Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Oktober 2019, Teil 9
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein bißchen viel an nationaler Aufgeladenheit, wenn der Roman von Siegfried Lenz DEUTSCHSTUNDE ausgerechnet am neudeutschen Feiertag, dem Tag der Einheit am 3. Oktober anläuft. Denn im Kern geht es ja im Roman und im Film just ums Gegenteil, nämlich um das Einfangen eines „Würdenträger“ des diktatorischen Regimes im Dritten Reich in sein Bespitzelungssystem, mit dem die ausgesondert werden sollten, die dem „Volksempfinden“ nicht genügten.
Wobei hier mit Würdenträger des Regimes der Dorfpolizist Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) gemeint ist, der in der einsamen Gegend eines kleinen Dorfes in Norddeutschland sich selbst auf den eigentlich befreundeten Nachbarn und Maler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti) ansetzt, um ihn als Feind des Volkskörpers zu entlarven. Ja, richtig, schon beim Roman war klar, daß es um Emil Nolde geht, der als Maler eine ungewöhnliche Bandbreite von den Anfängen mit Wurzelseppen, dann einen glühenden Übergang zum Expressionismus mit besonders starken Farben, den Einfluß der Südsee, dann eine irritierende christliche Phase hatte, was ihm alles nichts half, er kam bei den von ihm bewunderten Nazis nicht an, obwohl er sich ständig andiente. Schon tragisch für ihn, daß sein Stil und seine Sujets einfach den kleinbürgerlichen Vorstellungen der Nazis, was man als Kunst an die Wand hängt, nicht entsprachen, da konnte er sich ideologisch noch so krumm machen und buckeln. Daß seine Selbststilisierung in der Nachkriegszeit, in der er ständig vom Malverbot sprach, den Berlin ihm gegenüber ausgesprochen habe, um seine Erfindung handelt, weiß man auch schon sehr lange. Darum kann man an dieser Stelle sich schnell darauf einigen, daß der Maler in DEUTSCHSTUNDE zwar Anlehnungen an Nolde hat, was sein Malen angeht, aber nichts mit dem Menschen Nolde zu tun hatte, ob dies Siegfried Lenz wollte oder nicht.
Der Roman liest sich in der Problematik von personaler Nähe, Einheitsstaat als Überwachungssystem und sich Ausklinken aus der Gesellschaft spannend und das vermittelt auch der Film, der zudem durch die Naturaufnahmen eine Naturmystik gewinnt, die es in sich hat. Den Film darf man nicht als realistische Darstellung einer fremdgegangenen, ja sich in das Gegenteil einer befreundeten Nachbarschaft sehen, sondern eher als Metapher, wie sich Menschen selbst instrumentalisieren, um eine Bedeutung für einen Staat zu gewinnen, der sich als stark gibt.
Darum geht es jetzt nur um den Film, der eine Rahmenhandlung vorausschickt, die in Rückblenden die eigentliche Geschichte transportiert, weshalb man sie nur kurz streifen muß. Der Sohn des Polizisten Siggi Jepsen muß im Gefängnis einen Aufsatz schreiben, dessen Thema ihm so nahe geht, das er dazu nichts in eine Aufsatz drängen kann. Erst in der Zelle, als er nachschreiben soll, schreibt er in einem Guß – also bis zum Ende des Films – die ganze Geschichte nieder.
Sein Vater, als Polizist der Nazi-Regierung besonders nahestehend, denn er ist schon qua Amt ihr Beschützer. Nun erhält er aus Berlin den Auftrag, dem Nachbarn und Maler Nansen das behördliche Malverbot zu überbringen und dessen Überwachung zu übernehmen. Heikel ist dieser Auftrag menschlich nicht nur wegen der Nachbarschaft und Freundschaft der Familien, sondern auch, weil Jepsen in der Schuld von Nansen steht, der ihm einst das Leben rettete. Doch das hilft dem Maler nicht, der im Film ein seltsam duldsames Wesen zeigt und von Verständnis für den fehlgeleiteten Freund geradezu trieft.
Die Guten sind wieder einmal die Frauen, die Ehefrauen Ditte Nansen (Johanna Wokalek) und Gudrun Jepsen (Sonja Richter), die aber nichts ausrichten können. Weder darf Gudrun das Bild behalten, das der bewunderte Maler von ihr malte, noch hält Ditte den Druck und die Verfolgung aus. Am schwierigsten jedoch wird die Situation für den elfjährigen Siggi (Levi Eisenblätter). Er liebt den Maler, seinen Patenonkel und bekommt die Dimension des Verbotes erst einmal nicht mit denn er selbst erzählt seinem Vater, daß Nansen ein neues Bild gemalt hat. Der Vater findet das prima und setzt seinen Sohn als Hiwi ein, der den Maler überwachen soll. Das Gegenteil erwartet nun Nansen vom Jungen, nämlich, daß er ihn unterstützt, nicht nur nichts weitererzählt, sondern ihm beim Verbergen seiner Malerei hilft. Der Junge ist also hin- und hergerissen, ist innerlich auf Seiten des Malers, kann sich aber aus Angst nicht gegen den Vater wenden.
Um den Konflikt des Jungen kreist der Film, der sich noch ausweitet, als sich der ihm ständig als Vorbild aufgedrückte ältere Bruder Klaas (Louis Hofmann) einfindet, heimlich, denn er ist von der Front desertiert und bittet Siggi ihn zu verstecken, ihm Essen zu bringen etc., was er tut. Doch dann wird Klaas bei einem Fliegerangriff verwundert und Siggi holt aus Verzweiflung den Vater, der aus lauter „Pflichterfüllung“, seinen kranken desertierten Sohn direkt bei der für Deserteure zuständigen Stelle abliefert.
Hauptthema ist also gar nicht der Maler, sondern das Zentrum des Film ist das Verhalten, das Sein eines solchen Menschen, der hier als Polizist sowohl dienstlich wie privat menschlich außengelenkt nie hinterfragt, was er da machen soll, sondern aus Gehorsam und Teil des Volksleibes nur Befehlsempfänger und Befehlsausüber wird.
Ein spätes Bild zeigt uns dann, wie der Maler in der jungen Bundesrepublik als Maler reüssiert...
Eine so stringente wie überbordende Handlung, die von den Darstellern dramatisch, doch ein wenig overacting geboten wird.
Foto:
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Info:
STAB
Regie Christian Schwochow
Drehbuch Heide Schwochow
Produzent*innen Jutta Lieck-Klenke
Dr. Dietrich Kluge
Ulf Israel
BESETZUNG
Jens Ole Jepsen Ulrich Noethen
Max Ludwig Nansen Tobias Moretti
Siggi Jepsen (Kind) Levi Eisenblätter
Ditte Nansen Johanna Wokalek
Gudrun Jepsen Sonja Richter
Hilke Jepsen Maria Dragus
Siggi Jepsen (Jugendlicher) Tom Gronau
Klaas Jepsen Louis Hofmann
Abdruck aus dem Presseheft