Juliane Maria Lorenz zur Ausstellung Fassbinder – JETZT ab 30. Oktober im Deutschen Filmmuseum Frankfurt, Teil 1
Romana Reich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) Die Fassbinder-Ausstellung heißt mit dem Untertitel FILM UND VIDEOKUNST und hat unmittelbar mit dem Filmfestival B3 Biennale des Bewegten Bildes zu tun, das in Frankfurt am 30. Oktober beginnt. Das hier abgedruckte Gespräch stellte das Deutsche Filmmuseum zur Verfügung und wurde von Anna Fricke, Hans-Peter-Reichmann und Frauke Haß geführt.
Auch mehr als 30 Jahre nach Rainer Werner Fassbinders Tod greifen Videokünstlerinnen und Videokünstler seine Themen und ästhetischen Strategien auf. In der Ausstellung Fassbinder – JETZT. Film und Videokunst werden aktuelle Videoarbeiten ausgewählten
Ausschnitten aus Fassbinders Filmen gegenübergestellt. Der Vergleich zwischen Fassbinders Filmen und aktueller Videokunst soll Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede erfahrbar machen und wechselseitige Interpretationsimpulse ermöglichen.
Die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler zeigen, was Fassbinders aktive Zeit mit der Gegenwart verbindet, was beide aber auch unterscheidet. Damit greift die Ausstellung einen Ansatz Fassbinders auf. Dieser hat stets betont, dass die Kenntnis der Geschichte für das Verständnis der Gegenwart unerlässlich ist. Übergeordnet reflektiert der Vergleich, wie das Kino aktuelle künstlerische Medien prägt und führt zu der Frage, inwiefern die Grenze zwischen Film- und Videokunst im digitalen Zeitalter verschwimmt.
Die Ausstellung präsentiert darüber hinaus in Kooperation mit der Rainer Werner
Fassbinder Foundation Berlin (RWFF) zahlreiche Originaldokumente aus dem
Rainer Werner Fassbinder Archiv, welche die Arbeitsweise des Regisseurs offenlegen. Für
die Ausstellung Fassbinder – JETZT. Film und Videokunst im Deutschen Filmmuseum
Frankfurt gab die Präsidentin der Foundation, Juliane Maria Lorenz, erstmals die Erlaubnis, alle Dokumente zu sichten. Das Deutsche Filmmuseum hat das sorgfältig getan und inzwischen zahlreiche Schriften Fassbinders digitalisiert, die in der Ausstellung gezeigt werden. Sie bieten Gelegenheit, sich vertiefend mit dem großen deutschen Nachkriegsregisseur zu beschäftigen, auf den sich zeitgenössische Videokünstler immer wieder beziehen.
In einem Interview mit dem Deutschen Filmmuseum berichtet Juliane Maria Lorenz, die Cutterin bei 14 Fassbinder-Filmen war und viele Jahre mit ihm zusammenlebte, von ihrer Arbeit mit Rainer Werner Fassbinder, sie spricht über Filmkultur, die Herausforderungen der Digitalisierung und Restaurierung sowie die Arbeit der RWFF.
Deutsches Filmmuseum (DFM):
Frau Lorenz, Sie waren gerade drei Wochen
in New York im Museum of Modern Art (MoMA), mit dem Sie als Präsidentin der Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin (RWFF) die Restaurierung der fünfteiligen WDR-Fernsehserie ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG (BRD 1972, R: Rainer Werner Fassbinder) vorbereiten…
Juliane Maria Lorenz:
Man kann ja über Amerika schimpfen so viel man will. Aber die Kultur dort profitiert von der Fülle an reichen Menschen, die sich ihr Gewissen reinwaschen, indem sie Millionen in Kulturprojekte buttern. Das führt dann zur Finanzierung so toller Projekte wie unserem mit dem MoMA.
DFM:
Es ist ja eigentlich verrückt, dass das MoMA New York bei einem vom WDR in den 70ern finanzierten Ruhrgebiets-Arbeiter-Fernsehstück einen Teil der Kosten der Restaurierung übernimmt.
Lorenz:
Ja, aber für den derzeitigen Leiter des Filmdepartments im MoMA, Rahendra Roj, ist das ganz selbstverständlich. Ich schlage zum Beispiel eine Summe vor, die ich als Zuschuss brauche für eine Kopie, die das MoMA dann für die Fassbinder Collection kaufen wird und dann kriege ich das meist auch. In Deutschland dagegen bekommen wir als private gemeinnützige Stiftung nicht so selbstverständlich Unterstützung. Bislang liegt uns nur eine Zusage der NRW Stiftung vor. Zwei weitere Anträge, unter anderem bei der Bundeskulturstiftung, die uns 2006 schon bei BERLIN ALEXANDERPLATZ (BRD 1980) unterstützte, werden wir noch stellen. Für wirklich notwendige umfangreiche Restaurierungen, inklusive Rechteklärung, gibt es bislang leider kaum öffentliches Geld. Und für die Restaurierung von Fernsehfilmen existiert in Deutschland nicht mal ein Budget.
DFM:
Der Erhalt des Filmerbes funktioniert in anderen Ländern besser? Lorenz: Auf jeden Fall. Wir sind in Deutschland noch lange nicht soweit, dass wir unser umfangreiches Film-Kulturerbe retten könnten. Zwar hat die FFA (Filmförderungsanstalt) Produzenten und nicht-staatlichen Institutionen wie der RWFF unter dem Titel Digital Content insgesamt rund eine Million Euro für die Digitalisierung des Filmerbes zur Verfügung gestellt. Aber damit kommen wir nicht weit. Und wir wissen ja noch nicht einmal, wie lange die digitalen Formate halten – vielleicht zehn Jahre? Oder 20? Dann muss womöglich wieder neu digitalisiert werden, weil es wieder neue digitale Formate gibt. Das kostet jedes Mal Geld. Der Politik muss dieses Problem bewusst werden, daran müssen wir in Deutschland alle zusammen arbeiten: Produzenten, Kopierwerke und die Archive, die vom BKM (dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) aktuell ja noch einmal gesondert 1 Million Euro für die Digitalisierung erhalten. Wir als RWFF bekommen von der FFA maximal 15.000 Euro pro Film für die Digitalisierung. Das reicht aber nicht. Allein bei DIE EHE DER MARIA BRAUN (BRD 1978) hatten wir Grundkosten von 45.000 Euro. Die von der Bundeskulturstiftung unterstützte Restaurierung der gut 15-stündigen Fernsehverfilmung von BERLIN ALEXANDERPLATZ (BRD 1980) hat mit allem Drum und Dran und Rechte-Ablösung für die neue restaurierte Fassung 2007 insgesamt 1,375 Millionen Euro gekostet.
DFM:
Drückt die großzügigere Förderung in den USA auch aus, dass Rainer Werner Fassbinder im Ausland möglicherweise besser gelitten ist als in Deutschland? Und, wenn ja, wie erklären Sie sich das?
Lorenz:
Weil man immer Angst vor der eigenen Potenz hat, um es positiv auszudrücken. In Deutschland wird er von vielen schon allein wegen seiner Schaffenskraft für verrückt gehalten. Ganz anders die Amerikaner: Die Amerikaner finden Genie großartig. Ich sage jetzt nicht, dass er ein Genie war, Rainer hätte das auch nicht von sich gesagt. Aber er war wahnsinnig fleißig und er hatte Charisma und hat die richtigen, sehr begabten jungen Leute um sich versammelt. Und er war wahnsinnig gut organisiert. Das merkt man an seinen Filmen. Das merkt man an seinen Texten. Er war enorm strukturiert. Das habe ich für meine Arbeit als Cutterin von ihm sicherlich auch übernommen.
DFM: Sie waren 19 Jahre alt, als Sie Fassbinder kennenlernten. Wie kam es eigentlich, dass Sie dann die Filmmontage in 14 seiner Filme übernahmen?
Lorenz:
Ich bin reingestolpert. Ich wollte Filmemacherin werden, oder Schriftstellerin. Er sagte: Du machst das jetzt. Der hat mich bei DESPAIR – EINE REISE INS LICHT reingeschmissen und ich musste schwimmen. Er war ziemlich tricky, wenn er einem Aufgaben zuwies: Er hat sehr oft ausgetestet, wie weit er gehen kann, wie weit er jemanden belasten kann. Das hat er natürlich nicht mit Hanna Schygulla gemacht, und nicht mit Peter Märthesheimer, aber mit Irm Hermann hat er das aufs Äußerste getrieben. Mit mir hat er’s versucht. Bei LOLA (BRD 1981) sollte ich plötzlich auch noch Produktionsleiterin machen. Da habe ich mich gewehrt.
DFM:
Er brauchte also Widerstand?
Lorenz:
Jaaaa, aber wie. Jemand wie Irm hatte sicherlich eine tolle Leidensfähigkeit, aber sie hat sich auch gewehrt, sie hat geschrien, geweint, gedroht: „Ich bring‘ mich um!“ Und ist auf den Fenstersims gesprungen. Sie wollte sicher nicht wirklich springen. Er hat nur ruhig gesagt: „Spring raus!“ Später hat er allerdings zu mir gesagt, „Du, wenn sich einer beschweren kann, dann ist es die Irm.“ Wenn sich ihm jemand gerne unterwarf, das ertrug er nicht. „Wie weit kann ich gehen?“ – darum ging es immer wieder. Ich glaube das ist eine Charakterschwäche. Da konnte er zu weit gehen.
DFM:
Ist Ihnen das auch einmal
passiert?
Lorenz:
So extrem nicht, aber bei LILI MARLEEN (BRD 1980) war ich zunächst total überfordert und brach in Panik aus. Am 2. August 1980 habe ich die letzte Folge von BERLIN
ALEXANDERPLATZ gemischt, da rollten aber im nächsten Schneideraum schon die Rollen von LILI MARLEEN an: unglaublich viele Muster. Ich war 23, ganz allein, mit einer Assistentin und völlig überfordert. Da sagte er zu mir: „Der Xaver (Schwarzenberger) hat auch gesagt, das ist vielleicht zu viel für Dich.“ Fassbinder – das war eine wunderbar geölte Maschine, die ständig lief. Ich fand das sonst nicht so schlimm. Aber bei diesem Film brauchte ich eine Pause und bin abgehauen. Als ich nach zehn Tagen zurück kam, konnte ich schneiden – wie in Trance. Da sagte er: „Hast’s ja schon wieder verstanden.“ Wenn ich nicht noch viele andere Lehrmeister, zum Beispiel den wunderbaren Mischtonmeister Milan Bor, gehabt hätte, wäre das damals letztendlich nicht so gut gegangen.
DFM:
Mit welchen Vorgaben sind Sie rangegangen an den Schnitt?
Lorenz:
Es gab nie eine Vorgabe. Es gab ein Drehbuch. Ich war doch seine Einstellungen gewohnt. Ich wusste doch, wie er gerne schneidet. Er hatte auch eine Haltung zum Beruf des Schnittmeisters. „Der Cutter ist ein selbstständiger Künstler“, hat er immer gesagt. „Aber der Regisseur macht die Angaben, die muss der Cutter nur finden.“ Ich hatte oft Angstzustände: ,Schaff‘ ich das? Kann ich das?’ Auf der anderen Seite bin ich mit einer großen Naivität da rangegangen, und dann ist alles leicht.
DFM:
Erfolg war ihm ja keineswegs egal. Wollte er, dass viele Menschen seine Filme sehen?
Lorenz:
Darüber hat er sich keine zu komplizierten Gedanken gemacht. Ihn faszinierte einerseits die Perfektion der US-amerikanischen Filme und ihn begeisterte das französische Kino, Regisseure wie Jean-Luc Godard: So wollte er sein. Etwas anderes hatte er gar nicht vor. „Ich will gut sein. Lass‘ uns mal so anfangen.“ Darum ging es. Und dann kam noch sein unglaublicher Gestaltungswille dazu. Diese besondere Art der Verfremdung.
Fortsetzung folgt.
INFO:
Begleitend zur Ausstellung ist eine Retrospektive im Kino des Filmmuseums zu sehen sowie eine Filmreihe, die den Einfluss Fassbinders auf das Kino der Gegenwart, von Pedro Almodóvar bis François Ozon, thematisiert. Es erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Ausgabe.
Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler:
Tom Geens (geb. 1970, Belgien)
Runa Islam (geb. 1970, Bangladesch)
Maryam Jafri (geb. 1972, Pakistan)
Jesper Just (geb. 1974, Dänemark)
Jeroen de Rijke / Willem de Rooij (geb. 1970 Niederlande, gest. 2006, Ghana /
geb. 1969 Niederlande)
Ming Wong (geb. 1971, Singapur)
Eröffnung: Dienstag, 29. Oktober, 19 Uhr
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Rainer Werner Fassbinder Foundation Berlin. Sie wird gefördert vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der Stadt Frankfurt am Main und der Hessischen Kulturstiftung. Weiterer Kooperationspartner ist die B3 Biennale des bewegten Bildes.
Film und Videokunst vom 30. Oktober 2013 bis 1. Juni 2014
www.deutsches-filminstitut.de
www-deutsches-filmmuseum.de