Bildschirmfoto 2019 10 24 um 02.07.14Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Oktober 2019, Teil 7

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Erzählen Sie uns, wie es zu dem Film kam!

Ich habe schon lange über einen unschuldigen Mann als Hauptfigur im Stil der Protagonisten von Hitchcock nachgedacht. Er kommt aus dem Gefängnis und beschließt, die Tat zu begehen, für die er unschuldig verurteilt wurde. Ich dachte an einen Genre-Film, einen Thriller. Ich begann zu schreiben, aber das Thema war zu dünn.

Eine zufällige Unterhaltung mit meiner Mutter hat das Projekt dann wiederbelebt. Sie meinte zu mir: „Weißt Du, Mütter machen Väter. Ich habe Deinen Vater immer etwas wunderbarer dargestellt, etwas netter, etwas stärker, etwas mehr von allem, als er vielleicht wirklich war.“ Ihre Worte haben mich begleitet. Sie haben mich auf die Idee gebracht, zwei Themen zu vereinen: den Unschuldigen, der aus dem Gefängnis freikommt, und die Frau, die versucht, ihrem Sohn durch Gutenacht-Geschichten mitzuteilen, dass sein Vater ein korrupter Polizist war.


Schon von Anfang an werden unsere Erwartungen an einen Thriller-Plot durchkreuzt: die Polizisten sind offensichtlich an dem Angeklagten überhaupt nicht interessiert, verfolgen imaginäre Kriminelle...

Auf die Art werden sie diskreditiert und das Publikum versteht sofort, dass es keinen Thriller schaut und dass es dem Film um etwas ganz anderes geht. Es war nötig, den Film auf eine andere Ebene zu bringen. Denn das ermöglicht erst so abgedrehte Charaktere wie den Psychopathen, der im Film immer wieder auftaucht und die Überreste seiner verstorbenen Tante in einem Plastiksack mit sich herumträgt...


Yvonne (die Mutter) hat einen Berg von Aufgaben zu erledigen: ihrem Sohn über seinen Verlust hinweghelfen, aber auch eine Art Gerechtigkeit für die Taten ihres verstorbenen Mannes wiederherstellen. Und sie muss auch ihr eigenes Leben als Witwe wiederaufbauen. Vor allem fühlt sie sich schuldig: Ein Thema, das in all Ihren Filmen präsent ist.

Das ist ein wunderbarer Motor für Komödien. Schuldige Personen haben immer viel psychologische Tiefe, sie sind empathisch, bewegend und sind nie mit sich selbst im Reinen. Und im Fall von Yvonne ist das Ganze noch interessanter, denn sie trägt die Last der Fehler eines anderen. Ihr wird bewusst, dass sie mit einem Fremden zusammengelebt hat.


Yvonne möchte alles wiedergutmachen, aber konfrontiert sich gleichzeitig nie mit der Realität: Sie könnte mit ihrem Sohn reden oder den Richter einbeziehen, der sich um Antoines Fall gekümmert hat; aber sie wählt einen anderen Weg.

Sie ist jemand, der versucht, Dinge zu regeln, indem sie die Wahrheit ausklammert. Sie versucht verzweifelt, sie zu verbergen: vor ihrem Sohn, damit der nicht traurig wird; vor Louis, der in sie verliebt ist, um ihm keine Sorgen zu machen; vor Antoine, der zu Unrecht im Gefängnis sitzt, um sich nicht bloßzustellen. Man kann aus Schuldgefühl viele Dinge tun: lügen, verstecken, manipulieren, mit jemandem schlafen. Daraus entsteht eine Komödie, aber vor allem ist es sehr menschlich und das ist es, was mich bewegt.


Sie lügt, wie alle anderen Figuren im Film.

Menschen denken oft, dass ich von Lügen und Masken besessen bin, aber sie sind einfach eine der Hauptantriebsfedern von Komödien und auch des Lebens. Was mich interessiert, sind die Situationen, die sie schaffen. Yvonne erzählt Antoine nicht, dass sie die Witwe des Mannes ist, der ihn reingelegt hat, und selbst auch Polizistin ist. Und so denkt Antoine, dass sie sich für ihn aus anderen Gründen interessiert. Yvonnes Zurückhalten der Wahrheit schafft dieses Missverständnis und die daraus resultierende Verwirrung.


Sobald Antoine aus dem Gefängnis entlassen wird, ist er wie eine tickende Zeitbombe: er spricht mit sich selbst, glaubt, er könne alles machen, als ob er Superkräfte hätte, und verliert dabei seinen Halt gegenüber seiner wahren Identität.

Sein Gefühl, dass ihm Ungerechtigkeit widerfahren ist, wird von dem Gefühl begleitet, Zeit verloren zu haben. Er wurde seiner Jugend beraubt und glaubt naiverweise, dass er sie nachholen kann, genauso wie er glaubt, dass er die Ungerechtigkeit aus der Welt schafft durch permanente Gesetzesübertritte. Nur seine Frau Agnès versucht, ihn zur Vernunft zu bringen: Sie legt einen fast heldenhaften Pragmatismus an den Tag.


Beide Frauen verwenden starke literarische Argumente.

Bei der Entwicklung des Drehbuchs wurde uns klar, dass sich diese Charaktere in starken Situationen befinden würden und dass sie sich erklären, rechtfertigen und andere überzeugen müssen. Sie müssen viel reden. Die Dialoge brauchten eine klare, kraftvolle und farbenfrohe Sprache. Beim Schreiben der Dialoge war ich zunächst von dieser literarischen Seite eingeschüchtert, aber dann sagte ich mir, dass ich sie akzeptieren und sogar erweitern muss; dass diese literarische Seite ein wesentlicher Spaßfaktor im Film sein könnte.


Der Charakter von Agnès, der zweitrangig erscheinen könnte, ist sehr wichtig.

Sie ist wesentlich. Ich mag ihre Sorgen, als Antoine aus dem Gefängnis kommt. Sie denkt, er müsse unglaubliche Erwartungen haben, und hat Angst, dass sie ihm nicht das bieten kann, was er sich erhofft. Ich mag die Kraft ihrer Liebe, eine intakte und ernsthafte Liebe. Sie errät seinen Drang zu Gewalt und Rache und weiß, dass sie sich dem mit Unerbittlichkeit entgegenstellen muss, um ihn zu beschützen. Sie ist stark, tolerant und hinterfragt ihr eigenes Handeln. 


DER REGISSEUR PIERRE SALVADORI

Pierre Salvadori (*1964), der ursprünglich aus Tunesien stammt, kam im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern nach Paris. Nach dem Abitur absolvierte er Filmkurse sowie eine Theaterausbildung. 1989 schrieb er sein erstes Drehbuch, das vier Jahre später zu dem Film DER KILLER UND DAS MÄDCHEN wurde, der Geschichte eines seltsamen Trios, das sich aus einem alternden Killer (Jean Rochefort), einem jungen, naiven Mann (Guillaume Depardieu) und einer attraktiven Kunstdiebin (Marie Trintignant) zusammensetzte. Der Film verschaffte dem jungen Regisseur eine Nominierung für den César als Bestes Erstlingswerk.

In den folgenden Jahren brachte er Guillaume Depardieu und Marie Trintignant wieder zusammen in den Komödien DIE ANFÄNGER und LÜGEN WIE GEDRUCKT. Nach Ausflügen in den Film Noir kehrte er zur Komödie zurück und inszenierte zum ersten Mal Audrey Tautou in LIEBE UM JEDEN PREIS. Sie arbeiteten wieder zusammen für die Komödie BEZAUBERNDE LÜGEN und schließlich für LIEBER ANTOINE ALS GAR KEINEN ÄRGER, einem der erfolgreichsten französischen Filme des Jahres 2018.

Filmografie (Auswahl):
2018 LIEBER ANTOINE ALS GAR KEINEN ÄRGER
2014 DER HOF ZUR WELT
2010 BEZAUBERNDE LÜGEN
2006 LIEBE UM JEDEN PREIS
1998 LÜGEN WIE GEDRUCKT
1995 DIE ANFÄNGER
1993 DER KILLER UND DAS MÄDCHEN

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
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Info:
LIEBER ANTOINE ALS GAR KEINEN ÄRGER
Ein Film von Pierre Salvadori Spielfilm, Frankreich 2018, 109 Minuten

BESETZUNG
Yvonne    Adèle Haenel
Antoine     Pio Marmaï
Agnès       Audrey Tautou
Louis         Damien Bonnard
Santi         Vincent Elbaz

Abdruck aus dem Presseheft