f nur5Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. September 2019, Teil 9

Redaktion

Paris London/  (Weltexpresso) - Wie ist NUREJEW – THE WHITE CROW entstanden?

f nure1Julie Kavanagh, die ich seit langem kenne, schickte mir vor etwa zwanzig Jahren die ersten Kapitel ihrer Biographie „Nureyev: The Life“ – und ich wusste nicht so recht, warum. Ich hatte damals noch nicht den Wunsch, Regie zu führen, ich denke, es muss mit meiner Liebe zu Russland zu tun gehabt haben. Ich hatte keine Ahnung vom Ballett oder von Nurejew, aber als Julie mir den Text schickte, hatte sie wohl einen sechsten Sinn, dass sich daraus etwas ergeben könnte. Es waren die ersten sechs Kapitel, einschließlich des Kapitels, in dem Nurejew um politisches Asyl bittet. Die Lektüre war fesselnd und hat mich völlig gepackt. Der Film spiegelt in gewisser Weise diese sechs Kapitel wider.


Hatten Sie die Geschichte über all die Jahre im Hinterkopf?

Ja, als Stoff, über den jemand einen Film machen sollte. Ich habe später zwei Filme mit Produzentin Gaby Tana gemacht, die das Ballett liebt und einen entsprechenden Background hat, und dann fragte sie mich, ob ich diesen Film machen will.


Wenn Sie kein Ballett-Liebhaber sind, was hat Sie dann an diesem Stoff gereizt?

Der glühende Wunsch dieses Jungen, sich selbst zu verwirklichen. Er war gierig danach, alle Kunstformen zu absorbieren, etwa die Literatur, er lernte autodidaktisch Klavier spielen und Partituren zu lesen, er ging in die Eremitage in Sankt Petersburg und betrachtete Bilder. Er saugte alles auf, was ihm helfen konnte, sich als Tänzer auszudrücken.


Wie bewerten Sie das Überlaufen in den Westen? War das eine spontane Entscheidung?

Ja. Ich denke, er hat sich in das Leben dort verliebt. Ich denke auch, dass sich der KGB etwas ungeschickt angestellt hat. Wären sie klüger gewesen, hätten sie ihn nach London reisen lassen. Aber sie befürchteten, dass er dort überlaufen würde. Ich habe Berichte von Leuten gelesen, die glauben, dass er über einen Seitenwechsel nachgedacht hatte, aber ich glaube nicht, dass er geplant war. Ich denke, als er am Flughafen La Bourget ankam und ihm gesagt wurde, dass er nach Russland fliegen müsse, geriet er in einen Schockzustand. Er wollte nach London, mehr noch als nach Paris, er war der Überzeugung, dass London mit dem Royal Ballet das noch bedeutendere Ballettzentrum war.


Wieso haben Sie Nurejew mit einem Tänzer besetzt?

Ich wollte, dass Nurejew an der Ballettstange eine Übung machen kann, ohne dass ich die Beine eines Tänzers sowie den Kopf und die Schultern eines Schauspielers montieren muss. Ein Schauspieler kann noch so hart daran arbeiten: Ihm fehlt die Ballett-Ausbildung, es steckt nicht seit Kindestagen in ihm – und in dem Moment, in dem er seinen Arm hebt, erkennen es manche Leute.


Aber in anderen Filmen haben Schauspieler Ballett getanzt, in BLACK SWAN zum Beispiel.

Ja, und ich fand Natalie Portman großartig. Als ich den Film das erste Mal sah, konnte ich den Unterschied zu einer echten Tänzerin nicht erkennen – aber jetzt schon. Außerdem wäre es schon aus logistischen Gründen nicht möglich gewesen, die Rolle mit einem Schauspieler zu besetzen. Selbst mit dem besten Schauspieler der Welt hätte mir die Zeit gefehlt, um alles zu drehen, was ich hätte drehen müssen. Bei unserem Budget war ein solcher Zeitplan nicht möglich. Also haben Produzentin Gaby Tana und ich uns im großen Stil in Russland umgesehen. Auch Sergei Polunin war im Gespräch, der zweifellos ein großartiger Tänzer ist und auch im Film mitspielt. Aber ich wollte ein unbekanntes Gesicht. Und als wir dann die vier Tänzer trafen, die auf unserer Shortlist standen, ging Oleg Ivenko auf meine Anweisungen ein, er verstand, dass ein Filmschauspieler von innen heraus agieren muss, so dass er eben nicht spielt, sondern auf sein Herz hört und darauf reagiert. Außerdem ähnelt er manchmal Nurejew – er hat einen sinnlichen Mund und faszinierende Augen. Ich habe mit Leuten gesprochen, die sich an Nurejew erinnern – und sie sagen, er sei ihm manchmal seltsam ähnlich.


Sie haben viele Aufnahmen von Nurejew gesehen. Wie waren Ihre Eindrücke?

Es ist immer, als ob dich eine Katze scheel ansieht – und dann plötzlich flirtend. Nurejew hatte etwas Quirliges, Erotisches, Gefährliches, wirkte immer, als ob er kurz davor wäre, arrogant, ungehalten und aggressiv zu werden – diese Art von Stimmung hat er vermittelt. Und ich fühlte: Oleg könnte das unter meiner Anleitung spielen. Er war großartig und wurde immer besser. Ich wusste, dass viele Leute besorgt waren, als ich diesem Unbekannten die Rolle gab. Die erste Szene, die wir drehten, war die Szene im Regen vor dem Louvre, als er auf einem Croissant rumkaut und eine Frau fragt, wann das Museum öffnet. Ich sah ihn auf dem Monitor, und alles hat gepasst. Dann kam der französische Produzent und sagte: „fantastisch“.


Sie selbst spielen seinen Lehrer Puschkin. Stand das von vornherein fest?

Ich wollte überhaupt nicht mitspielen! Ich habe das zweimal neben der Regie gemacht und war entschlossen, es nicht mehr zu tun. Es ist wirklich schwer. Aber wir wollten russische Finanziers finden, und eine russische Produzentin machte mir klar, dass das nur möglich sei, wenn im Film Stars spielen – und ich hatte keine Stars. Da sagte sie: „Ralph, warum spielst du nicht Puschkin?“ Also sagte ich: „Okay, es fließt kein Geld, also mache ich es.“ Und David hatte eine schöne Rolle geschrieben, also beschloss ich, sie zu spielen.


Sie sprechen im Film Russisch. Wann haben Sie das gelernt?

Mein Russisch ist nicht so gut, wie es im Film erscheint. Ich spreche etwas Russisch, musste aber hart arbeiten. Ich wusste schon, was ich sage, aber in der Postproduktion musste ich daran feilen. Ich habe intensiv mit einem wunderbaren Übersetzer und einem russischen Sound-Editor gearbeitet, also denke ich, dass es schon respektabel ist – aber ich hätte auch kein Problem, wenn man meinen Part für den russischen Markt synchronisiert (lacht)

Foto:
© Verleih

Info:
UK / Frankreich / Serbien 2018, Länge: 122 Min., im Verleih von Alamode Film
Darsteller 
Rudolf Nurejew                       OLEG IVENKO
Clara Saint                              ADÈLE EXARCHOPOULOS
Ksenija Puschkin                    CHULPAN KHAMATOVA
Alexander Puschkin                RALPH FIENNES
Strischewsky                           ALEXEY MOROZOV
Pierre Lacotte                          RAPHAËL PERSONNAZ
Alexinsky (Flughafenpolizist)   OLIVIER RABOURDIN
Teja Kremke (Geliebter)           LOUIS HOFMANN:


Stab
Regie .        RALPH FIENNES
Drehbuch   DAVID HARE

Abdruck aus dem Presseheft