Nachtrag: Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Dezember 2019, Teil 20
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eigentlich das gefundene Filmthema, die Flucht des gefürchteten Kritikers und vehementen NSDAP-Gegners aus Berlin, rechtzeitig vor den Reichstagswahlen am 25. März 1933 – es muß sich um diese handeln, denn der Kritiker spricht vom Ergebnis mit 43 Prozent für Hitler – , nach denen die Nazis solchen wie diesem den Garaus machten, und das alles erzählt aus der Perspektive eines Kindes, seiner neunjährigen Tochter.
Eigentlich. Und lange glaubt man auch, hier in aller Deutlichkeit und Detailliertheit die Gefühle und Gedanken eines Kindes zur Flucht aus der Heimat mitzuverfolgen ...und auf einmal ist einem das zu detailgetreu, aber undeutlich geworden. Woran das liegt? Dazu später mehr.
Der Filmtitel ist all denen bekannt, die als pubertären Lesestoff oder gemeinsam in der Schule das gleichnamige Buch von Judith Kerr gelesen hatten, das diese 1971 auf Englisch in England verfaßte. Daß die Familie in England Asyl sucht, waren die letzten Einstellungen, wenn der Dampfer sie in englische Sicherheit bringt. Sie nennt im Roman ihren Vater Arthur Kemper, hinter dem sich der bekannteste und wirklich brillante Kritiker der Weimarer Republik und Feuilletonist Alfred Kerr verbirgt, dessen Werke in einer Gesamtausgabe ab März 1998 im Fischer Verlag erschienen sind, weil sie auch heute noch Geist und Kultur der Zeit subtil einfangen.
Daß seine Bedeutung nicht inhaltlich, sondern über die stilvolle Villa in Berlin und Selbstaussagen an den Zuschauer gelangen, kann man damit begründen, daß die Augen eines Kindes am Vater nicht seine gesellschaftliche Bedeutung wahrnehmen, sondern sein Verhalten zu den Kindern. Und der warmherzige Vater kommt trotz seiner zeitintensiven beruflichen Beanspruchung zum Tragen. Ihn spielt Oliver Masucci mit gebotenem intellektuellem Touch, aber doch noch stärker als emotionaler Hort für Tochter Anna Kemper. Denn sie ist Judith Kerr, die von der Familienflucht erzählt, zu der Bruder Max und Mutter Dorothea (Carla Juri) gehören und wo auch das titelgebende rosa Kaninchen eine Rolle spielt.
Beim Packen für den Erholungsurlaub in der Schweiz als der die Flucht aus Berlin offiziell verkauft wird, darf Anna nur ein Kuscheltier mitnehmen. Das rosa Kaninchen ist schon lange ihr Liebling, aber sie hat einen neuen Hasen und gönnt diesem das Exil. Das Kaninchen wird in dem Koffer verstaut, den die Haushälterin (Ursula Werner) mitsamt anderer Lieblingsstücke bald nachbringen soll, wozu es nie kommt.
Doch, das Wegfahren und Ankommen in der Schweiz wird sehr liebevoll nachgezeichnet und die Konflikte, die Stadtkinder im schwyzerdütschen Umland erst einmal erleben auch. Daß dabei die Kinder eine solche Rolle spielen, gehört ja für die Erzählung aus Kindermund dazu. Und aus Kindersicht ist auch nachvollziehbar, daß die politischen Ereignisse nur pauschal oder atmosphärisch über Onkel Julius gestreift werden( Aber irgendwas geht dabei nicht auf. Denn es stimmt ja nicht, daß die Kindersicht konsequent durchgehalten wird. Das kann auch gar nicht gehen, wenn eine Erwachsene, die die Familiengeschichte auf dem Hintergrund der Weltgeschichte erzählt, will sie auch noch so sehr die Kindersicht beibehalten. Sie kann es nicht.
Das gilt auch für die Weiterfahrt, die weitere Flucht nach Paris, wo der Vater eine Anstellung in einer Redaktion erhalten soll. Doch ist die Bezahlung für eine vierköpfige Familie zu gering, weshalb England das nächste und endgültige Ziel wird. Auch Paris wird pittoresk und folkloristisch dargestellt, und sowieso trägt den Film die temperamentvolle und kapriziöse Hauptdarstellerin .
Man fragt sich nur zunehmend, warum einem diese Geschichte nicht stärker unter die Haut geht, handelt es sich doch um den schlimmsten Teil deutscher Geschichte, wenngleich um diejenigen, die wenigstens ihr Leben retten konnten. Irgendwie ist über die ganze perfekte Ausstatterei und das sehr behäbige Erzählen die Angst und Unsicherheit der Figuren auf der Strecke geblieben.
Daß der Film dennoch sehenswert ist und gerade für Kinder und Jugendliche einen Zugang zur schrecklichen deutschen Geschichte bedeuten kann, das wünscht man sich und sollte es dringend sowohl individuell über Familien wie auch institutionell über Schulen versuchen.
Foto:
© Verleih
Info:
DARSTELLER
Riva Krymalowski, Anna Kemper
Oliver Masucci, Arthur Kemper
Carla Juri, Dorothea Kemper
Justus von Dohnányi, Onkel Julius
Marinus Hohmann, Max Kemper.
Ursula Werner, Heimpi
Caroline Link, Regie, Drehbuch.
Anna Brüggemann, Drehbuch
Judith Kerr, Buchvorlage
Jochen Laube, Produktion
Fabian Maubach, Produktion.
Bella Halben, Kamera.
HINTER DER KAMERA
Caroline Link, Regie, Drehbuch
Anna Brüggemann, Drehbuch
Judith Kerr, Buchvorlage
Jochen Laube, Produktion
Fabian Maubach, Produktion
Bella Halben, Kamera
Wir sahen den Film in dem immer noch neuen Standort der Astor Filmlounge in MyZeil Frankfurt, der in den verschiedenen Filmsälen außerordentlich frequentiert ist.