70. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 3/18
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Tja, wie drücke ich es ehrlich und angemessen aus. Wenn man aus dem Film PERSIAN LESSONS kommt, eine eindrückliche Nazi-, SS- und KZ-Geschichte, dann noch eine aufregende, weil anregende Pressekonferenz mit den Hauptdarstellern Nahuel Pérez Biscayart und Lars Eidinger sowie Regisseur Vadim Perelman erlebt, dann ist man so sehr in unsere Gegenwart eingetaucht, einschließlich der Morde von Hanau, daß man den ehrenwerten Film FIRST COW dann doch...
Wenn wir in letzter Zeit vermehrt feststellen und dies auch schreiben, daß sich das englischsprachige Kino derzeit mit der glorreichen Geschichte der USA und Englands beschäftigt oder Literaturverfilmungen der guten alten Zeit en masse auf die Leinwand bringt, - wie wir meinen aus einsichtigen Gründen, weil die häßliche Gegenwart keinen Widerhall im Kino findet -, dann gilt dies auch für FIRST COW. Leider. Zwar hat der Film ein trauriges Ende und er verherrlicht auch nichts, aber allein die Tatsache, daß es wieder einmal um Goldgräber im 19. Jahrhundert, um Männer, die an abgelegenen Orten der USA ihr Glück suchen, aber ihr Unglück finden, geht, ist für uns der Vergangenheitsbewältigung zu viel.
Außerdem sind diese ganzen Männergeschichten irgendwie vorbei. Daß nun ausgerechnet die Regisseurin Kelly Reichardt diesen Abenteurerfilm mit einem Haufen Männer dreht, der noch dazu auf der literarischen Vorlage des US-Schriftstellers Jonathan Raymond fußt, wundert einen schon. Und gleichzeitig macht Kelly Reichardt ihre Sache gut. Dies ist ein handwerklich sauberer Film, an dem man vom Machen her keine Kritik üben kann. Er spielt im abseitigen, wilden Oregon, mit weiten Landschaftsaufnahmen, schönen Wald- und Flußbildern, pittoresken Typen, die entweder als Einheimische oder Glücksritter versuchen, ein besseres Leben zu verwirklichen. "Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch’nen zweiten Plan,“ singt uns schon Bertolt Brecht vor: „Geh‘n tun sie beide nicht.
Erst lernen wir den Koch Cookie (John Magaro) kennen, der wenig redet und es schwer hat mit den Menschen, nur mit dem geschickten King-Lu (Orion Lee), einem chinesischen Einwanderer, den er nackt im Wald entdeckt, ist das anders. Der ist geschäftstüchtig und zusammen verwirklichen sie die Idee, auch in der Einöde von Oregon die heißgeliebten, in Fett gebackenen Teigteilchen, mit Honig bestrichen, anzubieten. Das Gebäck wird zu einem Renner, die Leute stellen sich an, um welche zu kaufen, in die sie sofort hineinbeißen. Und eines Tages steht auch der wohlhabende Anführer Genannte (Toby Jones) dort, der nur sagen kann: „Das schmeckt nach London, wie in einer Bäckerei ins Süd-Kensington.“
Doch und wir Zuschauer wissen es: Das Frittierte schmeckt deshalb so gut, weil es mit echter Milch zubereitet wird. Die einzige Kuh am Ort aber gehört dem Anführer, der sich wundert, warum diese so wenig Milch gibt, was ihm der Zuschauer hätte erzählen können, der des Abends die beiden Freunde beim Kuhmelken sieht. Der Schemel steht dicht dabei, wie auch eine Leiter gelagert wird, um in einem hohlen Baum das ganze Geld zu verstecken, das die beiden einnehmen und damit Großes vorhaben.
Die beiden wollen gerade ihr Geld holen, weil sie wissen, sie müssen verschwinden, werden dabei aber von Lloyd und seinen Gästen entdeckt und verfolgt. Zwar können sie diese abschütteln, aber Cockie verletzt sich schwer, und King-Lu muß ihn erst einmal suchen. Als er ihn findet, ist dieser schon im Visier einen jungen mit Gewehr bewaffneten Mannes, der einmal beim Versuch, ein Küchle zu kaufen, zu kurz kam.
Ob das als Motiv für den Mord an den zweien langt? Weder wissen wir das, noch ob unsere Interpretation stimmt. Denn mit dem Einschlafen des Nachts im Wald endet der Film, der so begonnen hatte: Eine Frau von heute geht mit ihrem Hund über Stock und Stein. Dieser schnüffelt, scharrt, legt etwas frei, was sie als Schädel identifiziert, den Hund verjagt, mit den eigenen Händen nun die Erde beiseitestreicht und zwei Gerippe nebeneinander findet. Schnitt. Dann kommt die Vergangenheit., von der wir nicht sagen können, welche Lehren sie für die Gegenwart bedeuten, außer, den Männern nicht das Leben und die Geschäfte zu überlassen. Es geht übel aus.
Foto:
© Verleih
Info:
Stab
Regie
Kelly Reichardt
Buch
Jonathan Raymond, Kelly Reichardt
Kamera
Christopher Blauvelt
Darsteller
John Magaro (Cookie)
Orion Lee (King-Lu)
Toby Jones (Anführer)
Scott Shepherd (Lloyd)
Gary Farmer (Totillicum)