70. Berlinale vom 20. 2. - 1. 3.2020, WETTBEWERB, Teil 4/18
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Heinrich Heine dichtete 1822 in Paris: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen...
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.“
Zwar sehen die jungen Leute von heute anders aus, aber ihre Geschichten, ihre Liebesgeschichten sind dieselben. Und weil jede Zeit ihren eigenen künstlerischen Ausdruck findet, hat Regisseur Philippe Garrel auch nichts falsch gemacht, diese „alte Geschichte“ neu zu erzählen, die in Paris zudem so oft erzählt wurde, wie sicher nirgends auf der Welt. Nur ist es seltener, daß ein junger Handwerker den jugendliche Held darstellt. Solche französischen Filme spielten sonst in der Bourgeoise, bzw. den wilden Kindern dieser. Daß der Film dann auch noch in schwarzweißen Bildern daherkommt, verstärkt den Eindruck von Ewigkeit, den ewigen Sehnsüchten nach Liebe und den Problemen, die ihr Erproben mit sich bringen.
Von Luc (Logann Antuofermo) war schon die Rede. Er kommt nach Paris, weil er seine Ausbildung als Kunsttischler in der Hauptstadt vollenden will. Schon am Bahnhof sieht er Djemila (Oulaya Amamra), die er erst nach dem Weg fragt, dann ihr folgt und mit ihr nach und nach etwas anfängt. Doch er hat auch zu Hause mit Geneviève (Louise Chevillotte ) eine Liebschaft, die er pflegt, bis er in Paris an der Möbelbauerschule École Boulle anfangen kann, deshalb wieder nach Paris wechselt – und wieder zu Djemila!
Doch währt das nicht lange, denn sein liebeserfahrener Mitstudent bringt ihn mit der Krankenschwester Betsy (Souheila Yacoub) in Kontakt, einer jungen selbstbewußten Frau, die mit Luc nun zusammenlebt und ihren Spaß hat, aber auch mit Paco (Martin Mesnier ) gerne schläft, der zudem auf einmal ohne Wohnung sich bei den beiden einnistet. Für sie als flotter Dreier, für Luc eher unflott.
So vergehen die Tage. Aber in ihnen passiert sehr viel. Erst ist Genevieve schwanger, was sie Lucs Vater unter Tränen sagt, denn sie möchte das Kind behalten, erzählt ihm aber auch, daß sich Luc nach dem Weggang nach Paris nicht einmal gemeldet hat. Der Vater hält sich aus dem Leben seines Sohnes heraus und teilt ihm beim Besuch in Paris mit, daß eine Abtreibung stattfand. Als sich der verunsicherte Luc nun wieder nach Djemila und der Unbeschwertheit von damals sehnt und sich bei ihr wegen seines abrupten Abgangs entschuldigen will, ist auch diese schwanger und der reichlich naive, weil sich unverantwortlich fühlende Luc, fragt auch noch, von wem sie schwanger sei.
Das war also nichts, zurück zur Liebeshölle zu Dritt. Dann kommt der loyale Vater zwecks Operation ins Krankenhaus, verschweigt dem Sohn die Schwere, stirbt, was den ahnungslosen Luc mal wieder völlig überfordert. Immerhin schmeißt er Paco hinaus und Betsy ist in der Lage, den geschlagenen jungen Mann in die Arme zu schließen und ihn zu trösten.
Ob er sich die Hörner abgestoßen hat? Wir wissen es nicht. Der Film erzählt die Lebensereignisse des Luc. Aber nicht aus seiner Sicht. Denn ein allgewaltiger Erzähler schwebt über allem und sagt uns, was Sache ist. Sei es, daß etwas angekündigt wird, sei es daß der Abgang des Vaters verkündet wird.
Wir schrieben ja schon: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen...“, nichts wird so ewig das Gleiche bleiben, wie die Liebesgeschichten von jungen Leuten.
Foto:
© Verleih
Info:
Stab
Regie . Philippe Garrel
Buch . Philippe Garrel, Jean-Claude Carrière, Arlette Langmann
Kamera . Renato Berta,
Darsteller
Logann Antuofermo (Luc)
Oulaya Amamra (Djemila)
André Wilms (Lucs Vater)
Louise Chevillotte (Geneviève)
Souheila Yacoub (Betsy)
Martin Mesnier (Paco)
Teddy Chawa (Jean-René)
Aline Belibi (Alice)