Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. November 2011, Teil 1

 

von Romana Reich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Zwei Großproduktionen laufen diese Woche an, die auch im Vorfeld groß besprochen worden sind. Mit der Psychoanalyse fangen wir unten an, wo die Technik der „Redekur“ sich im filmischen Erzählen entschlüsseln soll. Roland Emmerichs Suche nach dem wahren Shakespeare gibt es in einer ausführlicheren Rezension von Lida Bach. Problem des Films bleibt, daß eine der Theorien, wer der Meister war, von Emmerich zwar leinwandfüllend abgearbeitet wird, allein es fehlt der Glaube.

 

EINE DUNKLE BEGIERDE

 

Einen unglaublichen Kontrast stellt der Filmtitel mit dem eigentlichen Film her. Denn es ist zwar eine ‚dunkle Begierde“, fast synonym zu verstehen mit dem „Es“, die Freud für das Unbewußte und Vorbewußte in uns anhand unserer Triebe übermächtig dem Sexualtrieb zumaß. Allein der Film, der einem Theaterstück und einem Roman folgt, stellt die irdische Welt in einem so kristallinen, ja wortwörtlich glasklaren Licht dar, daß man dann schon wieder versucht ist, diesen Widerspruch genial zu nennen.

 

So schwierig es ist, die Freudsche Methode, aus der die Psychoanalyse zu einem Erklärungsmuster und Heilungsversuch über das Hinabtauchen in die eigene Seele und Erinnerung mittels Worten und Übertragung wurde, im handlungsfordernden filmischen Erzählen  sinnlich erfahrbar zumachen, so überzeugend liegt die Antwort in der Hauptdarstellerin selbst. Die von Keira Knightley gespielte Sabina Spielrein, eine junge Russin, die ihrer „Hysterie“ wegen, konkret sind es Zwangsneurosen, die in Krampfanfälle münden, die wie epileptische aussehen, aber eben Ausdruck des seelischen Erlebens sind, kommt an den Zürichsee, wo C.G.Jung (Michael Fassbender) sie heilen soll, was ihm in Verbund mit Übervater Sigmund Freud (Viggo Mortensen) aus Wien auch geling.

 

Sabina Spielrein zeigt sich nicht nur dem Leben gewachsen, sondern hat aus ihrer eigenen Heilung so viel Erfahrung und Kenntnis über psychische Abläufe gewonnen, vor allem solches Interesse, die Psychoanalyse an anderen anzuwenden, daß sie sich der Lehranalyse durch Freud unterwirft und selbst eine anerkannte Analytikerin wurde. Aber das ist nicht mehr Gegenstand des Films, der uns die Anfänge der Bewegung zeigt, als Jung diesen Fall dem „Erfinder der Analyse“ schriftlich vorträgt und in vielen Briefen sich darüber austauscht, dann Freud auch kennen- und schätzenlernt und ab einem gewissen Punkt sich von ihm abwendet und umgekehrt. Aus dem potentiellen Nachfolger ist ein Gegner geworden.

 

Da aber können wir im Film – in den Werken von Jung schon eher – dem Musterknaben aus der Schweiz, reich verheiratet und abgehoben von rüder Wirklichkeit, die für Freud Alltag ist – da also können wir dem guten Mann nicht mehr folgen. Das liegt an Viggo Mortensen, der den Freud in einer solchen Nonchalance zeigt, so ironisch und selbstironisch ohne einen Hauch von negativem Sarkasmus, aber getrieben vom Aufklärungsbewußtsein, wie der Mensch sei und wie er ‚funktioniere‘, immer auch lernwillig innerhalb seines Systems, daß man ihm einfach mehr Vertrauen entgegenbringt als dem im Film kühlen und noch dazu pflichtvergessenen Jung, der zudem mit seiner Patientin eine Liebesbeziehung beginnt, die alles gefährdet, was er sich bürgerlich und beruflich aufgebaut hat.

 

Andererseits ist dies genau eine der Fallen der Seelenarbeit der Psychoanalyse, in die so mancher Analytiker und manche Patientin tappte und tappt. Wenn wir den Film als tageshell und zu sauber und aufgestiegen in die obere Gesellschaftsschicht empfinden, was die Originalkostüme und  Schauplätze verstärken, weshalb Cronenberg sogar die Herstellung eines Kostümfilms vorgeworfen wurde, dann ist das auch wiederum fast eine Ironie der Geschichte, daß die Heilmethode der Psychoanalyse tatsächlich bis heute eine ist, die mehrheitlich den Wohlhabenderen zu teil wird. Daß das auch mit Sprachfähigkeit zu tun hat, sei nur am Rande erwähnt.

 

Warum die Psychoanalyse im Schmelztiegel Wien um 1900 ‚erfunden‘ wurde, warum mit Freud ein Wiener Jude ihr Begründer war und seine Schüler in der Masse Juden waren, weshalb Freud auf den ‚arischen‘ Jung als seinen Nachfolger so viel Wert legte, das spricht der Film an, er wäre überfordert, das auch noch zu erklären. Wer nach dem Film sich erst einmal richtig um Freud und C.G. Jung kümmerte, der ginge in die richtige Richtung.

Romana Reich