Serie: Die anlaufenden Filme - als Video on Demand ab dem 10. Dezember 2020
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt (Weltexpresso) - Die Staatsoper Stuttgart gehört zu den renommiertesten Opernhäusern weltweit. Sie erhielt in den letzten 25 Jahren bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt sieben Mal die Auszeichnung als "Opernhaus des Jahres", so oft wie kein anderes deutschsprachiges Musiktheater, darunter auch 2016 unter der Opernintendanz des Schweizer Theater- und Opernregisseurs Jossi Wieler.
Jetzt haben die Regisseure Marcus Richardt und Lillian Rosa (die auch das Drehbuch geschrieben haben) die Gelegenheit genutzt während der Spielzeit 2017/2018 hinter die Kulissen des Opernhauses zu blicken und die Entstehung der Oper "Pique Dame" von Pjotr Tschaikowski zu verfolgen.
Die 1890 uraufgeführte Oper in drei Akten basiert auf einer Erzählung von Alexander Puschkin. Das Libretto stammt von Pjotr Tschaikowskis jüngerem Bruder Modest.
Der Film beginnt mit der Pressekonferenz 2017. Es wird das letzte Jahr an der Staatsoper Stuttgart nicht nur von Jossi Wieler als Regisseur und Intendant, sondern auch von Chefdramaturg und Co-Regisseur Sergio Morabito, Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling und Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock sein.
Die Regisseure begleiten die Inszenierung von der ersten Besprechung bis zur Premiere im Juli 2017 über insgesamt 10 Wochen.
Im Gegensatz zum Original wird Wieler die Oper im heruntergekommenen St. Petersburg von heute spielen lassen. Dazu hat die Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock ein Modell der Bühne erstellt und für die Ausstattung und die Kostüme im heutigen Russland fotografiert. Jossi Wieler und Sergio Morabito stellen das Konzept der Inszenierung den Sängern, Chorleitern und weiteren Mitarbeitern vor.
Danach folgt die Dokumentation der einzelnen Schritte, die notwendig sind, um die Oper letztendlich auf die Bühne zu bekommen. Neben den technischen Arbeiten zum Bühnenaufbau mit Schlosserei, Tischlerei und letztendlich Malerei werden auch die künstlerischen Arbeiten parallel verfolgt.
Am Beispiel der Altistin Stine Marie Fischer, die die Polina singt, wird die Zusammenarbeit des Ensembles mit dem Sprachcoach Dmitry Kunyaev gezeigt, der den Sängern und Sängerinnen die korrekte russische Aussprache beibringt, da die Oper in Russisch aufgeführt werden soll. Daneben werden auch immer wieder Gesangs-, Chor- und Orchesterproben mit Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling und dem Leiter des Kinderchors, Johannes Knecht sowie dem Erwachsenenchor der Staatsoper eingeblendet.
Eingespielt werden aber dazwischen auch Interviews mit Jossi Wieler, der aus einer jüdischen Familie stammt und im schweizerischen Kreuzlingen geboren wurde. Er weist darauf hin, dass seine Familie das Glück hatte, dass sein Großvater vom badischen Konstanz ins thurgauische Kreuzlingen umgezogen ist, da die in Konstanz verbliebenen Familienmitglieder während des Dritten Reiches entweder auswandern mussten oder im KZ umgebracht wurden. Wieler selbst hat übrigens von 1972 bis 1980 in Israel gelebt und hat an der Universität von Tel Aviv Regie studiert.
Während die Proben der einzelnen Solisten, des Orchesters, des Kinder- und des Erwachsenenchores sowie der Bühnenaufbau für "Pique Dame" weiter verfolgt werden, erhält das Team der Oper die Nachricht, dass bei dem russische Regisseur Kirill Serebrennikov eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat und dass er nicht ausreisen darf, um die geplante Inszenierung von Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" weiter zu verfolgen. Als erste Inszenierungsschritte war bereits in Afrika ein Film mit zwei ugandischen Kindern gedreht worden, der ein Teil der Aufführung sein sollte. Letztendlich wurde Serebrennikov in Moskau verhaftet und durfte nicht nach Stuttgart kommen. Die Stuttgarter Staatsoper hat zur Premiere von "Hänsel und Gretel" nur eine szenische Inszenierung gezeigt und die Oper nicht von einem anderen Regisseur zu Ende betreuen lassen.
Nach 6 Wochen in den Werkstätten ist der Bühnenaufbau zu "Pique Dame" fertig und die Proben können in den Kulissen stattfinden. Dabei fällt immer wieder auf, wie kooperativ die Arbeit an dem Stück gewesen ist. Dabei wird auch deutlich gemacht, dass man bei den Stuttgarter Inszenierungen nicht auf bekannte Stars setzt, sondern man vertraut auf das eigene feste Ensemble, das mit der kollegialen Arbeitsweise des Hauses vertraut ist. Es wird auch immer wieder betont, dass gerade diese Zusammenarbeit den speziellen Reiz der Intendanz von Jossi Wieler ausgemacht hat, der sich auch immer wieder um Kleinigkeiten gekümmert, die er jederzeit auch hätte delegieren können.
Die Regisseure Marcus Richardt und Lillian Rosa haben auch die Herstellung und Verteilung der Werbematerialien gefilmt sowie die letzten Vorbereitungen für den Premierenabend und letztendlich die Premiere der Oper.
Der Film endet mit dem Abschied von Jossi Wieler, der zusammen mit dem Chefdramaturgen Sergio Morabito, dem Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling und der Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock die Staatsoper verlassen hat.
Dokumentationen über die Arbeit in Opernhäuser und Symphonieorchester sind wohl zurzeit in Mode, denn "Das Haus der guten Geister" ist nicht der einzige Film zu diesem Thema, der gerade in die Kinos kommt oder gekommen ist. Bereits 2017 hatte "Ganz große Oper - Vorhang auf für eine Liebeserklärung" von Regisseur Toni Schmid über Opern-Inszenierungen an der Bayerischen Staatsoper in den Kinos Premiere. Parallel zu dem hier besprochenen Film sollte die österreichische Dokumentation "Tonsüchtig - Die Wiener Symphoniker von Innen" (2020) über die Musiker dieses Orchesters veröffentlicht werden. Dieser Film hat allerdings durch den Corona-Lockdown noch keinen neuen Starttermin.
Auch wenn alle drei Filme ähnliche Themen ansprechen, haben sie doch alle unterschiedliche Schwerpunkte. Vor allem in "Das Haus der guten Geister" wird gezeigt, wie wichtig den Machern eine kooperative Zusammenarbeit von allen Mitarbeitern des Musiktheaters ist. Dabei stand zwar das Viererteam - Jossi Wieler, Sergio Morabito, Sylvain Cambreling und Anna Viebrock - und damit die Regiearbeit im Mittelpunkt und nicht so sehr die Sänger und die Musiker, aber es kamen auch immer wieder die Handwerker, der Leiter des Kinderchores und auch die Sängerinnen Helene Schneiderman und Stine Marie Fischer zu Wort.
Mit der Dokumentation ist ein beeindruckender Film entstanden, der sowohl jede Menge Informationen aus dem Innern einer Opernproduktion liefert, als auch immer wieder wunderbar stimmungsvolle Bilder von Jossi Wielers Heimat im Thurgau am Bodensee zeigt. Dies lockert den Film auf und gibt dem Zuschauer auch die Möglichkeit das gerade Gesehene zu überdenken.
"Das Haus der guten Geister" ist vor allem ein Film über das letzte Jahr des Intendanten und seiner Crew an der Stuttgarter Staatsoper, aber es ist auch eine faszinierende Dokumentation über die Leidenschaft für die Musik und die harte Arbeit von Vielen, die hinter einer so großen Inszenierung stehen. Der Film ist damit nicht nur für Musikliebhaber geeignet, sondern es auch spannendes Kino für Zuschauer, die sich eigentlich nicht allzu viel aus dem Musiktheater machen. Das macht ihn auch für Laien unbedingt sehenswert.
Coronabedingt konnte dieser Film nicht wie geplant im November in die Kinos kommen, sondern ist ab dem 10.12.2020 über den Vimeo Kanal des Verleihs mindjazz pictures online abrufbar (https://vimeo.com/ondemand/dashausdergutengeister). Die Online-Veröffentlichung wird von zahlreichen Kinos in Deutschland unterstützt, die dafür mit 50% am Kartenverkauf beteiligt werden. Das Online Ticket kostet 9 Euro.
Foto 1: Sergio Morabito und Jossi Wieler © mindjazz pictures
Foto 2: Stine Marie Fischer © mindjazz pictures
Info:
Das Haus der guten Geister (Deutschland/Schweiz 2019)
Genre: Dokumentation, Musik, Oper
Filmlänge: 103 Min.
Drehbuch und Regie: Marcus Richardt & Lillian Rosa
Mitwirkende: Jossi Wieler, Sergio Morabito, Anna Viebrock, Sylvain Cambreling, Helene Schneiderman, Torsten Köpf, Johannes Knecht, Stine Marie Fischer, Albrecht Thiemann, Cemile Soylu, Dmitry Kunyaev, Thomas Koch, Kirill Serebrennikov, Rebecca von Lipinski, Erin Caves u.a.
Verleih: mindjazz pictures
FSK: ab 0 Jahren
Video on Demand ab dem 10.12.2020