Redaktion
Hamburg (Weltexpresso) - INTERVIEW MIT DREHBUCHAUTORIN HEIDE SCHWOCHOW: Was hat Sie daran gereizt, das Drehbuch zu DEUTSCHSTUNDE zu schreiben?
Ich hatte „Heimatmuseum“ und andere Bucher von Siegfried Lenz gelesen, aber „Deutschstunde“ kannte ich nicht. Im Westen haben es fast alle in der Schule gelesen, aber in der DDR ist das Buch an vielen Menschen vorbeigegangen. Christian sagte mir, lies es mal. Ich fand die Grundkonstellation zwischen diesen zwei Männern und dem Kind toll. Das Besondere daran ist, dass die einzelnen Figuren in solche Extremsituationen geraten, in denen es schier unmöglich ist, das Richtige zu tun. Das ist bei einem Film die Höhe der Kunst. Und zwischen zwei Männern steht ein Kind, das von beiden geliebt werden will. Das ist eine Konstellation, die Stoff für einen großen Kinofilm bietet: mit großen Konflikten, großer Verzweiflung.
Inwiefern ist der Maler Max Nansen in einer Situation, in der er nicht richtig handeln kann?
Er muss malen, das ist seine Berufung: Aber er bringt dadurch sich und seine Familie in Gefahr. Das ist eine existenzielle Situation auf Leben und Tod, alles hat eine unheimliche Fallhöhe. Der Maler ist auf seine Art genauso obsessiv wie der Polizist. Das ist unheimlich stark: Beide können nicht anders.
Wie haben Sie Lenz’ Zugang zum Dritten Reich empfunden?
DEUTSCHSTUNDE unterscheidet sich von vielen Geschichten über den Zweiten Weltkrieg. Ich finde toll, dass Lenz Gefahren über die Natur erzählt. Angriffe sind hier Angriffe von Möwen. Diese ganz eigene Metaphorik und Poesie hat mir gefallen. Und das ist sehr filmisch. „Deutschstunde“ ist auch nicht so streng historisch, sondern erzahlt von Menschen in existenziellen Situationen.
Sie haben die Geschichte noch exemplarischer angelegt als im Roman.
Ja, ich habe kein Hitlerbild an die Wand geschrieben, es gibt kaum Nazis, die ihre Gesinnung zur Schau tragen. Es gibt Raum für Assoziationen, und dafür hat Lenz die Inspiration geliefert. Da gibt es etwa den Graben, in dem Siggi verfolgt wird, da hat man die Assoziation eines Schützengrabens im Kopf. Ich habe da immer an einen jungen Menschen gedacht, der viel zu jung ist, um im Krieg sein zu müssen. Dieses Symbolhafte hat mich sofort interessiert. Ich dachte mir: Daraus kann man einen inhaltlich tiefen, aber auch visuellen Film machen.
Stand von Anfang an fest, dass die Geschichte abstrakter, überzeitlicher angelegt wird?
Das mussten wir gar nicht besprechen, das wussten wir beide. Wir haben später darüber gesprochen, aber beim Lesen der Geschichte hatten wir von Anfang an das gleiche Gespür.
Was waren die größten Herausforderungen beim Schreiben?
Drehbuchentwicklung ist auch Trauerarbeit. Man will den Reichtum des Romans erhalten, aber man kann ein Buch nicht eins zu eins in ein anderes Medium übersetzen. In einem Drehbuch muss man den Stoff verdichten, man muss einen Kern finden. Mir wurde schnell klar, dass wir die Geschichte konsequent aus der Perspektive dieses Jungen erzählen müssen, der von allen Erwachsenen missbraucht wird: indem er funktionieren soll, beobachten soll, dem Bruder heimlich etwas zu essen bringen soll. Dadurch wurde es nicht leicht, aber leichter: Ich wusste, welche Stränge ich weglassen kann.
Sie haben einige Hauptcharaktere verändert. Wieso?
Lenz war sehr milde, mit dem Maler zum Beispiel. Er ist im Roman ein durchweg guter Mensch, ich dachte, im Film muss er Abgründe haben, wie der Polizist auch – keine einfachen Gegensätze von Gut und Böse. Und wir wussten sehr früh, dass wir keine historische Figur wie Emil Nolde erzählen wollten. Es war uns ja bekannt, dass er ein glühender Hitlerverehrer und auch ein Antisemit war. Aber auch die anderen Figuren sollten Widersprüche und Ambivalenzen haben. Gudrun zum Beispiel ist im Roman eine abartig böse Figur – ich kann keine Frauenfigur schreiben, die so holzschnittartig böse ist.
War ihnen das von Anfang an klar oder hatten Sie ursprünglich mehr Werktreue beabsichtigt?
Mit Werktreue hätte man diesen Film nicht machen können. Aber ich denke, dass der Geist des Buches erhalten geblieben ist, das ist das A und O. Verändern muss man immer. Das ist der vierte Roman, den ich adaptiere. Man kann ein Buch nicht eins zu eins in ein anderes Medium übersetzen. Film ist ein Genre, das eine andere Form von Dramatik braucht. Außerdem lesen sich Dialoge in einem Roman oft gut, aber wenn man sie in ein Drehbuch übernimmt, funktioniert es in der Regel nicht. Einige habe ich übernehmen können, aber das war eher die Ausnahme.
Sie arbeiten mit ihrem Sohn. Wie ist das für bSie?
Ich bin ein Glückskind in der Branche. Ich bin im Vorstand der Filmakademie und organisiere Veranstaltungen der Sektion Drehbuch. Mir ist schnell aufgefallen, dass Autoren und Autorinnen oft das Gefühl haben, mit viel zu wenig Respekt behandelt zu werden. Ich bin insofern ein Glückskind, weil ich sehr ernst genommen werde mit dem, was ich sage und schreibe. Ich kann mit Christian über vieles sprechen, auch über Besetzung, ich komme ja von der Regie. Wir haben manchmal zu dritt an dem Drehbuch gearbeitet, zusammen mit dem Kameramann Frank Lamm. Es ist schön, wenn man gemeinsam eine Vision entwickeln kann. In der Regel werden Autoren auch gar nicht mehr gefragt, wenn das Buch geschrieben ist. Das ist mit Christian anders, wir sind im ständigen Austausch. Ich habe auch die Muster und Schnittfassungen gesehen. Ich kann so dankbar sein, dass Christian eine solche Souveränität hat und die Autoren grundsätzlich immer am ganzen Prozess beteiligt. Ich fühle mich dem Film zugehörig und würde ihn auch als meinen ansehen.
Wie haben Sie die Dreharbeiten wahrgenommen?
Ich war einige Tage beim Drehen dabei und habe es sehr genossen. Ich mochte die intensive Atmosphäre am Set und konnte einen Eindruck davon bekommen, wie sich unsere Handschriften vereinen. Ich konnte, ehrlich gesagt, auch loslassen und einfach nur zuschauen, wie ein ganzes Team interpretiert, was vorher im Schreibstübchen entstanden ist. Ich habe dabei auch gemerkt, dass es gut ist, ein Drehbuch im permanenten Austausch mit Christian und auch mit Frank zu entwickeln und beim Schreiben immer schon über Machbarkeit nachzudenken – hat viel gebracht.
Und wie nehmen Sie den fertigen Film wahr?
Ich mag den Film. Ich mag die Bildkraft. Und finde gut, dass im Schnitt nochmal stark verdichtet wurde. Das ist ja manchmal für Autoren schwierig, weil man denkt, das ist ja alles so wichtig. Aber es ist dramaturgisch besser geworden. Was ich auch interessant finde: Siggi ist im Film ein Junge, der am Anfang gar nicht so leicht zu fassen ist. Er ist nicht klein und niedlich, so hätte Christian ihn ja besetzen können, so hatte ich ihn eigentlich auch eher gesehen. Aber dieser Siggi entzieht sich einer klaren Zuordnung. Er zeigt erst mal wenig Emotion, um sich selbst zu schützen. Wenn er sie dann zeigt, dann geht es umso mehr unter die Haut. Ich finde, der Film hat eine große Wucht.
Foto:
© Verleih
Info:
STAB
Regie Christian Schwochow
Drehbuch Heide Schwochow
Produzent*innen Jutta Lieck-Klenke
Dr. Dietrich Kluge
Ulf Israel
BESETZUNG
Jens Ole Jepsen Ulrich Noethen
Max Ludwig Nansen Tobias Moretti
Siggi Jepsen (Kind) Levi Eisenblätter
Ditte Nansen Johanna Wokalek
Gudrun Jepsen Sonja Richter
Hilke Jepsen Maria Dragus
Siggi Jepsen (Jugendlicher) Tom Gronau
Klaas Jepsen Louis Hofmann
Abdruck aus dem Presseheft
Er muss malen, das ist seine Berufung: Aber er bringt dadurch sich und seine Familie in Gefahr. Das ist eine existenzielle Situation auf Leben und Tod, alles hat eine unheimliche Fallhöhe. Der Maler ist auf seine Art genauso obsessiv wie der Polizist. Das ist unheimlich stark: Beide können nicht anders.
Wie haben Sie Lenz’ Zugang zum Dritten Reich empfunden?
DEUTSCHSTUNDE unterscheidet sich von vielen Geschichten über den Zweiten Weltkrieg. Ich finde toll, dass Lenz Gefahren über die Natur erzählt. Angriffe sind hier Angriffe von Möwen. Diese ganz eigene Metaphorik und Poesie hat mir gefallen. Und das ist sehr filmisch. „Deutschstunde“ ist auch nicht so streng historisch, sondern erzahlt von Menschen in existenziellen Situationen.
Sie haben die Geschichte noch exemplarischer angelegt als im Roman.
Ja, ich habe kein Hitlerbild an die Wand geschrieben, es gibt kaum Nazis, die ihre Gesinnung zur Schau tragen. Es gibt Raum für Assoziationen, und dafür hat Lenz die Inspiration geliefert. Da gibt es etwa den Graben, in dem Siggi verfolgt wird, da hat man die Assoziation eines Schützengrabens im Kopf. Ich habe da immer an einen jungen Menschen gedacht, der viel zu jung ist, um im Krieg sein zu müssen. Dieses Symbolhafte hat mich sofort interessiert. Ich dachte mir: Daraus kann man einen inhaltlich tiefen, aber auch visuellen Film machen.
Stand von Anfang an fest, dass die Geschichte abstrakter, überzeitlicher angelegt wird?
Das mussten wir gar nicht besprechen, das wussten wir beide. Wir haben später darüber gesprochen, aber beim Lesen der Geschichte hatten wir von Anfang an das gleiche Gespür.
Was waren die größten Herausforderungen beim Schreiben?
Drehbuchentwicklung ist auch Trauerarbeit. Man will den Reichtum des Romans erhalten, aber man kann ein Buch nicht eins zu eins in ein anderes Medium übersetzen. In einem Drehbuch muss man den Stoff verdichten, man muss einen Kern finden. Mir wurde schnell klar, dass wir die Geschichte konsequent aus der Perspektive dieses Jungen erzählen müssen, der von allen Erwachsenen missbraucht wird: indem er funktionieren soll, beobachten soll, dem Bruder heimlich etwas zu essen bringen soll. Dadurch wurde es nicht leicht, aber leichter: Ich wusste, welche Stränge ich weglassen kann.
Sie haben einige Hauptcharaktere verändert. Wieso?
Lenz war sehr milde, mit dem Maler zum Beispiel. Er ist im Roman ein durchweg guter Mensch, ich dachte, im Film muss er Abgründe haben, wie der Polizist auch – keine einfachen Gegensätze von Gut und Böse. Und wir wussten sehr früh, dass wir keine historische Figur wie Emil Nolde erzählen wollten. Es war uns ja bekannt, dass er ein glühender Hitlerverehrer und auch ein Antisemit war. Aber auch die anderen Figuren sollten Widersprüche und Ambivalenzen haben. Gudrun zum Beispiel ist im Roman eine abartig böse Figur – ich kann keine Frauenfigur schreiben, die so holzschnittartig böse ist.
War ihnen das von Anfang an klar oder hatten Sie ursprünglich mehr Werktreue beabsichtigt?
Mit Werktreue hätte man diesen Film nicht machen können. Aber ich denke, dass der Geist des Buches erhalten geblieben ist, das ist das A und O. Verändern muss man immer. Das ist der vierte Roman, den ich adaptiere. Man kann ein Buch nicht eins zu eins in ein anderes Medium übersetzen. Film ist ein Genre, das eine andere Form von Dramatik braucht. Außerdem lesen sich Dialoge in einem Roman oft gut, aber wenn man sie in ein Drehbuch übernimmt, funktioniert es in der Regel nicht. Einige habe ich übernehmen können, aber das war eher die Ausnahme.
Sie arbeiten mit ihrem Sohn. Wie ist das für bSie?
Ich bin ein Glückskind in der Branche. Ich bin im Vorstand der Filmakademie und organisiere Veranstaltungen der Sektion Drehbuch. Mir ist schnell aufgefallen, dass Autoren und Autorinnen oft das Gefühl haben, mit viel zu wenig Respekt behandelt zu werden. Ich bin insofern ein Glückskind, weil ich sehr ernst genommen werde mit dem, was ich sage und schreibe. Ich kann mit Christian über vieles sprechen, auch über Besetzung, ich komme ja von der Regie. Wir haben manchmal zu dritt an dem Drehbuch gearbeitet, zusammen mit dem Kameramann Frank Lamm. Es ist schön, wenn man gemeinsam eine Vision entwickeln kann. In der Regel werden Autoren auch gar nicht mehr gefragt, wenn das Buch geschrieben ist. Das ist mit Christian anders, wir sind im ständigen Austausch. Ich habe auch die Muster und Schnittfassungen gesehen. Ich kann so dankbar sein, dass Christian eine solche Souveränität hat und die Autoren grundsätzlich immer am ganzen Prozess beteiligt. Ich fühle mich dem Film zugehörig und würde ihn auch als meinen ansehen.
Wie haben Sie die Dreharbeiten wahrgenommen?
Ich war einige Tage beim Drehen dabei und habe es sehr genossen. Ich mochte die intensive Atmosphäre am Set und konnte einen Eindruck davon bekommen, wie sich unsere Handschriften vereinen. Ich konnte, ehrlich gesagt, auch loslassen und einfach nur zuschauen, wie ein ganzes Team interpretiert, was vorher im Schreibstübchen entstanden ist. Ich habe dabei auch gemerkt, dass es gut ist, ein Drehbuch im permanenten Austausch mit Christian und auch mit Frank zu entwickeln und beim Schreiben immer schon über Machbarkeit nachzudenken – hat viel gebracht.
Und wie nehmen Sie den fertigen Film wahr?
Ich mag den Film. Ich mag die Bildkraft. Und finde gut, dass im Schnitt nochmal stark verdichtet wurde. Das ist ja manchmal für Autoren schwierig, weil man denkt, das ist ja alles so wichtig. Aber es ist dramaturgisch besser geworden. Was ich auch interessant finde: Siggi ist im Film ein Junge, der am Anfang gar nicht so leicht zu fassen ist. Er ist nicht klein und niedlich, so hätte Christian ihn ja besetzen können, so hatte ich ihn eigentlich auch eher gesehen. Aber dieser Siggi entzieht sich einer klaren Zuordnung. Er zeigt erst mal wenig Emotion, um sich selbst zu schützen. Wenn er sie dann zeigt, dann geht es umso mehr unter die Haut. Ich finde, der Film hat eine große Wucht.
Foto:
© Verleih
Info:
STAB
Regie Christian Schwochow
Drehbuch Heide Schwochow
Produzent*innen Jutta Lieck-Klenke
Dr. Dietrich Kluge
Ulf Israel
BESETZUNG
Jens Ole Jepsen Ulrich Noethen
Max Ludwig Nansen Tobias Moretti
Siggi Jepsen (Kind) Levi Eisenblätter
Ditte Nansen Johanna Wokalek
Gudrun Jepsen Sonja Richter
Hilke Jepsen Maria Dragus
Siggi Jepsen (Jugendlicher) Tom Gronau
Klaas Jepsen Louis Hofmann
Abdruck aus dem Presseheft