Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. Mai 2013; Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Name TUGENDHAT ruft in der Kunstgeschichte von heute zweierlei Assoziationen hervor: das von Mies van der Rohe für die Familie Tugendhat in Mähren gebaute Haus und die in Wien lehrende Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat.
HAUS TUGENDHAT
Im Film nun erweist sich, was man ahnen konnte, daß Daniela Tugendhat aus der weltberühmten Familie stammt, die auch deshalb weltberühmt wurde, weil der Bauhaus- Architekt Mies van der Rohe zur rechten Zeit am rechten Ort war und dem Industriellen Tugendhat ein Haus auf die grüne Wiese gesetzt hat, das bis heute seine Modernität mit den edlen Materialien genauso bewahrt wie die ungeheure Funktionalität des Wohnens, von denen die Bewohner sprechen.
Warum wir von Daniela Hammer-Tugendhat sprachen, hat auch damit zu tun, daß man nach den sehr sachlichen und objektiven Tönen im Film von Dieter Reifarth, der für Buch, Regie und Schnitt verantwortlich ist, den Eindruck hat, daß ihr Ehemann und Konservator Ivo Hammer zur fachkundigen Restaurierung viel beigetragen hat, was auch Sohn Lukas Hammer begrüßt. Wir sehen im Film eine Melange aus Bildern des Hauses durch die verschiedenen Zeiten, also auch in alten Filmen, sowie ihrer aus Brünn als Juden vertriebenen Bewohner, die Interviews geben, so sie noch leben. Das ist das eine, die Familienseite.
Wir sehen aber auch das Haus Tugendhat durch die Zeiten der sozialistischen Republik, wo es ebenfalls hochgeehrt wurde, wenngleich nach und nach ganz schön verschandelt, was als wiederum als Anpassung an die Modernität ausgelegt wurde und wir sehen es 1992 als Ort der Kommunikation zwischen den sich trennenden Landesteilen Tschechei und Slowakei, deren friedliche Trennung 1993 tatsächlich auf die Atmosphäre des Hauses zurückgeführt wird, die auf die Menschen eben honorig wirkt.
Der Film ist 116 Minuten lang und keine Minute ist überflüssig, wir hätten sogar noch länger gesessen und zugehört und zugeschaut, wie ein einzelnes Haus Geschichte macht. Und weil es inmitten von Verlust und Zerstörung heute so gut erhalten gezeigt werden kann, hat dieser Film auch etwas Tröstliches. Denn er handelt lange Passagen von dem Unrecht, das geschah. Auftraggeber für den Architekten Mies van der Rohe waren Grete und Fritz Tugendhat. Das Geld kam aus ihrer Familie, der jüdischen Großfamlie Löw-Beer, die mit ihren Textil-, Zucker- und Zementfabriken im mährischen Brünn maßgeblich zur Industrialisierung, also auch zu den Arbeitsplätzen der Tschechoslowakei beigetragen hatten.
Diese 1903 geborene Grete heiratete in zweiter Ehe 1928 Fritz Tugendhat, den Leiter der väterlichen Tuchfabrik. Zur Hochzeit gibt es das Grundstück, auf das das Paar nach eigenem Gutdünken und ohne finanzielle Beschränkung ein Haus bauen darf. Grete war in der modernen Architektur durch sechs Jahre Aufenthalt in Berlin zu Hause und wollte nicht Le Corbusier, wollte nicht Walter Gropius, nicht Ernst May, Adolf Loos, Hans Scharoun, Bruno Taut, Hans Poelzig, sie wollte Mies van der Rohe, der sich darum seit Sommer 1928 damit beschäftigte und den Bau 1930 abschloß.
Die Architekturbeschreibung lautet: Das Haus Tugendhat ist ein spektakuläres Hauptwerk moderner Architektur und ist UNESCO-Welterbe. Ein Gesamtkunstwerk, das seit 1938 – damals mußte die Familie in die Schweiz flüchten, rettete sich dann nach Südamerika – von Zweckentfremdung und Zerstörung betont war, allen Katastrophen widerstand und 2012, nach aufwendiger Restaurierung erneut der Öffentlichkeit übergeben wurde und seine neue Bestimmung fand.Bis heute gilt das Haus nicht nur als Gebäude, sondern als Ausdruck eines spezifischen Lebensgefühls, das sozialutopisch genannt werden darf. Man sieht den Film hindurch, daß auch die Menschen, die nichts über die Architektur wissen, dem Haus gegenüber einen ungeheuren Respekt an den Tag legen und von ihm als Subjekt genauso sprechen wie es Kunsthistoriker tun.
Insofern ist der Film über dies Haus auch ein Film über die Möglichkeiten von Häusern, mehr auszudrücken als nur eine Behausung. Das offene Haus mit den ursprünglich und größtenteils wiederhergestellten kostbaren Materialien zwingt auch einen gewissen Lebensstil auf: weltoffen und umweltschonend. Natürlich ist der Film für das Fernsehen ebenso geeignet, weil es nicht herkömmlich ist, daß die Leute zur Unterhaltung des Abends im Kino ein Haus vorgesetzt bekommen.
Aber eigentlich, das fanden wir schon im Film und finden es jetzt erst recht, wo wir fast noch nichts Substantielles über das Haus sagen konnten, daß daraus eine Fernsehserie werden könnte, die die verschiedenen Stationen: großbürgerliche Villa, private Schule für Rhythmik und Ausdruckstanz, Therapiezentrum, Schule für wirbelsäulgeschädigte Kinder und Konferenzstätte des Auseinanderdividierens der alten Tschechoslowakei in je eigenen Kapiteln ausführt und dabei auch die Steine zum Sprechen bringen kann, die bei den Renovierungsarbeiten sicher viel zu sagen hätten. Wir sind aber auch mit den Interviews der Menschen im Film sehr zufrieden.