Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Hin und wieder möchte man das Mädchen Anna (Lena Freund) aus dem kapitalistischen Westen sanft schütteln, damit sie aufwacht aus ihrer nicht mehr erlaubten Naivität, mit der sie ihre erste Liebe Philipp (Tim Bülow), den Sohn eines aufrechten Pfarrers in der DDR, mitsamt seiner ganzen Familie gefährdet, wenn sie so sorglos glaubt, es ginge nach ihrem Kopf und ihrem Herzen, ob sie ihn in Ost-Berlin besuchen kommt...
Törichter als die Polizei erlaubt, aber, was soll man sagen, wenn der Untertitel lautet: „Die wahre Geschichte einer jungen Liebe im geteilten Deutschland“ und wenn, wie im Vorartikel zu lesen war, darüber sogar ein Buch geschrieben wurde, das als Vorlage für den Film dient. Die Wirklichkeit erschlägt immer die Bedenken oder die Moral, aber das daraus ein guter Film werden müßte, das kann sie nicht erzwingen. Das kann man immer nur hoffen, denn natürlich sind die Voraussetzungen für eine Verfilmung fast ideal, wenn junge Liebe, die unterschiedlichen Lebenssituationen in BRD und DDR, noch dazu ein politisch vorsichtig opponierender Ost-Pfarrer, ein ebenfalls durch lange Haare und aufsässige Haltung opponierender Jüngling auf ein junges, von den Eltern und dem Westleben verwöhntes gutbürgerliches Mädchen treffen. Endlich hat sie ihrem Wohlstandsland und -leben, das nicht weniger genormt ist als im Osten, nur freiwillig, eine Abweichung entgegenzusetzen, etwas anderes, was ein Gefühl in ihr hervorruft, ein Gefühl, das sie schützen will, das ihr Lebensziel wird: die Gemeinsamkeit mit Philipp zu leben.
Wir sind allerdings im Jahr 1986. Da ist das nicht möglich. Da ist sogar eher die Frage, wie ein junges Ding aus dem Rheinland überhaupt nach Ost-Berlin kommt. Die Schule, die Fahrt nach West-Berlin, wo ein Besuch im Osten, der ja zu allen Zeiten mit einem Personalausweis für einen Tag ohne Aufwand möglich war, wäre die Normalsituation. Hier jedoch ist es die evangelische Kirche, die einen Jugendaustausch organisiert. Und so beginnt der Film auch, uns erst einmal das sorglose Leben der Tochter vorzustellen, die ein Jugendzimmer hat mit einer Sitzgarnitur, die uns in ihrer Opulenz noch lange beschäftigte, in der der einzige Druck die Schule ist, die Leistungen zu erbringen, die zum Abitur führen. So verständnisvolle Eltern, wie sie buchstäblich im Buche stehen (Franziska Weisz, Fritz Karl), werden auch vorgeführt, mitsamt der kleinen Schwester.
Nachdem wir Anna also in ihrer heimeligen Familie kennengelernt haben, begleiten wir sie auf die Reise, wo sie erst im Zug alle Mitreisenden kennenlernt. Insbesondere mit Ralph (Lukas Zumbrock) versteht sie sich gut, er hat für den Zuschauer dann die Funktion, über Anna, aber auch über den Osten die bundesdeutsche Befindlichkeit auszusprechen. Anna erlebt erst mal. Und staunt über den Pfarrer Andreas Rieger (Götz Schubert), der die Gruppe im Osten so herzlich und mit Kaffe- und Kuchen - nein, es ist Tee, aber Kuchen schon - empfängt und dann ist sie sprachlos, als der auf existentialistisch und rebellisch gekleidete Philipp den Raum betritt. Es ist um sie geschehen. Die beiden nähern sich vorsichtig über Gespräche und seine Gitarre, am meisten jedoch über Blicke einander an.
Die nächsten Tage verlaufen identisch, aber dann muß sie zurück und weiß nur eines ganz genau. Die nächsten Ferien verbringt sie in Berlin. Ihren Eltern muß sie allerdings erst beibringen, daß sie nicht mit ihnen in Urlaub fährt und weil sie ausdrücklich verspricht, nicht nach Berlin zu fahren, sondern zur Oma, akzeptieren die Eltern das. Das Kind wird groß. Natürlich tut sie das Gegenteil und fährt nach Berlin und nicht mehr wie zuvor ins Kifferparadies West, sondern Tag für Tag nach Ost und so kommen doch einige Tage zusammen, in denen die jungen Leute ein Paar werden können.
Die Eltern bekommen das natürlich mit, werden sauer...alles im normalen Bereich. Aber nicht in Ost-Berlin. Natürlich sind die Besuche durch die Stasi registriert, zumal Philipp sowieso durch Aussehen und Verhalten signalisiert: „Ich gehöre nicht zu Euch“. Er will abhauen in den Westen, zusammen mit einer Freundin baldowert er einen konkreten, ganz sicheren Fluchtplan aus, den sie antritt und erschossen wird. So kommt die bittere Realität in diese Schülerliebe und bricht sie ab, denn Philipp muß als Mitwisser ins Gefängnis und sie kann ihn nicht mehr besuchen. Vorbei die Berlinbesuche. Normales Studentenleben beginnt, sie läßt sich auf ihren alten Verehrer Lorenz (Leon Blaschke) ein, zieht mit ihm zusammen, merkt, daß etwas fehlt, was vielleicht die mit dem WV-Bus geplante Marokkoreise bringen könnte, Gemeinsamkeit...
Und dann der 9. November 1989. Die Maueröffnung. Während wir uns noch fragen, wieso sie nicht nach Ost-Berlin fährt, nach dem Schicksal ihrer Liebe Philipp zu fragen, steht der erst nach fünf Monaten vor ihrer Tür...
Dagegen ist auch Lorenz machtlos. Er tritt ab und die Liebe hat gesiegt. Und da ein Buch daraus entstand und jetzt ein Film, hat sie wohl gehalten.
Aber dieser Film wird weder seinem Thema, der Jugendliebe, noch der Dramatik der gesellschaftlichen Veränderungen gerecht. Schwarz-Weiß an der Mauer zu zeigen, die DDRler als die einzigen Bösewichter, die es auf die Westdeutschen und ihr geschmuggeltes Gut in Form von Musik-Cds abgesehen haben, als Unholde vorzuführen, ist heute, wo man einfach differenzierter hinschaut, peinlich, wie überhaupt Plattheiten überhand nehmen. Der Film ist als jugendliche Liebesschnulze gedreht, nicht aber als ein Film, der wirklich die damaligen Verhältnisse abbilden und verstehen könnte. Nur das aber hat seine Berechtigung. Oder ihre.
Foto:
© Verleih
Info:
Besetzung
Anna Lea Freund
Philipp Tim Bülow
Johanna (Mutter von Anna) Franziska Weisz
Thomas (Vater von Anna) Fritz Karl Pfarrer
Andreas (Vater von Philipp) Götz Schubert
Besetzung
Anna Lea Freund
Philipp Tim Bülow
Johanna (Mutter von Anna) Franziska Weisz
Thomas (Vater von Anna) Fritz Karl Pfarrer
Andreas (Vater von Philipp) Götz Schubert