f larafSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2019, Teil 15

Redaktion

Berlin  (Weltexpresso) - Mit Ihrem neuen Film LARA sind Sie wieder in der deutschen Filmlandschaft aufgetaucht und haben gleich fünf Preise bekommen. Seit Ihrem Debüt Oh Boy sind fast sieben Jahre vergangen. Warum brauchte es diese Zeit, um einen neuen Film zu machen?

Oh Boy hatte seine Premiere im Sommer 2012 beim Internationalen Filmfestival in Karlovy Vary. Danach wurde es einige Wochen still um den Film. Ich dachte zunächst, dass es das schon gewesen sei, doch dann wuchs das Interesse, der Film erhielt Einladungen in die ganze Welt, und so war ich fast zwei Jahre auf Festivaltour und zu Kinostarts im Ausland unterwegs. Viel zu lange natürlich, aber anderseits wollte ich nichts auslassen, da ich nicht wusste, ob diese Gelegenheit jemals wieder kommen würde. Es war alles sehr aufregend und neu. Irgendwann im Herbst 2014 kam ich mit einem regelrechten Oh-Boy-Kater wieder zu Hause an und wusste erst mal nicht, wie es weitergehen sollte. Wie so oft bei Debütfilmen hatte auch ich alles, was ich erzählen wollte, in diesen einen Film gesteckt, und die Suche nach neuen Stoffen hat einige Zeit in Anspruch genommen.


Wie haben Sie das Drehbuch zu LARA gefunden?

Eigentlich befinde ich mich immer – mal mehr, mal weniger intensiv – auf der Suche nach einem Ko-Autor. Keine leichte Aufgabe, da es der Suche nach einer Lebensgefährtin nicht unähnlich ist. Man muss sich auf vielen Ebenen verstehen, gerne Zeit miteinander verbringen, aber sich auch mal streiten können, einen ähnlichen Humor und ähnliche Vorlieben für Filme haben. Franz Rodenkirchen, ein befreundeter Dramaturg, stellte mir im Sommer 2016 den slowenischen Autor Blaž Kutin vor, und es hat sofort geklickt. Wir haben uns in der darauffolgenden Zeit sehr intensiv mit einer Idee von mir beschäftigt. Im Laufe dieser Zusammenarbeit erwähnte Blaž immer wieder ein Drehbuch, das er bereits vor vielen Jahren geschrieben hatte. Auch Preise hatte er schon damit gewonnen, aber aus irgendeinem Grund blieb es unverfilmt und drohte für immer in seinem Schreibtisch zu verschwinden. Ich wurde neugierig und fragte, ob ich es mal lesen dürfe.


Was war es, das Ihnen an diesem Drehbuch gefallen hat?

Es war tatsächlich das erste von vielen Drehbüchern, die mir angeboten wurden, von dem ich dachte, dass ich es gerne selbst geschrieben hätte. Blaž gelingt es auf leichte und fast beiläufige Art, das Drama eines falsch gelebten Lebens zu erzählen, und ich war auf Anhieb fasziniert von der Hauptfigur, die mir merkwürdig vertraut vorkam.  Oh Boy war eine autobiografisch inspirierte Geschichte. Bei LARA, die mir auf den ersten Blick nicht ferner hätte sein können, wollte ich ergründen, was es war, das mich mit ihr verband. Sie ist eine widersprüchliche und darin sehr lebendige Figur, die um die Deutungshoheit ihres Lebens ringt. Übertriebene Absolutheitsansprüche, Zweifel und Ehrfurcht vor der Sache, die sie am meisten liebt – die Musik – haben sie davon abgehalten, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Ein Thema, mit dem ich sehr viel anfangen kann.


Wie ging es dann weiter?

Ich merkte, wie sich eine Anspannung in mir löste. LARA war genau die Geschichte, nach der ich gesucht hatte. Das Drehbuch war, abgesehen von Übersetzung und einigen Änderungen fertig, und ich war mir sicher, dass dies mein nächstes Projekt werden sollte. Sowohl Blaž als auch mein Produzent Marcos Kantis waren begeistert von dem Vorhaben, und ab da ging alles sehr schnell.


Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Corinna Harfouch?

Wie die meisten Menschen kenne ich sie seit Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – aus Kino und Fernsehen. Es war allerding ein Theaterbesuch, der zu einer regelrechten Corinna-Harfouch-Erleuchtung führte. Ungefähr zwei Jahre bevor ich das Drehbuch zu LARA entdeckte, sah ich sie erstmalig auf der Bühne, in der genialen Gosch-Inszenierung von Tschechows Die Möwe. Ich war völlig überwältigt von ihr, und es entstand der dringende Wunsch, unbedingt mit ihr zu arbeiten. Ob ich LARA verfilmen würde oder nicht, habe ich von ihrer Zusage abhängig gemacht. Schon beim ersten Lesen hatte ich nur Corinna Harfouch vor Augen und konnte mir auch bis zuletzt niemanden sonst für diese Rolle vorstellen.


Wie war die Arbeit mit ihr?

Ich denke, ich spreche für alle im Team, wenn ich sage, dass die Arbeit mit Corinna Harfouch traumhaft war. Sie ist unermüdlich und versprüht selbst nach zwölf Stunden harter Arbeit noch immer gute Laune, Witz und kreative Energie. Es ist diese besondere Mischung aus Instinkt, Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, die sie als Mensch und als Schauspielerin einzigartig macht. Sie hat es geschafft, all’ den Widersprüchlichkeiten der Figur, eine große Plausibilität und Geschlossenheit zu verleihen und einen verletzten Menschen sichtbar und zugänglich zu machen. Zudem ist es ihr gelungen, in den richtigen Momenten mit einer liebevollen Komik auf diese Figur zu blicken, um sie damit auch zu schützen. Sie hat die Rolle gespielt, als wolle sie sich stark machen für diese von vielen unverstandene und abgelehnte Lara. Die Zusammenarbeit mit ihr war eine der schönsten kreativen Kollaborationen, die ich bisher hatte. In meinen Augen ist sie die größte Schauspielerin, die wir haben.


War es für Sie als Regisseur eine besondere Herausforderung, die Geschichte einer sechzigjährigen Frau zu erzählen?

Ja und nein. Wenn ich mich – als Zuschauer oder Regisseur – einer Figur nähere, dann deshalb, weil mich interessiert, was uns über Geschlecht, Alter, Hautfarbe, Religion und Sexualität hinaus in unserem Menschsein eint. Alles andere würde mich als Erzähler extrem limitieren. Natürlich werde ich nie in Gänze verstehen, was es bedeutet, eine Frau zu sein, aber ich kann mich mit Neugier und Offenheit nähern. Als Filmemacher hat es mich noch nie interessiert, Antworten zu geben. Ich empfinde es vielmehr als Privileg, das Unbekannte ergründen zu können und eine neue Perspektive zu entdecken. Und im Fall von LARA gab es Einiges zu entdecken. Frauen eines gewissen Alters sind selten in Hauptrollen zu sehen und im Kino sträflich unterrepräsentiert. Dabei geht von ihnen oft eine ganz besondere Klugheit, Stärke und Empathie-Fähigkeit aus. Männer in diesem Alter laufen viel häufiger Gefahr, in Selbstmitleid, Verbitterung und Selbstgerechtigkeit abzurutschen. Frauen sind diesbezüglich oft sehr viel pragmatischer und haben die Fähigkeit, aufzustehen und einen Neuanfang zu wagen.


Auch Tom Schilling ist wieder dabei. Was machte ihn für diese Rolle ideal?

Tom und ich sind schon seit vielen Jahren sehr eng miteinander befreundet. Doch sobald ich ihn auf der Leinwand sehe, vergesse ich, dass wir uns kennen. Ich bewundere ihn als Schauspieler sehr und staune jedes Mal darüber, wie es ihm gelingt, mit wenigen Pinselstrichen große und facettenreiche Figuren zu verkörpern. Es ist diese besondere, stille Strahlkraft, die ihn einzigartig macht und von jedem Schauspieler seiner Generation unterscheidet. Mal abgesehen von Toms Liebe zur Musik ist er ein Mensch, der den Zweifel und das Überwinden eigener Ängste sehr gut kennt. Zudem ist er unglaublich ehrgeizig. Um sich auf den Film vorzubereiten, hat er so lange Klavierunterricht genommen, bis er die „Revolutionsetüde“ von Chopin tatsächlich spielen konnte. Selbst die professionellen Musiker, die an unserem Projekt beteiligt waren, waren völlig begeistert. Diese Art der Hingabe kenne ich nur von Tom. All diese Aspekte haben zwangsläufig darauf hingedeutet, dass er die ideale Besetzung für die Rolle Viktor ist, und ich bin sehr glücklich, dass er die Figur gespielt hat.


Auch in den Nebenrollen ist Ihr Film LARA großartig besetzt. Ist es schwer, auch für kleinere Rollen hochkarätige Schauspieler zu bekommen?

Tatsächlich empfinde ich es als großes Glück und Privileg, auch in Nebenrollen mit so herausragenden Schauspielern arbeiten zu dürfen. Casting ist eine meiner liebsten Tätigkeiten im Entstehungsprozess eines Films. Einige der Besetzungen hatte ich schon lange vor Drehbeginn im Kopf. Gudrun Ritter zum Beispiel, als die Mutter unserer Hauptfigur. Bei anderen Besetzungen war ich anfänglich allerdings etwas hilflos. Bei der Besetzung des Professor Reinhofers hatte ich einfach keine Ideen, aber glücklicherweise standen mir die wunderbare Casterin Nina Haun und ihr Team zur Seite. Sie waren es, die mich auf Volkmar Kleinert für die Rolle aufmerksam machten. Gemeinsam haben wir auch das restliche Ensemble vervollständigt und konnten viele großartige Schauspieler für den Film gewinnen. Eine Aussage habe ich während dieses Prozesses jedoch häufiger gehört: "Corinna Harfouch spielt die Hauptrolle? Ich bin dabei!“ So gesehen war Corinna indirekt auch an der Besetzung des Films beteiligt.


Musik spielt eine zentrale Rolle. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Komponisten Arash Safaian und der Pianistin Alice Sara Ott?

Die Suche nach einem Komponisten für den Film war tatsächlich nicht so einfach. Vor allem das Klavierkonzert, das die Figur von Tom Schilling am Abend des 60. Geburtstages seiner Mutter uraufführt, war eine der größeren Herausforderungen des Projekts. Zum einen ist es immer eine heikle Angelegenheit, andere Künste im Film darzustellen – meistens gelingt das nicht so gut. Zum anderen wird das Stück im Laufe des Films von der Hauptfigur sehr ambivalent besprochen – sogar als „gefällig“ beschrieben. Am wichtigsten war mir jedoch, dass in diesem Stück etwas Zentrales über Viktor und die Beziehung seiner Mutter verhandelt wird. Über unsere Musikberaterin wurde ich schließlich auf Arash Safaian aufmerksam. Und schnell wurde klar, dass ich den richtigen Komponisten gefunden hatte. Arash war selbst Pianist, bevor er sich der Komposition widmete, um nicht länger „nur“ Interpret, sondern Schöpfer zu sein. Zudem empfinde ich seinen Kompositionsstil als mutig. Er ist modern, schreckt aber nicht vor großer Emotion zurück. Gemeinsam mit Tom haben wir oft und lange über das Stück gesprochen, bevor Arash dann eine erste Version komponiert hat, bei der es auch weitestgehend geblieben ist. Als es dann darum ging, einen Pianisten oder eine Pianistin für die Aufnahmen zu finden, hat jeder von uns eine Wunschliste erstellt, bei der wir beide unabhängig voneinander Alice Sara Ott an erster Stelle hatten. Zum Glück konnten wir sie für das Projekt gewinnen. In der noch immer sehr stark männlich dominierten Welt des Klavierspiels ist sie eine ganze besondere und  einzigartige Künstlerin.


Wie Oh Boy wurde auch LARA in Berlin gedreht. Können Sie etwas zur Wahl der Motive und der Ästhetik des Films erzählen?

In Oh Boy spielt Berlin die zweite Hauptrolle. Die meisten Drehorte waren in Prenzlauer Berg, Mitte und Kreuzberg. LARA haben wir fast ausschließlich in Charlottenburg und Tiergarten gedreht. Mir war wichtig Motive zu finden, die ein bürgerliches, fast bundesrepublikanisches Flair haben. Orte, an denen die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein scheint – wie das Hansaviertel, die Gegend um Savignyplatz und Kantstraße. Dabei fanden wir unglaublich schöne Drehorte wie das Oscar-Niemeyer-Haus, das Delikatessen-Geschäft „Rogacki“ oder das Theater des Westens. Unsere Hauptdrehzeit war im Herbst und die besondere Farblichkeit dieser Jahreszeit haben wir im Szenen- und Kostümbild aufgenommen. Der Kameramann Frank Griebe und ich haben uns für eine sehr statische, fast hermetische Kamera entschieden, um die Strenge, Freundlosigkeit und Gefangenheit unserer Hauptfigur sichtbar zu machen.


Gibt es aus Ihrer Sicht Parallelen zwischen ihrem Debütfilm und LARA?

Es gibt mit Sicherheit ein paar vage Parallelen zwischen beiden Filmen. Abgesehen davon, dass sie sich in der Tonalität ähneln, handeln beide von missverstandenen Figuren, die nicht ausdrücken können oder nicht ausdrücken wollen, wie es ihnen geht. Ihre eigenwillige Sicht auf die Welt macht sie – bis zu einem gewissen Grad – zu einsamen, isolierten Menschen. Ich glaube, in beiden Filmen geht es um Figuren, die eine große Sehnsucht nach einem erfüllten Leben haben und genau über diesen Anspruch ins Wanken geraten.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Verleih Studiocanal

Info:
„Lara“, D 2019, 98 Minuten, Filmstart 7. November
Regie Jan-Ole Gerster
Mit Lara               Corinna Harfouch
Viktor             Tom Schilling
Herr Czerny   André Jung
Reinhofer       Volkmar Kleinert
Viktors Vater  Rainer Bock

Abdruck aus dem Pressehef