Bildschirmfoto 2020 02 22 um 01.02.3070. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 1/18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Die argentinische Regisseurin Natalia Meta hält einen ganz schön auf Trapp. Wenn man den Schluß ihres Horror-Psychothrillers richtig deutet, so muß die gebeutelte Heldin Inés nur mal ausgiebig mit dem richtigen Mann drauflosschlafen und einen Orgasmus erleben, um ihre eklatanten Störungen los zu sein.

Denn danach sieht man die Synchronsprecherin und disziplinierte Chorsängerin zum ersten Mal glücklich, entspannt, ja voller Vitalität und Lebenslust. Allerdings heißt es ja auch in der Antike "Post coitum omne animal triste est“, was eine gute Gelegenheit ist, einmal darauf hinzuweisen, daß dieses Orgasmuszitat eine Fortsetzung hat: „ sive gallus et mulier", also nur beim Hahn und der Frau ist es anders, womit die obere Deutung ja bestätigt wäre.

Aber wenn man bei diesem Film eines lernt, dann wäre es, sich besser keine Meinung über das Geschehen und auch die Hintergründe der Person Inés zu bilden, denn im nächsten Moment kommt es eh wieder anders. Wir lernen diese Inés ( Érica Rivas) als Synchronsprecherin kennen, was mal nett ist, denn so oft wird dieses Gewerbe, ohne das es keine internationale Filmindustrie gäbe, nicht dargestellt. Harte Arbeit. Denn sie muß ihre Sätze mal schneller, mal leidenschaftlicher, mal pointierter, mal routinierter sprechen, bis ihr Aufnahmeleiter zufrieden ist.

Die nächste Szene findet im Flugzeug statt, wo sie ihre extreme Flugangst ihrem noch recht neuen Freund Alberto ( Nahuel Pérez Biscayart) gesteht, dem es ähnlich geht und der ihr eine hilfreiche Pille, nein, nicht anbietet, sondern aufdrängt. Nach mehrmaligem NEIN, daß sie keine Pille will, schluckt sie sie. Da haben wir schon etwas verstanden, was in der Folge im gemeinsamen Urlaub deutlich wird, daß er ein Kontrollfreak ist, der die Marschrichtung angibt. und sie dann doch nachgibt.  Und plötzlich ist er tot. Sie hat ihn über das Geländer gedrängt, oder war es umgekehrt, daß er sie bedrohte und dann sprang. Auf jeden Fall liegt er tot im Swimming Pool der Hotelanlage.

Man sieht interessante Bilder, auch die Szenen mit den Fledermäusen hat was, grundsätzlich mag ich das, wenn ich im Film länger nicht weiß, wo die Reise hingeht. Raffiniert schlägt die Regisseurin dann noch Volten, wenn wiederholt Szenen, die wir als die Fortsetzung der Filmgeschichte verstehen, verstehen müssen, sich dann als ein Alptraum der Inés herausstellen, aus dem sie voller Angst erwacht, weil sie es ja gerade noch für wirkliches Leben gehalten hatte. Immer geht es um Vergewaltigung, Mord und Totschlag. Um nackte Angst. 

Nein, die komplexe Geschichte aus Buenos Aires wird jetzt nicht erzählt. Aber doch Hinweise auf Inés' Verfassung. So hört sie Töne, die andere nicht hören, was ihre Chorsingerei zu einer Qual macht. Aber sie erzeugt auch Töne, zumindest haben die Mikrophone solche aufgezeichnet, ohne daß sie bewußt Laute von sich gab. Sie sieht aber auch Personen, die für andere nicht sichtbar sind, bzw. die, wenn sie andere darauf aufmerksam macht, verschwunden sind, auch für sie selbst. Am dollsten treibt es die Mutter (Cecilia Roth), die erscheint unangekündigt und führt sich ähnlich kontrollierend auf wie der verflossene Alberto. Daß da etwas nicht stimmt, wird deutlich, wenn Inés gerade noch mit ihr telefonierte, dann in die Küche geht, wo sie steht, ihre Nachbarin zu Hilfe holt, die eine leere Küche vorfindet.

Aber nicht nur die beiden spuken in ihrem Kopf herum, sondern zwischen der Umwelt und ihrem Inneren verwischen sich zunehmend die Grenzen. Sie selbst schwankt zwischen Schlaflosigkeit und Alpträumen, in denen sie sich aber wie im normalen Leben fühlt. Sie ist gefangen in dieser Dualität von Realität und Wahn und kann nicht mehr auseinanderhalten, wann was vorliegt. Nur eines weiß sie genau, diese Eindringlinge in ihrem Kopf, die von ihrem ganzen Körper Besitz ergreifen wollen, sie als Person auslöschen und sie sozusagen übernehmen wollen, die muß sie loswerden.

Höchste Zeit, zu betonen, daß die Schauspielerin Érica Rivas ihre Sache sehr gut macht, denn sie hat sich – so wie Alberto, die Mutter und andere in ihrem Körper breitmachen – längst im Inneren der Zuschauer eingenistet, die nur noch ihren Wegen folgt und kein Erbarmen mit Alberto, der Mutter oder auch den weiteren Männern und potentiellen Liebehabern hat.

Was nun wirklich los ist, deuten Sie es selber, auf jeden Fall ist jeder Hinweis, daß unsere Welt komplexer ist als das Sichtbare, eine Binsenweisheit und damit auch eine Wahrheit. Der Film sei inspiriert von einem Kult-Horrorroman EL MAL MENOR des argentinischen Schriftstellers C.E. Feiling, den wir nicht kennen, dies aber weitergeben wollen.

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Info:
Stab
Regie, Buch: Natalia Meta, nach dem Roman „El mal menor“ von C. E. Feiling
Co-Autor*in Leonel D'Agostino
Kamera  Bárbara Álvarez

Darsteller
Érica Rivas (Inés)
Nahuel Pérez Biscayart (Alberto)
Daniel Hendler (Leopoldo)
Cecilia Roth (Marta)
Guillermo Arengo (Maestro)
Agustín Rittano (Nelson)
Mirta Busnelli (Adela)