Zwischen US-Geschichte und Horror sollte das DER Film des Jahres 2020 werden, jetzt auf DVD bei Leonine ab 18. Dezember
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Antebellum, wobei mir immer Belladonna in den Sinn kam, aber mit der Schwarzen Tollkirsche hat dieser Film nichts zu tun, und wer nur ein klein wenig Latein kann, kann sich ante bellum sowieso übersetzen. Aber vor welchem Krieg? Da sieht man, daß die Orginaltitel beizubehalten, nicht immer die Filme verständlich machen. Für jeden einigermaßen gebildeten Amerikaner ist die Sache klar:
Antebellum ist die Zeit vor dem Sezessionskrieg von 1861 und 1865, wo durch den Sieg der Nordstaaten die sich im Süden zur Konföderation zusammengeschlossenen, vom Norden ‚abgetrennten‘ Staaten, sich den USA wieder anschließen mußten. Der Film spielt in bestimmten Teilen in den Konföderationsgebieten.
Im Nachhinein war ich richtig froh, daß ich eine einzige Information über den Film gelesen hatte. Ich wußte nur, daß es ein wichtiger Film sein soll, der künstlerisch und kommerziell besonders erfolgreich werden sollte, was Corona erst einmal vernichtete. Auf der Leinwand kommen die großen Landschafts- und Menschenszenen sicher besser zur Geltung, die Kameramann Pedro Luque gekonnt ins Bild setzt. Wirklich überwältigend. Wir sind also vor 1861 in der Konföderation, wo es so zugeht, wie wir es als abgrundtiefe Bösartigkeit und physische und psychische Mißhandlungen von Weißen gegen Schwarze kennen.
Das Kennen hilft aber überhaupt nicht, sich die brutalen Szenen als gespielt rational zu erklären, weil die körperliche Gewalt und die personale Mißachtung vonmschwarzen Frauen, die zudem teilweise vergewaltig und verbrannt werden, unerträglich sind. Und es hilft auch nicht, daß die Aufnahmen eine Schönheit der Landschaft zelebrieren und auch die Schrecklichkeiten in farblich schönen Kleidern geschehen. Ich machte mir also Gedanken, wie ich diese quälenden Szenen über einen ganzen Film aushalte, denn für uns, erst recht heutige Europäer, ist die Haltung dazu klar. Ich machte mir auch Gedanken darüber, ob eine derartige realistische, aber irgendwie pathetische Darstellung der Situation in der Konföderation aus dem 19. Jahrhundert heute noch sinnvoll ist, abgesehen davon, daß auch dort nicht alle Weißen derartig niederträchtig waren.
Mitten im Bedauern von Eden (Janelle Monaé) - , die die überlegenste der jungen schwarzen Sklavinnen ist und versucht, die anderen zu schützen und zu sinnvollem Verhalten anzustiften, was ihr nicht hilft, der Vergewaltigung durch den Farmeigner zu entgehen, wonach sie weinend neben ihm einschläft, - bekommt man fast einen Herzinfarkt, denn in der nächsten Einstellung wacht diese Frau schreiend in einem schicken Schlafzimmer in unserer Gegenwart auf – aus einem Albtraum, der immerhin über 35 Minuten dauerte, denkt sich der Zuschauer. Für das Drehbuch und die Regie sind Gerard und Christopher Renz verantwortlich, die den Film auch als Horrorfilm, aber mit Spirit und Historie ankündigten. Und in den nächsten 40 Minuten sind wir in einem andern Film von heute, ahnen aber, daß das nicht alles gewesen sein kann, daß der Film uns eine Erklärung für den Anfang schuldet und wir denken an das zu Filmbeginn eingeblendete Zitat von William Faulkner: „Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist noch nicht einmal vergangen.“
Ist die attraktive, selbstbewußte Veronika, geliebte Ehefrau und Mutter eines starken kleinen Mädchens, erfolgreiche Autorin und eine, die gerne gefragt wird, wenn es um den Zeitgeist und Erklärungen für ihn gibt, eine Nachkommin der Sklavin? Nein, sie ist dieselbe und gleichzeitig eine andere. Wir leben nun mit ihr den Lifestyle, den man solchen Menschen eben doch ganz schön oberflächlich auf den Leib schreibt: Jet Set, tolle Hotels, erfolgreiche Veranstaltungen, zugewandte Freundinnen, schick essen gehen und gut trinken. Doch längst ist eine Bedrohung für uns sichtbar, die Veronika spürt, ohne weiter zu reagieren. Da ist der Anruf einer seltsamen Frau, die sie zudem stalkt, tags in ihre leeren Hotelzimmer eindringt, ihren Lippenstift benutzt...
Das könnte ja noch was werden, aber als sich die drei Freundinnen nach dem Restaurant aufteilen, zwei weiterfahren, Veronika jedoch mit Uber zum Flughafen fahren will, um heimzufliegen, entpuppt sich der Fahrer als ein uns bekannt vorkommender Entführer, nämlich der Eden vergewaltigende Farmbesitzer und die Frau, die sie in den Wagen stößt und festhält, als die Stalkerin – und als die Herrin aus ihrem Albraum aus dem Antebellum. Irgendwie widerstrebt es die Aufklärung weiterzusagen, die schon seltsam ist. So wie es Disneyland gibt, gibt es in den USA auch Freilichtmuseen, die die Sklavenzeit nachahmen. Wenn man nun diese nicht als Museum betreibt, sondern die Geschichte von damals zur Wirklichkeit von heute werden läßt, Menschen von heute raubt....
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Info:
ANTEBELLUM ist ab 18. Dezember 2020 als DVD, Blu-ray und 4K Ultra HD Blu-ray erhältlich! Das Bonusmaterial enthält neben Deleted Scenes und Interviews mit Cast & Crew die Featurettes „The History in Front of Us“ und „A Hint of Horror“ (Laufzeit: ca. 98 Min. (DVD), ca. 104 Min. (BD + UHD))
Antebellum (2020)
Originaltitel
Antebellum
FSK. keine Angabe
Regie. Gerard Bush, Christopher Renz
Drehbuch. Christopher Renz, Gerard Bush
Kamera. Pedro Luque
Genre. Thriller- Horror
Darsteller
Kiersey Clemons
Jena Malone
Janelle Monáe
Jack Huston
Gabourey Sidibe