f detusch6Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Oktober 2019, Teil 8

Redaktion

Hamburg (Weltexpresso) - „Das ist ein starkes Stuck Literatur mit starken Ideen.“ Wie haben Sie den Roman DEUTSCHSTUNDE empfunden? Das ist ein starkes Stück Literatur mit starken Ideen. Die Geschichte ist beeindruckend, es gibt so viele Facetten, so viele Zwischentöne. Es ist nicht einfach, ein Urteil zu fällen – das gefällt mir.


Sie spielen den Polizisten Jens Ole Jepsen. Wie steht dieser zu seinem Sohn Siggi?

Er hat eine schlichte Auffassung von Erziehung: Der Mensch muss etwas Brauchbares werden. Da fragt man natürlich: brauchbar für wen, für welchen Zweck? Ich würde Jens Ole Jepsen nicht unterstellen, dass er seinen Sohn nicht liebt, aber er ist voller Erwartungen. Erschütternd ist, dass er versucht, seinen Sohn zu instrumentalisieren und zugleich hofft, ihn dadurch auf den richtigen Weg zu bringen. Und dramatisch ist, dass der Sohn seinen Vater liebt und deshalb zwischen den unterschiedlichen Interessen zerrieben und völlig aus der Bahn geworfen wird. Das ist eine starke Idee von Lenz.


Wie war es, in der weiten Landschaft an der Nordsee zu drehen?

Diese Landschaft bietet sich ja geradezu an, um Kinobilder zu produzieren. Sie hat Kraft und eine bestimmte Stimmung. Die Weite, das Meer, das flache Land, die Marsch: Das hat etwas Archaisches.


Gab es Überlegungen, im norddeutschen Dialekt zu drehen?

Von Lenz war es so gedacht, dass es nicht nur hier oben spielt, sondern die Leute auch entsprechend reden. Aber die Gefahr ist, dass es zu einem Heimatstück wird. Dialekt kann ja etwas Niedliches haben. Um den Parabelcharakter zu betonen, haben wir uns für Hochdeutsch entschieden – mit kleinen Ausreißern.

 
Wie war die Atmosphäre an Christian Schwochows Set?

Schon bei unserer gemeinsamen Arbeit an DIE UNSICHTBARE war ich überrascht, mit welcher Leichtigkeit und Freundlichkeit diese Dreharbeiten ablaufen können, selbst wenn es ans Eingemachte geht. Es zeichnet einen Regisseur aus, wenn er in Situationen, in denen andere nervös werden, die Ruhe bewahrt und immer noch in der Lage ist, auf die Leute zuzugehen und einzugehen, freundlich und zugewandt zu bleiben. Das ist eine große Qualität.



KURZINTERVIEW MIT TOBIAS MORETTI: „Das Drehbuch war schon so dicht und so auf den Punkt, dass es eine seltene Freude war.“

Was ist für Sie der Kern der Geschichte?

DEUTSCHSTUNDE ist eine dramatische Essenz über den Irrsinn von Opportunismus und den Irrsinn, wie schnell wir konform werden. Der Film ist wie ein Gemälde: Er stellt ein paar Figuren mitten in die erniedrigendste Situation unserer Geschichte, und man schaut wie durch eine Lupe auf dieses Tableau von Getriebenen, Verfolgern und Verfolgten. Man ist berührt und entsetzt zugleich, so dass einem der Atem stockt. Die historische Katastrophe wird sichtbar und auch fühlbar in der Zerrüttung und dem Zugrunderichten alles Menschlichen.


Sie haben mit Christian Schwochow bereits bei „Bad Banks“ zusammengearbeitet. Wie nehmen Sie seine Herangehensweise an DEUTSCHSTUNDE wahr?

Christian Schwochow hat gemeint, dass er eine ganz eigene Ästhetik verwenden möchte, eine Ästhetik, die sich ganz dieser Geschichte anheimgibt. Und es ist ihm gelungen. Hier ist alles überhöht, auch durch diese abstrakt expressive Landschaft, in der das Auge alle Linien verliert. Ich habe lange nicht mehr erlebt, dass man sich einer solchen bildlichen Sprache, einer solchen Dramatik bedient, wie Schwochow und Frank Lamm sie gebaut haben. Dadurch wurden Szenen, wie zum Beispiel der „Leichenschmaus“, ein stiller Schrei der Szenerie, wie ein Cechov oder ein van Gogh, da war man als Schauspieler sofort am Nerv dieser Abgründe. Der Film entfaltet eine Atemlosigkeit, eine dramatische Wucht.


Wie war die gemeinsame Arbeit mit dem Drehbuch?

Wir hatten vor den Dreharbeiten ein, zwei Proben, in denen wir noch etwas modifiziert haben, wenn wir den Eindruck hatten, dass hier und da zu viel oder zu wenig gesagt wird. Aber das Drehbuch war schon so dicht und so auf den Punkt, dass es eine seltene Freude war. Und die Besetzung ist großartig: Sonja Richter ist als Gudrun eine Wucht in ihrer sprachlosen Anarchie. Johanna Wokalek, ohnehin eine der vielschichtigsten Schauspielerinnen, ist als Ditte von solch verlorener, kranker, zarter und jenseitiger Poesie, in der alle Flammen noch einmal aufflackern, obwohl sie schon verloschen sind. Und die Figur von Ulrich Noethen, diesen Jens, möchte man in seiner Erbärmlichkeit fast umarmen. Auch alle anderen Figuren, Siggi, Hilke, Klaas – in ihrem stummen Überlebenstrieb sind sie wie ein Generalangriff gegen das Hilflose. Ich war ganz einfach fasziniert von allen Kollegen. Wenn man als Darsteller ein Instrumentarium für einen Regisseur wie Christian Schwochow ist, dazu mit einem solchen Drehbuch, ist das ein Berufsglück seltener Art. Überhaupt, dieser ganze Film ist eine unerwartete Liebeserklärung an Deutschland, in seiner ganzen zerrissenen Geschichte und Kultur.

Foto:
© Verleih

Info:
STAB
Regie Christian Schwochow
Drehbuch Heide Schwochow
Produzent*innen Jutta Lieck-Klenke
Dr. Dietrich Kluge
Ulf Israel

BESETZUNG
Jens Ole Jepsen        Ulrich Noethen
Max Ludwig Nansen Tobias Moretti
Siggi Jepsen (Kind)    Levi Eisenblätter
Ditte Nansen              Johanna Wokalek
Gudrun Jepsen           Sonja Richter
Hilke Jepsen               Maria Dragus
Siggi Jepsen (Jugendlicher)      Tom Gronau
Klaas Jepsen                             Louis Hofmann

Abdruck aus dem Presseheft