von Lida Bach
„Mein erster Gedanke war: warum hat mir das noch nie jemand erzählt?“, beschreibt John Orloff seine Konfrontation mit der Theorie, auf der sein Drehbuch basiert. „Mein zweiter Gedanke war, dass diese Geschichte wie geschaffen sei für einen großartigen Filmstoff.“ Das fühlte auch Roland Emmerich, der ihn als „Anonymous“ auf die Leinwand hievte. Wirklich alles sei dabei gewesen: „Mord, Sex, Lügen, Verrat – der Stoff für ein Drama´wie von Shakespeare.“
Mit der Schöpfung hehrer Werke habe Kunst nichts zu tun, erklärt Edward de Vere: „Alle
Kunst ist politisch, sonst wäre sie bloße Dekoration und jeder Künstler hat etwas zu
sagen, sonst würde er Schuhe machen. Und ihr seid kein Schuster, oder?“ Nein, das ist
sein Gegenüber Ben Johnson nicht. Der Zuschauer, den „Anonymous“ für noch
begriffsstutziger hält als er Johnson darstellt, soll diese Frage im Bezug auf Emmerich
stellen: Ist der Regisseur und Produzent Manolo Blahnik? Folglich ist sein
verschwörungstheoretischer Kostümfilm politisch und er ein Künstler, der etwas zu sagen
hat. „Zehntausende, die sich die Worte eines einzelnen Mannes anhören. Das ist Macht.“,
schwärmt Edward. Die Passage wirft ein enthüllendes Licht auf die Motive des Autors,
dessen auf der Leinwand und dessen dahinter. Den „Pöbel“, wie der Earl of Oxford seine
Verehrer aus dem einfachen Volk nennt, die seine Figuren beinahe als echte Menschen
behandeln, lenkt der der Adligen gleich Bühnenstatisten in seinem Privatdrama.
Das satirische Potential von „Anonymous“ erschöpft sich im Meerjungfrauen-Logo einer
Schenke, wo man sich im mittelalterlichen London anstelle des Coffee-Shops trifft.
Manipulation durch Massenmedien hingegen erscheint als legitime Nutzung humaner
Ressourcen. Die filmische Prämisse ist die Vorstellung der Einheit von intellektueller
und gesellschaftliche Elite. „Es ging um das Thema Genie und um die Frage wer ist
talentiert und wer nicht.“, erklärt Emmerich. Nicht talentiert sind Christopher Marlowe,
Johnson und der Schauspieler Shakespeare, die als affektiert, neidisch, falsch und
talentlos dargestellt werden. Ihre einfache Herkunft unterscheidet sie von Edward.
„Wusstet Ihr, dass der Adelsstand meiner Familie länger zurückreicht als der irgendeiner
anderen Familie in England?“, fragt er während er im gräflichen Bett „King Lear“
abschließt. Geburtsadel, Elite und Genie erscheinen untrennbar in der selbstgerechten
Lektion in Theaterkunde, die davon ausgeht der Sohn eines Analphabeten könne kein Poet
und ein Bühnendarsteller kein Autorengenie sein.
„Ansonsten muss man von Shakespeare nicht so viel verstehen.“, meint Emmerich, der die
im Film enthaltenen Theaterstücke als „Shakespeares Greatest Hits“ bezeichnet.
„Anonymous“ schent ihm einem solchen ebenbürtig: „Es ist eine sehr shakespearsche
Story.“ Plato, Shakespeare, Emmerich: so liest sich nach den metatextuellen
Implikationen die kunsthistorische Rangfolge; wobei die unwichtigeren Namen zu Anfang
stehen. „Ihr, ich, selbst die die Queen werden alle nur die Ehre haben erinnert zu
werden, weil Euer Ehemann Tinte zu Papier brachte.“, sagt Johnson einmal, scheinbar über
Edward zu dessen Frau, indirekt jedoch zum Publikum über Emmerich. Die Künstler,
Königshäuser und Kunstfiguren – niemand würde sie kennen ohne „Shakespeare in Love“,
„Rome + Juliette“, Kenneth Branagh und Roland Emmerich, der sich im von Derek Jacobi
gesprochenen Vortext den Bühnenautor aneignet: „Unser Shakespeare erhebe dich! Unser
Shakespeare - denn gehört er nicht jedem von uns?“
Titel: Anonymous Land/ Jahr: USA 2011 Laufzeit: 131 Min. Regie: Roland Emmerich Drehbuch: John Orloff Kamera: Anna J. Foerster Schnitt: Peter R. Adam Musik:Thomas Wander Darsteller: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, Joely Richardson, David Thewlis, Xavier
Samuel, Sebastian Armesto, Rafe Spall, Jamie Campbell Bower, Derek Jacobi Verleih: Sony Pictures Kinostart: 3. November 2011