berl elio germano70. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 2/18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Schon nach kurzer Zeit hat man das Gefühl, man habe hier im zweiten Film des Wettbewerbs von 18 Filmen schon den Bärengewinner vor Augen. Das liegt an der ungewöhnlichen Geschichte des Antonio Ligabue (Dezember 1899. Zürich – Mai 1965 Gualtieri/Italien, den seine Verkörperung Elio Germano als neurotischen Zwangscharakter in einer abstoßenden, häßlichen Maske auf die Leinwand bringt. Eine unglaubliche Leistung, wo man auch schon den Bären für die beste Darstellung spürt.

Der Film ist zwar fiktiv und kein Dokumentarfilm, aber er gibt das Leben dieses italienischen Malers wieder, der erst spät entdeckt wurde. In der Schweiz von einer Italienerin, die auswanderte geboren, war er sehr schnell verhaltensauffällig und wurde schon als junger Mann nach Italien abgeschoben, obwohl er kein Wort Italienisch konnte und die Schweiz als Heimat fühlte. Wo immer er sich aufhielt, er blieb der armselige Außenseiter, der sich als Tagelöhner durchschlug und auf einmal merkte, wie gerne er zeichnete – und wie gut dazu.

Er vegetierte buchstäblich dahin, bis er den Bildhauer Renato Marino Mazzacurati kennenlernte und dieser von seinem Talent überzeugt, ihn motivierte, im großen Stil als bildender Künstler zu arbeiten. Diesem Wechsel in seinem Leben gilt dieser Film, wobei er auch als dann anerkannter Künstler noch seine Scheu, ja Angst vor den Menschen beibehält, die ihn ja auch immer wieder demütigen oder zumindest übersehen. Etwas Wunderbares ist, wie durchgängig die Frauen dem verachteten Fremden, der er lange bleibt, Sanftheit und Fürsorge angedeihen lassen.

Das alles fängt die Kamera von Matteo Cocco in poetischen Bilder ein. Auch wenn es um Dreck, um das Arbeiten mit Schlamm und den Stoffen, aus denen modellierte Körper entstehen, geht, so sind die Bilder sanft und immer in die Natur eingebettet.

Wir erleben die Emanzipation eines Menschen, dem seine künstlerischen Fähigkeiten erst zum Menschen machen, der von anderen anerkannt wird. Wir erleben seine Ängste und Empfindlichkeiten und entwickeln sogar als Zuschauer im Kinosessel ein Schutzbedürfnis für diesen Mann, der in keiner Kultur auf der ganzen Welt auf der Seite der Macht stünde, sondern immer von den Ausgegrenzten künden wird.

Wir hatten wohl schon den Namen gehört, aber seine Kunst nicht. Schließt man aus den Filmszenen auf die Wirklichkeit, so ist er erst einmal eine Doppelbegabung, denn er bildhauert, er zeichnet, er malt mit möglichst guten Farben. Seine Bilder, von denen es heißt, sie seien der naiven Malerei eines Rosseau vergleichbar, gehören auf keinen Fall in diese Schublade. Die im Film gezeigten Gemälde mit den wilden Tieren im Wald erinnern am ehesten an die Volkskunst von Haiti, die aber hierzulande nicht so bekannt ist.

Der Film macht einem aber auch deutlich, daß dieser Mensch ohne seine künstlerische Begabung noch abgehängter, noch weniger wahrgenommen worden wäre, noch mehr gehänselt, als es auch unter diesen doch guten Voraussetzungen geschah. Nur die Frauen, die spielen in diesem Film, liebreizende Rollen. Sie bringen diesem häßlichen, verunstalteten Mann mit Hasenzähnen und stetig offenem Mund eine Güte entgegen, die dem Film von den Bildern abgesehen, eine besondere Wärme geben.

In diesem Film stimmt einfach alles. Und wie gesagt, eine schauspielerische Glanztat. Im übrigen staunte man dann schon, als bei der Pressekonferenz einem ein wohlgestalteter Elio Germano gegenübersaß, den man gerade als ruinösen Toni auf der Leinwand gesehen hatte.

Foto:
© Chico de Luigi

Info:
Stab
Regie  Giorgio Diritti
Buch . Giorgio Diritti, Tania Pedroni
Co-Autor*in . Fredo Valla
Kamera . Matteo Cocco

Darsteller

Elio Germano (Antonio Ligabue)
Pietro Traldi (Renato Marino Mazzacurati)
Orietta Notari (Mazzacuratis Mutter)
Andrea Gherpielli (Andrea Mozzali)
Oliver Ewy (Ligabue als Teenager)
Leonardo Carrozzo (Ligabue, jung)