f congocallDie anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. August 2019, Teil 7 zu CONGO CALLING

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie bist du darauf gekommen, einen Dokumentarfilm im Kongo über Entwicklungshelfer zu drehen?

Raúl, einer der Protagonisten des Films, ist ein alter Freund von mir, wir haben vor langer Zeit zusammen studiert. Er ist Sozialwissenschaftler und arbeitet seit Jahren immer wieder für seine Forschungsprojekte im Ost-Kongo. Eines der Forschungsprojekte ist über die Rebellengruppen. Er hat mir immer wieder von der Situation in der Stadt Goma und in der Region erzählt. Also nicht nur von der sehr instabilen Lage des Landes, sondern auch sehr viel über die Situation der Ausländer aus der westlichen Welt, die dort als Helfer oder als Forscher arbeiten. Das bringt sehr viele Spannungen und Widersprüche mit sich. Ich fand seine Erzählungen so spannend, dass ich dann mit hingefahren bin, um mir das selbst anzuschauen. Und dann war sehr schnell klar, dass wir zusammen einen Film darüber machen müssen.


Um was geht es in „Congo Calling“?

Unser Film erzählt die ganz persönlichen Geschichten von drei Europäern, die im Ost-Kongo arbeiten und aus unterschiedlichen Gründen ihre eigene Situation und Rolle hinterfragen. Es ist kein Film über weiße Helden, die Afrika retten wollen und glauben, sie wüssten besser, was zu tun ist, als die Afrikaner selbst. Und genauso wenig ist es eine investigative Reportage über die politische Lage im Kongo oder über die Probleme der Entwicklungspolitik. Sondern wir begleiten in unserem Film einfach drei sehr interessante Menschen und bekommen mit, wie sich ihre Einstellungen zu ihrer Arbeit und zu dem Ort und ihre Beziehungen zu den Menschen im Lauf der Zeit verändern.

Und in diesen privaten Geschichten spiegeln sich die großen Fragen wider. Zum Beispiel die Frage: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika oder zwischen den Helfern und den vermeintlichen Hilfsempfängern? Ist es immer so klar, wer gibt und wer nimmt? Was wollen wir Europäer als Eindringlinge an einem so fernen und fremden Ort, was machen wir mit diesem Ort und was macht dieser Ort mit uns? Und was bedeutet „helfen“ eigentlich?

Aber im Kern geht es vor allem um die Liebe, um Freundschaft, um das Älterwerden und die Suche nach dem richtigen Platz im Leben...


Welche Herausforderungen hast du beim Drehen erlebt?

Wir waren zwar in einem Krisengebiet, aber die Sicherheit war normalerweise kein großes Problem, weil wir meistens mit unseren Protagonisten und ihren kongolesischen Kollegen und Freunden unterwegs waren, die sich sehr gut auskennen. Trotzdem gab es ab und zu etwas brenzlige Situationen, zum Beispiel sind wir beim Drehen einmal ohne erkennbaren Grund von der Polizei verhaftet worden. Und wir mussten aufpassen, dass wir die Leute, mit denen wir gefilmt haben, nicht in Schwierigkeiten bringen, etwa wenn jemand vor der Kamera die Regierung kritisiert.

Aber eine der größten Herausforderungen war, wie oft bei einem Dokumentarfilm, dass man vorher nicht weiß, wen man kennenlernen wird, was passieren wird und wohin die Reise inhaltlich wirklich geht. Wir haben über einen Zeitraum von ungefähr zwei Jahren immer wieder gedreht, hatten am Ende sehr viel spannendes Material und mussten dann im Schnitt herausfinden, wie wir das alles in einen Film hineinbekommen. Wenn man als Dokumentarfilmer aus dem reichen Europa an so einen fremden Ort geht, um
dort einen Film zu machen, ist man natürlich ständig gezwungen, sich mit der eigenen Herangehensweise auseinanderzusetzen. Zum Beispiel, ob wir die Menschen im Kongo ausbeuten, um diesen Film zu machen, und was sie überhaupt davon haben. Und wenn wir die Armut filmen oder das, was uns mit unserem europäischen Blick exotisch vorkommt, ob wir dann einfach irgendwelche westlichen Klischees von Afrika reproduzieren. Es war sehr interessant, dass unsere Protagonisten in ihrer Arbeit mit ähnlichen Fragen zu tun hatten.


Wie hast Du die Einheimischen erlebt?

Als wir angefangen haben zu drehen, waren wir gleich mittendrin in Raúls Forscherteam, und die kongolesischen Forscher haben uns sehr offen und herzlich empfangen. Sie haben sich sehr rührend um uns gekümmert, als wir als unbedarfte Europäer am Anfang nicht so richtig wussten, wie wir mit all den fremden Dingen richtig umgehen sollten, Angst hatten und so weiter. Ich war erst einmal betroffen von diesem Ort, denn man sieht sehr viel Leid. Mich hat sehr beeindruckt, dass viele Leute trotz existenzieller Not und trotz des ganzen Hilfssystems kein Interesse daran haben, sich in eine Opferrolle drängen zu lassen oder als Bittsteller dazustehen. Sie übernehmen Verantwortung und versuchen unter größtem Einsatz, teilweise unter Einsatz ihres Lebens, die Verhältnisse in ihrem Land zu verbessern. Fred, der kongolesische Freund unserer Protagonistin
Anne-Laure, saß eineinhalb Jahre lang im Gefängnis, weil er die korrupte Regierung kritisiert und freie Wahlen gefordert hatte. Und anstatt nach seiner Freilassung ins Exil zu gehen, macht er weiter, und er ist nicht der Einzige. Sein Mitstreiter Luc, mit dem wir auch gefilmt haben, ist vor einiger Zeit nachts in seinem Haus verbrannt, und man vermutet, dass es der Geheimdienst war, der ihn zum Schweigen bringen wollte.


Warum ist der Film „Congo Calling“ relevant?

Ich habe den Eindruck, dass in den letzten Jahren in Deutschland alle über Flüchtlinge und Afrika diskutieren, und darüber, wie man Fluchtursachen bekämpft und so weiter. Jeder hat eine ziemlich klare Meinung dazu und glaubt, ganz genau zu wissen, wie die Welt zu retten ist. Und da finde ich es sehr interessant, ein bisschen genauer hinzuschauen, wie das denn überhaupt vor Ort aussieht, ganz konkret, im Kleinen. Und wie die Leute damit umgehen, die direkt mit der Umsetzung von Hilfsprojekten zu tun haben, sowohl die ausländischen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als auch die Einheimischen. Wie sie versuchen, etwas zu bewegen, welche Fragen sie sich dabei stellen, welche Zweifel sie haben. Das gibt uns natürlich keine einfachen pauschalen Lösungen für die großen Probleme, aber die Welt ist eben einfach sehr kompliziert.
Deshalb finde ich es auch sehr wichtig, dass unser Film am Ende mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet.

Foto:
© Verleih

Info:
Congo Calling, Dokumentarfilm, 2019, 90 Min.
Buch, Regie, Produktion: Stephan Hilpert
Kamera: Daniel Samer
Montage: Miriam Märk
Musik: Sebastian Fillenberg
Konzeptinspiration und Beratung: Raúl Sánchez de la Sierra, Gauthier Marchais
Verleih: jip film & verleih, Frankfurt am Main

Über den Verleih
jip film & verleih wurde im August 2017 von Julia I. Peters und Jutta Feit in Frankfurt/Main gegründet. Der Schwerpunkt liegt auf dem Verleih von unterhaltenden und anspruchsvollen Dokumentarfilmen und Spielfilmen im Arthouse-Bereich. jip film & verleih ist spezialisiert auf Impact Distribution. Das Ziel von Impact Producing und Distribution ist Film als treibende Kraft für Veränderung in unserer Gesellschaft einzusetzen und nachhaltig und wirtschaftlich auszuwerten.

Wir konnten den Film in einer Vorpremiere im Frankfurter Kino Mal Seh'n mit  Anwesenheit des Regisseurs Stephan Hilpert erleben.  Dort läuft der Film täglich bis Dienstag um 18 Uhr.

Abdruck aus dem Presseheft

Die beiden Filmbesprechungen
https://weltexpresso.de/index.php/kino/16789-der-film-congo-calling
https://weltexpresso.de/index.php/kino/16795-congo-calling-ii