Serie: Deutscher Buchpreis 2011, Teil 10

 

von Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Über die Autorin schreibt die Jury in Kurzbiographie:

Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in Ahrensburg, lebte von 1961 bis zu ihrer Übersiedlung 1985 in Leipzig; heute lebt sie in Berlin. Sie veröffentlichte unter anderem die Erzählungen „Sehnsüchte“ und „Anfall von Glück“, den Roman „Alle leben so“, den Erzählungsband „Aus allen Himmeln“ und zuletzt den Erzählungsband „Amateure“.

 

Zum Roman teilt sie mit: Am Anfang scheint alles schon zu Ende zu sein: Der Vater trinkt und taucht nur selten auf, die Mutter lässt ihre Wut an den Kindern aus, die Mitschüler meiden das Mädchen, der kleine Bruder kapselt sich ab. Und doch gibt es eine Kraft, die das Mädchen trägt. Die Bilder aus „Brehms Tierleben“, die sie bewundert, der Traum vom kleinen Haus mit Garten und immer wieder Menschen, die ihr etwas bedeuten und die sie halten. Eines hat sie gelernt: Man muss sich holen, was man braucht. Nachdem sie mehrfach beim Ladendiebstahl erwischt wird, erweist sich das Kinderheim, in das sie kommt, überraschend als ein Refugium, wo Kindheit erstmals gelebt werden kann.

 

Zur Auswahl unter die letzten Sechs lautet die Bewertung der Jury: Leere Schnapsflaschen, Schläge, tagelanger Hausarrest, ein hilfloser Bruder, eine unberechenbare Mutter mit wechselnden Männern im Schlepptau – so sieht der Alltag von Angelika Klüssendorfs heranwachsender Heldin aus. Doch das Mädchen besitzt eine eigentümliche Zähigkeit und beißt sich durch. Mit fotografischer Präzision nimmt die Autorin das DDR-Milieu in den Blick. Sie beherrscht die Kunst der Aussparung. Ihre Sprache ist prägnant und knapp, ihre Protagonistin eine –Verlorene, die versucht, das System auszutricksen. Ein vielschichtiges Psychogramm und ein verstörender Pubertätsroman.

 

Wir meinen: ein gutes, ein einfühlsames, ein ohne viele Worte auskommendes Buch, das Substantielles über die Welt und ihre Verfaßtheit, nicht nur in der alten DDR sagt, aber auch über die Widerständigkeit von Menschen, insbesondere jungen Mädchen. Das Buch hat uns sehr berührt und wir haben es nicht aus der Hand gelassen, bis wir alles wußten, was heißt, wir wissen gar nichts, aber so ist es eben. Viel Glück der Heldin!

 

Ceterum censeo, daß es für jedes der Bücher eine Begründung für den Deutschen Buchpreis geben könnte. Jan Brandt legt einen Wälzer hin, der einen froh sein läßt, in dieser deutschen Provinz nicht aufgewachsen zu sein. Aber er zeigt auch, daß wir Städter keine Ahnung davon haben, wie vielfältig es dort zugeht. Eugen Ruge schreibt so klug und menschenfreundlich über Typen, die sich selbst erhaben fühlen. Anglelika Klüssendorf läßt uns teilhaben an den Schmerzen eines Kindes, dessen Revolte wir mittragen, aber auch verführt werden, die Position dieses Mädchens einzunehmen, wo sie gemein und böse handelt. Es gibt nirgends den reinen Helden, das unschuldige Wesen, nein, sie sind alle miteinander recht unsympathisch, dieser "ich" aus Buselmeiers "Wunsiedel" und auch die Amy Schreiber, die "Schmerzmacherin".

 

Warum wir Marlene Streeruwitz für den Buchpreis ausgewählt hätten, hat damit zu tun, daß kein anderes der ebenfals guten und interessanten Romane so dicht am Heute, so politisch, so verzweifelt ist und dies in Form und Inhalt uns als Salz unter die Haut streut.

 

Info: Weitere Informationen zum Deutschen Buchpreis 2011 und Termine des Preisträgers rund um die Frankfurter Buchmesse können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de