Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es hätte schlimmer kommen können, meint ja erst einmal den Menschen und Schauspieler Mario Adorf, der auf sein Leben zurückblickt. Aber man kann den Entlastungsausruf gleich als Zuschauer aufnehmen: Es hätte viel schlimmer kommen können, wenn ein in die Jahre gekommener Star von seinem Leben erzählt...Stattdessen erlebt man einen souveränen Menschen, der in Klarheit und Wahrheit mit seinem Leben auch von der jungen und alten Bundesrepublik spricht, daß es eine Lust ist, ihm zuzuhören und zuzusehen.
Im nächsten Jahr wird er neunzig Jahre und darf froh sein und wir mit ihm, wie körperlich und geistig gesund er ist und mit welcher Klarheit er auch auf sein berufliches Leben zurückblickt. Vom privaten Leben – das merkt man erst nach dem Film – erfährt man eigentlich nur von der Kindheit und Jugend bis zu dem Moment, wo er als Student in der Filmhochschule aufgenommen worden ist. Und mitten im Film fühlt man sich als kleiner Filmdetektiv und glaubt, dem Regisseur in sein Drehbuch zu blicken, das erst einmal für Dominik Wessely hieß, mit Mario Adorf in die Orte seines Wirkens zu reisen, mit Menschen, die ihn begleitet haben, zu sprechen und – vor allem auch, denn er ist Schauspieler – auf seine Filme zurückzuschauen.
Und was man da im Film entdeckt, das ist der Moment, der so überraschend wie deutsch-bürokratisch ist, wenn nämlich Adorf nach München in seine Filmhochschule, die Otto-Falckenberg-Schule, kommt und ihm der Leiter dort die Originale seiner Bewerbung, einschließlich Bild und vor allem einschließlich handschriftlichen Lebenslauf präsentiert. Dieser handschriftliche Lebenslauf hat im Film dann zu Beginn Mario Adorf in der Hand, liest daraus vor, der Text geht in Bilder von damals über. Er ist also der geheime, ach was, der ganz offene Drehplan für die Erinnerung an seine Jugend bis zu dem Punkt der Bewerbung. Das ist eine frische Idee, die den Zuschauer mitnimmt.
Frische ist überhaupt der Begriff, den man bei diesem Erinnerungsfilm einfach fühlt, so souverän, so für einen Schauspieler unglaublich uneitel, so ernsthaft, wenn es not tut, so schalkhaft, wenn es paßt, kommt Mario Adorf dem Zuschauer entgegen, an den er sich auch immer wieder wendet, wenn er in die Kamera blickt und mit uns spricht. Seine Lebensleistung, von der spricht er nicht, die empfindet aber der, der nach und nach fassungslos registriert, aus welchen armen und auch emotional dürftigen Verhältnissen sich dieser Mann zu einem Filmstar im Weltmaßstab und zu einem souveränen Mann entwickelt hat. Ein Selfmademan der besonderen Güte, denn sicher hat er auch Glück gehabt, aber vor allem hat er saubere Schauspielerarbeit geleistet und hat damit Filmgeschichte geschrieben. Allein die Ausschnitte aus den Filmen der 50er und 60er Jahre sind hinreißend und zeigen zudem, wie vielseitig sein schauspielerischer Ausdruck ist.
Liebevoll und geradezu kameradschaftlich die gemeinsamen Erinnerungen von Senta Berger und ihm, die in den USA in den sechziger Jahren einen gemeinsamen Film drehten und auf drollige Szenen von damals stießen, die so nebenbei auch deutlich machten, wie stark eine schöne Frau wie Senta Berger schon damals von Metoo belästigt wurde, aber auch, wie stark sie damit umging.
Kein Bruch, aber ein Wechsel waren dann die 30 Jahre, die er in Rom lebte und da waren für uns die Filmausschnitte völlig neu, weil es sich um italienische Filme handelte, die wir hier kaum kennen.
Er hat den Schalk im Nacken und ehrlich gesagt, ist man fast traurig, wenn der 99 Minuten lange Film vorbei ist, denn seiner sonoren Stimme, die so Erstaunliches, Komisches, Ernstes, Gefährliches, Entlarvendes erzählt, hätte man noch stundenlang zu hören können. Kann man etwas Besseres über einen Film , der von einem Menschen handelt, damit aber ein ganzes Zeitalter mitschaut, sagen?
Foto:
© Verleih
Info:
Es hätte schlimmer kommen können
Ein Dokumentarfilm von Dominik Wessely
Eine Produktion von COIN FILM GmbH im Verleih von NFP marketing & distribution*
ab 7. November 2019 im Kino
Der Film wurde gedreht in Köln, München, Berlin, Frankfurt, Rom, Florenz, St. Tropez, Casablanca und Mayen in der Eifel.