kandel dvdDer brillante Flm über den in Wien geborenen Hirnforscher Eric Kandel von Petra Seeger auf DVD 

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nicht „noch einmal“ habe ich diesen Film gesehen, mindestens schon dreimal und noch immer habe ich die so geduldig erklärten Zusammenhänge mit den Synapsen im Gehirn, die Neues bilden, nicht verstanden, aber wenn ein viertes oder fünftes Mal dazu kommt, ist es nicht wegen der Wissenschaft, sondern weil es einfach glücklich macht, wenn man Eric Kandel zuschaut, wie er zusammen mit seiner Familie seinem Leben als Naziflüchtling aus Wien  in die USA nachforscht.

Daß er zum Gedächtnisforscher wurde, für den er im Jahr 2000 immerhin den Nobelpreis für Medizin erhielt, war dem am 7. November in Wien geborenen Erich Kandel nicht in die Wiege gelegt. Und er hätte ihn auch nicht bekommen, wäre auch nicht Psychiater, Biomediziner und Neurowissenschaftler geworden, wenn nicht ein einschneidendes Ereignis sein Leben als Bub unterbrochen hätte. Wäre diese Geschichte nicht echt, hätte man sie erfinden müssen, so passend ist sie. Denn der kleine Erich hatte zu seinem 9. Geburtstag ein kleines blaues Auto mit Fernsteuerung bekommen, sein größter Stolz. Zwei Tage später kamen Nazipolizisten – es war der 9. November 1938, die Novemberpogrome mit der Zerstörung aller Wiener Synagogen bis auf eine – nahm die Familie mit, der Vater war eine Woche im Gefängnis.

Als der kleine Erich Tage später in die geplünderte Wohnung zurückkam, war auch sein kleines blaues Auto verschwunden. An diesen Verlust mußte er sein ganzes Leben denken, was verstärkt wurde durch die Flucht. Er fuhr mit seinem Bruder alleine nach Amerika, wo die Großeltern schon in Brooklyn lebten und die Eltern ein halbes Jahr später nachkamen. Endlich einmal eine jüdische Familie, für die es gut ausgegangen ist,

In diesem Film hängt wie im richtigen Leben alles mit allem zusammen und so begleiten wir Eric Kandel und seine Frau Denise mitsamt der ganzen Familie zum 50. Hochzeitstag nach Paris und Wien. In Paris hatte Denise, eine französische Jüdin, bei Nonnen überlebt und es ist ergreifend, wie sie den alten Tunnel sucht – womit wir schon mitten im Thema sind, wie es sich verhält mit der Erinnerung. Die Filmemacherin nutzt elegant und auch sinnvoll bestimmte Situationen im Ablauf, um an diesen dann auch den Wissenschaftler zu Wort kommen zu lassen. Denn er erklärt, warum das Ortsgedächtnis und in welchen Arealen bewahrt wird. Und eben auch, wie es sich mit dem Langzeit- und dem Kurzzeitgedächtnis verhält. Das eine bewirkt eine Schaltung im Gehirn, aber das Langzeitgedächtnis verändert es, weshalb es günstig ist, sich immer wieder an Bestimmtes zu erinnern.

So sind alle wissenschaftlichen Informationen und auch die Lehr- und Forschungstätigkeit von Eric Kandel im Film wichtig, weil sie einen aufgeweckten Lehrenden zeigen, dessen Energie, aber auch mitmenschliche Fähigkeiten seine Mitarbeiter genauso begeistert wie uns  Zuschauer. Überhaupt sind die Szenen in Amerika für Hiesige schon deshalb interessant, weil einfach der Ton zwischen Professoren, dem Mittelbau und den Anfängern ein anderer ist als bis heute hierzulande. Natürlich darf man nicht von Eric Kandel auf alle anderen schließen, denn eigentlich haben wir mit ihm einen typischen jüdischen Wiener Wissenschaftler, der sprachbegabt, mit Witz und Selbstironie andere zum Mitforschen motivieren kann und auf privater Ebene zum Leben.

Wie Wienerisch so vieles an ihm ist, das sieht man wirklich erst ab dem dritten Mal. Denn nach den Aufnahmen in Paris, die den Spuren von Denise nachgingen, geht es um den neunten Bezirk in Wien, den Alsergrund, wo sein Vater ein Geschäft hatte, bei dem die Mutter mithalf und wo auch die bescheidene Wohnung war. Er selbst sagt von sich, er käme aus der unteren Mittelschicht. Und man kann sich gut vorstellen, daß Kandel in Wien nie solche Chancen von Bildung und Ausbildung bekommen hätte, wie es in den USA der Fall war, wo ihn sein Lehrer nach Havard empfahl, wo er auch nach dem Abschluß blieb, was zu seinen härtesten Jahren wurden, wie er im Film sagt. Denn er mußte tagsüber arbeiten, sein erster Hochschulabschluß war Psychiater, und konnte seine Forschungsuntersuchungen erst am Abend unternehmen, was irgendwann seine Frau auf die Palme brachte, denn sie blieb mit dem ersten Kind erst einmal alleine.

Mit welcher Offenheit und welcher Ehrlichkeit Kandel über die menschlichen Probleme spricht, die mit intensiver wissenschaftlicher Tätigkeit einhergehen, sind ein großes Plus in diesem Film, der in allem zeigt, wie wichtig für einen Wissenschaftler eine solche Frau an seiner Seite ist, die ihm nicht nur den Rücken freihält, sondern ihn auch zum privaten Leben zwingt. 

Das Wichtigste sind mir allerdings all die Aufnahmen in Wien, wohin er mit seiner großen Familie kommt, wo er einerseits die Familienwohnung aufsucht und den Laden seines Vaters und mit den heutigen Inhabern und Bewohnern über früher spricht. Wie außerordentlich wohl ihm der Wiener Empfang tat, sieht man den Bildern an, das gilt für die Nachmieter wie auch den österreichischen Bundespräsidenten, damals Heinz Fischer (SPÖ), von dem Kandel so angetan war, daß er tatsächlich von Heilen sprach, daß das Zusammentreffen und die Anteilnahme für ihn heilsam gewesen sei.

Wichtig auch der jüdische Kontext. Das ist ja das Ungeheuerliche an den Verbrechen der Nazis, daß sie jüdische Deutsche, jüdische Österreicher, jüdische Franzosen, jüdische Polen etc. insgesamt zu Juden machten, in einer Ausschließlichkeit, wie die meisten von ihnen sich nicht empfanden. Hierbei geht es um die Religion, die das Jüdische ja eigentlich ausmachen sollten. Eric Kandel sagt ganz offen, daß er durch die Nazi-Vorgänge und die Flucht, zum Juden gemacht worden ist und sich heute kulturell als Jude versteht und sich wohl fühlt damit.

Mehr beim nächsten Mal, denn diesen Film schaue ich mir regelmäßig wieder an. Weil er gut tut!

P.S. Faszinierend seine Kunstsammlung deutscher und österreichischer Expressionismus in seiner Wohnung, wo man mit Freude Max Beckmann sieht, nach dem wir ihn das nächste Mal fragen, wenn wir ihn sehen. Denn er müßte den so früh Verstorbenen in New York ja eigentlich noch kennengelernt haben. 

Foto:
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Info:
Petra Seeger, Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Der Hirnforscher Eric Kandel
www.kandel.wfilm.de

Bisehrige Berichterstattung über Eric Kandel
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/2032-preisverleihungen-der-hertie-stiftung
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/2055-preistraeger-wolfgang-oertel-und-sonja-hofer
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