Bildschirmfoto 2019 08 15 um 20.42.49Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. August 2019,   Teil 6

Bert Rebhandel

Berlin (Weltexpresso) – In den Filmen von Angela Schanelec steckt immer auch ein Geist der Utopie, ein Vorschein der Verwirklichung dessen, was es bedeuten kann, ein Mensch zu sein. Menschen sind wir in jedem Moment, beim Aufwachen, beim Frühstücken, beim Fahrradfahren, in der Liebe, und vor allem auch in Familien, denn hier erkennen wir einander als verwandte Wesen.

Als Menschen erfahren wir einander auch im Umgang mit Tieren. Mit ihnen teilen wir ein Leben, mit dem alles beginnt: körperliches Dasein.

*****

Das Theater war in der bürgerlichen Gesellschaft lange der Ort, an dem das Menschsein in seiner ganzen Erstreckung zwischen Banalität und höchster Tragik, zwischen Beiläufigkeit und Glück durchmessen wurde. In der Klassik wurde das Theater zu einem Ort der ästhetischen Erziehung. Für Angela Schanelec ist das Theater nach wie vor eine wichtige Instanz: in „Nachmittag“ sieht man sie als Bühnenschauspielern, in „Ich war zuhause, aber...“ verwendet sie eine Shakespeare-Übersetzung, die sie mit ihrem 2009 verstorbenen Mann Jürgen Gosch erstellt hat. Das Theater enthält so etwas wie die Grundelemente, die Schanelec auch im Kino betont: gegenwärtige Körper, die etwas zum Ausdruck bringen. Atmende, sprechende Wesen, die sich verwandeln können, aber immer auf das Gleiche zielen – auf die Spannweite des Menschen, im Guten wie im Schlechten.

In „Ich war zuhause, aber...“ gibt es in dem langen Gespräch, das Astrid mit dem Filmemacher führt, viele Echos der ästhetischen Theorien, die für das Verhältnis von Theater und Film, und im weiteren Sinn: von Leben und Kunst, bestimmend sind. Denn es gibt ja immer diese Grenze: das Leben kann man nicht spielen. Eine der revolutionärsten Antworten darauf ist: das Leben kann man nur spielen.

*****

Ihren ersten Film hat Angela Schanelec im Jahr 1991 gemacht. Sie gehört zu einer Generation im deutschen Kino, der so etwas wie ein Neubeginn geschenkt wurde. Bis zur „Wende“ war mit den beiden deutschen Staaten auch das Erbe der bürgerlichen Klassik geteilt: in der Bundesrepublik wies das überwältigende Wirtschaftswunder der Kultur eine genau definierte Rolle zu, aus der die Künste sich zu emanzipieren versuchten; in der DDR gab es keine bürgerliche Gesellschaft, und deren Erbe wurde für eine Staatsideologie in Dienst genommen, die zu Recht auf Misstrauen stieß. In der Berliner Republik und in einem Europa, das sich neu konfiguriert, konnten die Traditionslinien neu gezogen werden.

Die erste Szene von Angela Schanelecs erstem längeren Spielfilm „Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben“ ließen sofort erkennen, dass es um ein Kino gehen würde, in dem nicht einfach erzählt wird, sondern in dem die Mittel und Formen der Erzählung immer mitbedacht werden: Angela Schanelec spielte 1994 selbst eine Hauptrolle, eine Frau mit einer Stimme und einer Schreibmaschine.

Gesprochener Text ist die Grundlage fast aller Filme, vor allem in einer Filmkultur wie in Deutschland, die drehbuchfixiert ist. Selten macht man sich allerdings klar, dass gesprochener Text ein Spannungsverhältnis mit sich bringt: denn in dem Moment, in dem jemand schon weiß, was er oder sie sagen wird, entsteht eine Natürlichkeit zweiter Ordnung, in manchen Fällen auch eine Künstlichkeit. In dieser Spannung stehen natürlich vor allem die Kinder, die in „Ich war zuhause, aber...“ Shakespeare spielen. In dieser Spannung steht aber auch Astrid, wenn sie vor dem Lehrerkollegium spricht. Sie hat sich sicher vorher überlegt, was sie sagen wollte. Ihr Monolog steht in der Spannung zwischen spontaner Selbstbekundung und präziser Intervention.

*****

Das Theater wusste immer um die Künstlichkeit seiner Situation. In der Regel wurde diese als Vorzug genommen, als eine Ausnahme vom Alltag, die es erlaubt, sich über Grundsätzliches zu verständigen. Angela Schanelec übernimmt dieses Privileg ins Kino, achtet aber sehr darauf, die Ausnahme (eine hoch bewusste Sprachlichkeit und Körperlichkeit) wieder natürlich werden zu lassen. In den ständigen Übergängen zwischen Natur und Kultur könnte man vielleicht sogar den Grundakkord ihres Werks sehen: charakteristisch sind dabei die vielen Einstellungen, in denen sich Bildräume auf Wasser oder Vegetation öffnen. Die gestalteten Räume, mit denen Menschen sich umgeben, sind eingebettet in eine gestaltete Natur, die zumindest noch in Andeutungen wissen lässt, dass sie einmal Wildnis war. In den letzten beiden Filmen ist dieses Motiv nun noch deutlicher geworden: sowohl in „Der traumhafte Weg“ wie auch in „Ich war zuhause, aber...“ gibt es Szenen, in denen Menschen die bürgerliche Welt hinter sich lassen. Es sind keine endgültigen Entscheidungen, aber es sind Bilder, die einen Horizont öffnen: sich ins Moos zu betten, sich auf einen Stein am Bach zu legen, das sind Aussetzungen in eine Geborgenheit, die man im eigenen Bett nicht finden kann. Die konventionelle Form dieser Erfahrung gibt es in vielen Geschichten: Menschen fahren ans Ende der Welt, um etwas zu finden, was ihnen der Alltag verschweigt.

Angela Schanelec findet diesen „anderen Zustand“ (so nannte der Schriftsteller Robert Musil die Formen der Transzendenz im Alltäglichen unter den Bedingungen der Moderne) nicht auf großen Abenteuern, sondern inmitten des Lebens, wie es in einer Stadt wie Berlin jeden Tag stattfindet. Sie ist eine Chronistin der Gegenwart, und öffnet diese Gegenwart zugleich in jedem Moment auf ihre bestimmenden Dimensionen: auf ein Bewusstsein für die Traditionen, aus denen sie kommt, und auf ein Bewusstsein von der Offenheit in eine ungeahnte Zukunft. Auf ein Leben, das seiner Natur nicht entfremdet ist, und seiner Kultur gewahr.


Foto:
© Verleih

Info:
EIN FILM VON ANGELA SCHANELEC Astrid Maren Eggert • Phillip Jakob Lassalle • Flo Clara Möller Lars Franz Rogowski • Claudia Lilith Stangenberg • Herr Meissner Alan Williams Astrids Freund Jirka Zett • Junger Regisseur Dane Komljen

Abdruck aus dem Presseheft