Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie kann man einen Regisseur stärker ehren, als seine Filme immer wieder aufzuführen und sie in die Form zu bringen, wie Filme heute jederzeit und überall angeschaut werden können: die DVDs, Blue-Rays oder auch digitale Formen. Schauen Sie sich die Vielzahl der Veröffentlichungen an. Wir haben uns die Aufnahme vorgenommen, die in der Reihe Arthouse am 5. November dieses Jahres erschienen ist, 90 Jahre Godard, 60 Jahre Außer Atem.
Soll ich's sagen? Aber ich war enttäuscht. Mit großer Erwartung, denn ich hatte seit damals den Film kein einziges Mal wiedergesehen, obwohl es immer, auch im Fernsehen, Vorführungen gab, mit großer Erwartung also hatte ich die DVD eingelegt und auf das Gefühl von Neuem, von skandalös Neuem gewartet, an das ich mich von damals genau erinnern konnte. Vielleicht ist das falsch. So erwartungsvoll zu sein. Denn, nachdem ich den Film gesehen hatte und jetzt darüber schreibe, finde ich ihn schon wieder viel besser. Es bleiben sehr viele Szenen im Gedächtnis. Und die Frische des Films ist auch nach 60 Jahren zu spüren. Das Tempo, vor allem die Kameraeinstellungen sind hinreißend und noch etwas fällt beim Schauen extrem auf: hier darf sich der Zuschauer noch seine eigenen Gedanken machen, denn es fällt deutlich ins Auge, wie unvermittelt manche Handlungstränge sind, wie Michel Poiccard (Jean-Paul Belmondo) auftaucht und verschwindet, immer wieder dann doch sehr zufällig auf Patricia (Jean Seberg) trifft - so sehr ist unser Filmhirn durch die Hollywood-alles-Auserzählfilme schon in Halbschlaf versetzt. Das ist sehr ernst gemeint. Denn Film ist anders als das Leben ein Kunstprodukt. Und wenn wir durch diese Klippschulmethode, jedes Hölzchen und Stöckchen genau hintereinander zu bringen, oder mit detailliert erzählten Rück- und Vorblenden, das Filmeschauen nach und nach verlernen, wären Filme wie AUßER ATEM genau die, die uns die Kunst des Filmemachens, des eigenständigen Mediums FILM wieder einimpfen.
Zeit, die eigentliche Geschichte zu erzählen, die nicht einer Kleinmädchenerziehung entspricht. Und daß einem das heute stärker auffällt als damals, zeigt auch die Verbürgerlichung des ganzen Gewerbes auf. Denn der draufgängerische Kleinkriminelle Michel Poiccard führt sich nicht gerade sympathisch ein, bleibt es aber in seinem lockeren, spontanen, typisch Latin-Lover-Verhalten. Er kennt nur sich und seine Vergnügungen, aber für die nimmt er allerhand in Kauf. Er kommt in der gestohlenen Luxuslimousine mit Tempo und guter Dinge nach Paris, allerdings hat er nicht mit einer Geschwindigkeitskontrolle gerechnet, weshalb er den Polizisten, der ihn anhält, kurzer Hand erschießt. Auf der Flucht in Paris trifft er die gleich mehrfach beschäftigte Patricia wieder. Sie ist für das Studium aus den USA nach Paris gekommen, will Journalistin werden und verdient sich ihr Geld als Zeitungsverkäuferin auf der Straße. (Übrigens nur nebenbei fällt einem dabei auf, daß dies üblich war, daß die großen Zeitungen alle Morgens- und Abendsausgaben hatten, die im Straßenverkauf unter die Leute gebracht wurden.) Nun wird die Geschichte mehrgleisig. Sein eigentliches Ziel ist, mit ihr nach Italien abzuhauen. Aber gleichzeitig versucht er noch kleinere Geschäfte zu tätigen. Den täglichen Lebensunterhalt ergaunert er sich, indem er in den Toiletten Hereinkommende kurz zusammenschlägt, ihnen aus dem Portemonnaie das Geld entwendet, was er übrigens auch bei Freundinnen tut. Nein, er hat keinen Ehrenkodex, er lebt von der Hand in den Mund.
Liebt er Patricia? Tja, wenn er das wüßte. Sie weiß es ja auch nicht und so bleibt das Zusammensein der beiden in einer flirrenden Gemengelage. Sie ist nicht das einfache Mädchen aus Amerika, wie Amerikanerinnen oft dargestellt werden, sondern eine junge Frau, die auf der Suche nach sich selbst ist. Sich ausprobiert und die Situationen auch. Unschuldig ist sie nicht. Auf seine Frage, wie oft sie schon..., zeigt sie unterhalb von zehn und mehr als fünf auf, während er ihr die vollen Hände mehrfach entgegenschleudert. Angeber. Denn erstaunt erleben wir im Lauf des Films, wie sein erst zögerliches Flirtverhalten immer intensiver wird. Er ist es, der sie fragt, ob sie ihn liebt, was sie bejaht, was sie verneint. Er folgt ihr und richtet seine Liebesschwüre nach ihrer gegenwärtigen Gemütslage. Denn sie übernimmt im Film immer stärker die Regie, bzw. der Regisseur verfolgt ihren Weg. Nachdem Michel und Patricia sich am Tag seines Kommens für abends auf der Straße verabredet haben, kommt sie zwar, aber erklärt ihm nach ein paar Minuten, sie habe eine berufliche Verabredung, die mit einer Pressekonferenz zu tun habe. Er folgt ihr heimlich und sieht ihr Rendezvous mit einem Mann, der ihr die Schreibaufträge zuschustert und ihr Liebhaber war, mit dem sie unter Küssen wegfährt.
Später sehen wir sie in einer obskuren Pressekonferenz mit einem Schriftsteller am Flughafen. War das vorher oder nachher, auf jeden Fall, als sie heimkommt, liegt Michel in ihrem Bett und die beiden fahren mit ihrem Gefühlsversteck- und Beischlafspiel fort. Er will nach wie vor mit ihr fort, sie aber hat dauernd etwas zu tun. Als sie auf das Foto ihres Liebhabers hin, der auf der Titelseite der Zeitung gesucht wird, von der Polizei auf ihn angesprochen wird, verneint sie ihn zu kennen. Was läßt sie kurz später aber anderen Sinnes werden, denn vom getöteten Polizisten wußte sie ja. Auf jeden Fall nennt sie unmittelbar darauf der Polizei den Treffpunkt mit Michel. Der kommt, um sie abzuholen, immer noch mit der Absicht, mit ihr nach Italien zu flüchten. Die Schlußszene ist genial. Großes Kino. Wie oft Belmondo die vielen Meter angeschossen und immer wieder einknickend gegangen ist, bis er zusammenbricht? Die Polizei hatte ihn angeschossen, Patricia läuft ihm - außer Atem -nach und blickt auf den Gefallenen hinunter, der zu ihr hochblickt und von ihrem Verrat weiß, was sie mitbekommt. Er stirbt eindrucksvoll und sie fährt sich mit just der Geste über die Lippen, die sie und wir am Anfang bei ihm gesehen hatten. Ende.
Kaum zu glauben, daß dies die erste Regie von Jean-Luc Godard war. Er schrieb auch das Drehbuch, die Vorlage allerdings stammte von François Truffaut. Blickt man noch einmal zurück, verschiebt sich das Bild der beiden Protagonisten im Verlauf des Films. Am Ende liegt die Romantik des Paares auf seiner Seite, der mit ihr fliehen wollte, während sie sich für ihr bürgerliches Leben entschied. Das hätte sie auch so, ohne den Treffpunkt zu verraten, tun können. Der Film läßt da keinen Spielraum. Knallhart ist sie und hat ihn verraten. Das Revolutionäre, das man diesem Film unmittelbar nach dem Anlaufen 1960 zuschrieb, beschränkt sich mitnichten allein auf die wirklich ungewöhnliche Form. Es sind die Personen, die Männer und Frauen neu definieren, was nicht ganz stimmt, denn den leichtlebigen Ganoven, den die Liebe ans Messer liefert, gibt es schon öfter. Verblüfft sehen Heutige, vermute ich mal, wie sehr damals der Anzug mit Kravatte auch einem jungen Gangster Alltag war, auch wenn er aus dem Bett ohne Waschen direkt in sein weißes Hemd von gestern schlupft. Das Neue steckt in Patricia. Es paßt, daß sie aus den USA stammt, eine junge Französin stellte man sich damals anders vor. Schon die kurzen Haare der Seberg, stellten einen neuen Frauentyp dar. Auch ihre Kleidung ist einerseits burschikos, andererseits in Kleidern der Beginn der Sechziger, wo Mode viel stärker als heute Ausdruck der Zeit war. Hier ließe sich so viel noch weiterspinnen. Es muß ja doch etwas dran sein an einem Film, über den zu sprechen und zu schreiben man gar nicht aufhören möchte.
Foto:
Cover
Info:
FSK 16
Regie: Jean-Luc Godard
Darsteller: Jean Seberg, Jean-Paul Belmondo, Henri-Jacques Huet, Claude Mansard, Daniel Boulanger
Diese Filmfassung ist hochkarätig restauriert worden. Es bleiben keine Wünsche offen.
FSK 16
Regie: Jean-Luc Godard
Darsteller: Jean Seberg, Jean-Paul Belmondo, Henri-Jacques Huet, Claude Mansard, Daniel Boulanger
Diese Filmfassung ist hochkarätig restauriert worden. Es bleiben keine Wünsche offen.
Außer Atem (1960)
Originaltitel
A bout de souffle