Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Mai 2013; Teil 2

 

Romana Reich

 

Berlin (Weltexpresso) – Es wird Menschen geben, die ihr Leben daran ausrichten können, wie sehr sie mit dem Namen und dem Fall KURNAZ aufgewachsen sind und den Folgen, die dieser Name für ihr Selbstverständnis als Bürger der Bundesrepublik bedeuten.

 

 

5 JAHRE LEBEN

 

Wäre der Fall des Deutschtürken Murat Kurnaz anders verlaufen, wenn er Michael Meier geheißen hätte? Mit Sicherheit! Aber er wäre auch anders verlaufen, wenn es die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts gewesen wären und auch vielleicht die derzeitigen! Wie sagt man heute so leichthin für derlei Ungemach: der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort? Kein Ausdruck, wenn es um einen echten juristischen und politischen Skandal geht, wie hier.

 

Wer sich noch erinnert, dem fällt sofort „Bremen“ ein. Denn dort ist Murat Kurnaz 1982 geboren, was ihm nichts half, als er vom November 2001 bis August 2006 in Afghanistan inhaftiert wurde und dann nach Guantanamo gebracht wurde, diese US-Enklave in Kuba, die als militärisches Gefangenenlager, will sagen: Zuchthaus dient. Stefan Schaller ist derselbe Jahrgang wie Kurnaz und hat dessen Gefangenennahme und Befreiung wie seine eigene erlebt, er hat sich in ihn hineinversetzt, auch als noch nicht von einem Film die Rede war.

 

Eigentlich geht es dem Regisseur darum, wie einer überlebt unter solchen Beschuldigungen und Tätlichkeiten. Wir erfahren den Tatvorgang genau. Kurnaz hatte durch die Ermordung seines Freundes den Islam als persönliche Rettung gesehen, war deshalb auf einer Reise nach Karatschi und wurde bei einer Kontrolle von Pakistani festgenommen und den US- Streitkräften übergeben – gegen Geld! So was nennt man Menschenhandel. Dort aber nicht. Dort gehört es zum guten Ton. Genauso wie dann in Guantanamo es der Ton will, daß aus jemandem, der nichts zu sagen hat, eine Mitwisserschaft, eine Schuld herausgeprügelt und herausgefoltert wird.

 

Allein, was man an Foltermethoden im Film mitbekommt, bis hin zu unnötigen Amputationen, ist so furchtbar, daß man sich wundert, wie Kurnaz das überhaupt überlebt. Sascha Gersak heißt der Schauspieler, der hier Murat Kurnaz verkörpert und ihm insofern ein Denkmal setzt, als er glaubwürdig demonstriert, wie einer sich nicht auslöschen läßt, sich letzten Endes auch nicht demütigen läßt und vor allem immer Mensch bleibt, also nicht zum Helden vergrößert oder gar zum Übermenschen stilisiert wird.

 

Wenn dann noch Menschen ihr Spiel treiben und der US-Verhörspezialist sich vom Mitgefangenen gegen Nahrung verraten läßt, daß Kurnaz einen kleinen Leguan um sich hat, ist es kaum mehr auszuhalten, was Stellvertreterpolitik bedeutet: er muß ihn töten. Aber auch damit machten sie in nicht kirre, diesen ungebrochenen Kurnaz, und das Unglaubliche und auch Tröstliche an diesem Film ist, daß einer, der nichts verbrochen hat, auch die Kraft aufbringt und allen ihm angebotenen Einverständnissen widersteht und einfach bei der Wahrheit bleibt. Nach fünf Jahren wurde er freigelassen und es bleibt ein wunder Punkt, weshalb die Bundesrepublik Deutschland die Freilassung nicht früher erreichte und ob dies bei einem Michael Meier anders gewesen wäre.

 

LEVIATHAN

 

Hier geht es um eine sehr anspruchsvolle Dokumentation auf einem industriellen Fischfangboot. Um gar nichts Besonderes geht es, sondern um den Alltag. Wie besonders dieser aber ist, macht diesen Film zu einem Ereignis.