltserlaubnis erhält, sondern besorgt ihm auch noch eine Arbeit am Flughafen. Natürlich kein Superjob, aber einer, wo er sich beweisen kann.

Und auf einmal trudelt der Film. Jetzt wissen wir nicht genau, welche Funktion die Szenen mit den Nachbarn von Baran haben. Soll die sogenannte Willkommenskultur durch den Kakao gezogen werden oder soll das schräge Pärchen mit seinen Dummheiten vorgeführt werden, wenn sie Baran beim Stehlen von Fahrrädern unterstützen? Es mäandert vor sich hin, die Szenen sind nie langweilig, aber wie gesagt, ihre Funktion wird nicht klar. Aber das macht nichts, denn das Entscheidende des Films ist seine Disposition. Wohin die Reise für die Betroffenen geht, wird nicht wichtig. Wichtig allein, daß sie sich auf die Reise gemacht haben.

Und was uns gefiel, ist der unterkühlte Charme, den das Ganze hat, was eindeutig mit der klaren Hauptdarstellerin zu tun hat, die man öfter sehen möchte.

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Anne Ratte-Polle (Marion)
Oğulcan Arman Uslu (Baran)
Godehard Giese (Raphael)
Jörg Schüttauf (Mark)