Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Juli 2021, Teil 7
Redaktion
London (Weltexpresso) - Filmemacher David Lowery las das Poem erstmals zum Ende seines ersten Studienjahres. Im Kurs wurden die wichtigsten epischen Gedichte des europäischen Kanons behandelt. „Sir Gawain“ schloss die Vorlesung ab, nachdem wir uns wochenlang mit der Ilias und Odyssee beschäftigt hatten. Lowery war vom Text augenblicklich begeistert, ihm gefiel die Idee von einem Mann, der sich einer solch gefährlichen Herausforderung stellt.
„Es ist doch verrückt, dass jemand sich auf eine Herausforderung einlässt, dessen Preis darin besteht, das eigene Leben zu verlieren“, räsoniert der Filmemacher. Über zwei Jahrzehnte ging im der Stoff nicht aus dem Sinn. Längst hatte er sich da erfolgreich im Filmgeschäft etabliert, 2013 mit „The Saints – Sie kannten kein Gesetz“ sein Spielfilmregiedebüt gegeben. 2016 folgte für Disney sein Remake „Elliot, der Drache“, im Jahr darauf die Geistergeschichte „A Ghost Story“.
In März 2018, während er gerade an einem Drehbuch zu einem weiteren Disney-Film pausierte, erinnerte sich Lowery wieder an das Mittelalterabenteuer, als er „Willow“-Figuren – Erinnerungsstücke an den gleichnamigen Ron-Howard-Klassiker von 1988 – aus seiner Jugend fand: „‚Sir Gawain and the Green Knight’ schoss mir wieder in den Sinn und ich beschloss, mich an eine Adaption zu wagen. Drei Wochen später war das Drehbuch fertig“.
„Die größte Herausforderung bestand darin, dem heutigen Publikum klarzumachen, worum es bei dem gegenseitigen Köpfen geht”, erinnert sich Lowery. „Das Konzept von Ritterlichkeit und Ehre ist heute – selbst im Zeitalter von ‚Game of Thrones’ – nicht wirklich von Bedeutung“. Im Zuge seiner Recherchen, im Austausch mit einschlägigen Akademikern, stieß Lowery auf die Nebenfigur Morgan le Fay – sie ist eine Halbschwester von König Artus – , die erst spät im Poem auftaucht, in seiner Adaption jedoch eine zentrale Rolle einnimmt.
Sie verkörpert die feministische Präsenz in der von Männern dominierten Geschichte. Sie ist eine mysteriöse blinde Frau, die auf Lord Bertilaks Schloss wohnt und vielleicht im Hintergrund die Fäden zieht. Im Poem ist sie Gawains Tante, Lowery machte le Fay zu seiner Mutter, um sie und ihre Rolle noch stärker zu akzentuieren. Nur eine von vielen kleinen Änderungen, um die Story für unsere Tage zugänglicher bzw. spezifischer zu machen.
Stark betont wird zudem die Spannung, die zwischen Christen- und Heidentum herrscht. Der Film öffnet mit dem Satz: „Der Herr ist geboren”, dazu sieht man den jungen Gawain, der sich frei und libidinös durch Camelot bewegt, ehe er sich dann aufmacht, den Green Knight zu köpfen. Bei Lowery, wie auch im Original, ist THE GREEN KNIGHT eine Christus-Parabel – Umherirren, Versuchung und eine (metaphorische) finale Kreuzigung inbegriffen.
„Ich wollte meinen Film nicht zu offensichtlich gestalten, es sollte viel Raum für Interpretation bleiben“, führt Lowery aus. „König Artus Hof repräsentiert die christliche Seite des Königreichs, Sarita Choudhury, im Film Gawains Mutter, ist eine eher heidnische Figur. Und welchen Part die Natur spielt, darf jeder für sich selbst entscheiden.“ Mag THE GREEN KNIGHT von 2021 nicht so mehrdeutig sein wie das Quellmaterial aus dem 14. Jahrhundert, hat es der Regisseur und Drehbuchautor dennoch geschafft, sein Werk klar zu strukturieren, mit Männern (und Frauen), die ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen – durchaus beeinflusst von der Natur.