Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Juli 2020, Teil 5
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Auf der letzten Berlinale feierte das Publikum die dritte Verfilmung des Romans von Alfred Döblin „Berlin. Alexanderplatz“ (1929). Doch die kühne Idee des Regisseurs Burhan Qurbani, den Streifen in unsere Zeit zu verlegen, wurde mit keinem Bären belohnt. Das spannende, bildgewaltige Werk, das später den 2. Platz beim Deutschen Filmpreis 2020 gewann, kommt nach der Corona-Pause jetzt endlich in die Kinos.
Eine rot eingefärbte Welt steht Kopf. In der Tiefe des Meeres kämpft ein Mann um sein Leben. Seine Frau Ida klammert sich an ihn. Sie ertrinkt als er sie von sich stößt. Aus dem Off berichtet eine weibliche Stimme: „Halb lebendig, halb tot wurde Francis an Land gespült. Dort rief er: Gott, ich schwöre Dir, von nun an will ich gut sein!“
Als nächstes sieht man diesen Afrikaner Francis (Welket Bungué) selbstbewusst und cool im Flüchtlingsheim. Sein zukünftiger Kontrahent Reinhold (Albrecht Schuch) versucht Drogenhändler unter den Elenden zu rekrutieren: „Niemand hat es verdient so zu leben wie ihr!“ Francis schuftet lieber als Schwarzarbeiter auf dem Bau als ein Dealer zu werden, wird jedoch entlassen, als er einen schwerverwundeten Kollegen rettet. Erneut die Frau aus dem Off: „Er wollte anständig sein, aber man hat ihn nicht gelassen.“
Notgedrungen muss er sich nun an den irren Reinhold wenden, er tröstet die vom sexsüchtigen Chef schnell verstoßenen Frauen und macht bald Karriere bei der Drogenmafia. Gemeinsam lassen sich beide im Berliner Nachtleben treiben und nennen sich Freunde. Gegen seinen Willen wird Francis in einen Raubüberfall verwickelt. Als er sich dagegen wehrt, schubst Reinhold ihn aus dem Fluchtauto, dabei verliert Francis einen Arm. „Anständig wollte er sein, aber das Leben hat ihn nicht gelassen.“ Aus dem Off wieder die Stimme der - wie wir mittlerweile wissen - jungen Hure Mieze (Jella Haase), in die sich Francis verliebt hat. Sie ist schwanger von ihm, er will sie heiraten, doch stattdessen überschlagen sich nun die dramatischen Ereignisse...
Der Regisseur verlegt Döblins Erzählung sehr frei in das Flüchtlings- und Drogenmilieu. Statt vom Gefängnis wie Franz Biberkopf im Buch, wird der Protagonist vom Meer ausgespuckt: Der Film ist zwar anders als die Vorlage, folgt dennoch deren bekannten Höhepunkten. Auch Francis - der sich später Franz nennt und verkündet: „Ich bin Deutschland“ - gelingt es nicht, ein guter Mensch zu werden. Die weiteren tragischen Ereignisse orientieren sich vage am Roman, aber der Alexanderplatz ist hier der berüchtigte Berliner Drogenpark Hasenheide. Statt im „Lumpenproletariat“ (Karl Marx) der 1920er-Jahre, spielt die Handlung in der untersten Schicht geflüchteter Menschen, den neuen Lumpenproletariern.
Sehr viel stärker als Döblin gewichtet der Filmemacher die ambivalente düstere Beziehung zwischen Reinhold und Franz. Reinhold ist eine geisteskrank wirkende Figur, einerseits dümmlich verwuselt und anhänglich, dann extrem aggressiv und bindungsunfähig. Für die zwiespältige Rolle gewann Albrecht Schuch den Deutschen Filmpreis 2020 als bester Schauspieler.
„Berlin. Alexanderplatz“ ist kein larmoyantes Flüchtlingsdrama, sondern ein großartiger Mix aus Thriller, Liebesgeschichte und Buddy-Drama, gewürzt mit dem Nachtleben der Babylon-Berlin-Serie. Die sprunghaft erzählte Handlung ist nicht nur inhaltlich überzeugend in die Gegenwart verlegt. Regisseur Qurbani schafft ebenfalls cineastisch mit kühnen Bildern, krassen Schnitten, winzigen Rückblenden und extremer Filmmusik eine überzeugende Großstadtcollage. Der sehenswerte Streifen, sicher ganz im Sinne Döblins, macht auch Lust dessen Buch (mal wieder) zu lesen.
Foto:
© 2019 Sommerhaus/eOne Germany
Francis/Franz (Welket Bungué) und Reinhold (Albrecht Schuch) im Park Hasenheide
Info:
Berlin. Alexanderplatz, D/NL 2019, 183 Minuten, FSK 12 Jahre.
Regie Burhan Qurbani, mit Welket Bungué, Albrecht Schuch, Jella Haase, Joachim Król und anderen.
Siehe auch:
https://weltexpresso.de/index.php/kino/18509-berlin-alexanderplatz