adern1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. Juli 2021, Teil 12

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Euer Partner Tobias Siebert hatte 2003 seinen Abschlussfilm an der HFF München mit der Regisseurin hergestellt: DIE GESCHICHTE VOM WEINENDEN KAMEL. Nun, 17 Jahre später, präsentiert BASIS BERLIN DIE ADERN DER WELT. Wie habt ihr euch gefunden nach zwei Filmen, die Byambaa anderswo produziert hatte?


Wir haben auch an den anderen Filmen zum Teil in anderen Positionen mitgearbeitet und sind seit der ersten gemeinsamen Arbeit persönlich sehr eng verbunden.

Für DIE ADERN DER WELT kam Byambaa auf uns zu, um ihren ersten Film auf Drehbuchbasis mit uns zu entwickeln. So wurde die langjährige Zusammenarbeit intensiviert. Und Byambaa hat das Talent, in einer ganz besonderen Weise ihr Team zu suchen und die verschiedenen Welten miteinander zu verbinden. Es war am ersten Abend vor Ort ganz selbstverständlich, dass beim gemeinsamen Essen jemand aufsteht und eines dieser sehr, sehr langen mongolischen Lieder singt. Und so ging es die Reihe um. Und man selbst schämt sich dann, wenn man bei „Kein schöner Land“ die 2. Strophe vom Handy ablesen muss. Kurz gesagt: Wenn man als Team in der Mongolei dreht, gemeinsam in diesen gemütlichen Jurten lebt, wächst man in dieser Ruhe und Weite ohnehin familiär zusammen. Das bleibt.


Euer Portfolio steht u.a. für politische Dokumentarfilme. Liegt da für euch auch der Fokus in diesem teils dokumentarischen, teils fiktionalen Film? War die Politik ein entscheidender Aufhänger?

Für uns ist das Thema immer der zentrale Startpunkt für unser Tun. Es geht uns um universelle Inhalte, die wir für wichtig halten, die wir unbedingt an die Zuschauer weitergeben möchten. Daher sehen wir unseren Fokus eher in gesellschaftsrelevanten Themen. Wir wollen diese in unseren Filmen spiegeln und damit das Publikum zum Nachdenken anregen. Dabei versuchen wir eine Zeigefinger-Mentalität zu vermeiden.

So wie wir in den letzten 20 Jahren die drastischen Veränderungen in der Mongolei bei jedem Besuch mitbekommen haben, war es die zwingende Konsequenz, diesen Film zu machen und die Beobachtung als Grundlage für die Geschichte zu nehmen.


Alle Filme Byambaas schaffen einen Spagat zwischen dem Dokumentarischen und dem Fiktionalen. Auch zwischen ihrem sehr persönlichen Background zu den jeweiligen Stories und klaren fiktionalen Spannungsbögen. Wie würdet ihr diesen Stil des Filmemachens beschreiben?

Erfahrungsbedingtes Erzählen in einem sehr besonderen Maße. Ein Erlebnis führt zu einer Geschichte; man begibt sich auf die Reise an den Ort und die Geschichte entwickelt sich mit neuen Notwendigkeiten weiter und so fort. Das war auch bereits im Prozess der Projektentwicklung genauso. Durch äußere Einflüsse vor Ort wurde das Gleis immer wieder neu gesetzt. Ein Nomade erzählt bei der Drehvorbereitung seine Lebensgeschichte und es wird sofort verwoben mit dem bereits Bestehenden. Wobei Byambaa übrigens bei DIE ADERN DER WELT zum ersten Mal mit einem Drehbuch arbeitete und nicht nur auf der Basis eines Treatments wie bei ihren vorigen Filmen.


Ist dieser Prozess ein Unterschied zu anderen Filmen, die ihr mit eurer Produktion herstellt?

Jeder Film bedarf einer ganz eigenen Herangehensweise. Wir suchen nach RegisseurInnen mit einer starken eigenen Handschrift. Und was wir am Prozess des Filmemachens mit am spannendsten finden, ist einen Rahmen zu bauen, in dem die jeweilige Vision am besten umgesetzt werden kann. Das Denken in Kategorien ist kreativ gesehen das größte Hindernis, das man sich in den Weg legen kann. Deshalb sind solche Schubladen allenfalls retrospektiv interessant, nicht beim Entwickeln.


Gab es Partner für die Recherche?

Nein. Byambaa war zu mehreren Recherchereisen vor Ort und hat ihre Erfahrungen in die Drehbucharbeit eingebracht. Authentizität ist ihr sehr wichtig.


Konntet ihr auch nach so langer Zeit noch an das Image vom WEINENDEN KAMEL anknüpfen – in Deutschland und in der Mongolei?

Es war erstaunlich für uns, dass kein Sender diesen Film machen wollte. Wir dachten, das ist ein Selbstläufer. Man muss schon mal sagen: Ohne Cooky Ziesches Engagement – unserer Redakteurin vom rbb – wäre dieser Film nicht entstanden.


Wie lief die Zusammenarbeit zwischen euch deutschen ProduzentInnen mit den mongolischen PartnerInnen?

Das ist ein Prozess: Zwei Welten kommen zusammen und man muss herausfinden, was das Beste aus jeder ist. Und wie es zusammenfließen kann. Hierbei war die besondere Herausforderung, die mongolische Kultur mit der hiesigen Filmstruktur zu verweben. Beide Seiten haben da viel gelernt. Zum Beispiel, dass Reisezeitplanung nichts mit Kilometerangaben zu tun hat, sondern mit Niederschlag.

Zum Glück hatten wir den gleichen Service-Produzenten, der alle Filme Byambaas betreut hat und den wir auch seit 19 Jahren kennen und der Teil unserer Filmfamilie ist. Hier war nur die Herausforderung, dass diesmal das Team deutlich größer war als die Vorherigen. Alles hat sich sehr gut und natürlich für unseren Film gefunden. Beginnend beim deutschen Team, das Lust hatte auf ein mongolisches Abenteuer. Bis hin zur Schwierigkeit an die Rechte für „Mongolia’s Got Talent“ zu kommen – insbesondere mit einem so kleinen Budget. Diese lösten sich, als wir einen Koproduzenten fanden, der zufällig auch der Produzent der Show war.


Könnt ihr etwas zu den Dreharbeiten in der Mongolei erzählen? Zu den Drehbedingungen? Da hat sich doch sicher auch innerhalb der letzten 19 Jahre einiges verändert ...

Telekommunikativ auf jeden Fall. Ernsthaft: Wir hatten diesmal einen geschlossenen Produktionskreislauf bis zum Schnitt inklusive Grading Suite vor Ort in Jurten und russischen Allradbussen.

Eine große Herausforderung war, dass viele mongolische Teammitglieder kein Englisch konnten und wir Brücken gebaut haben zwischen Mongolisch und Englisch. Außerdem sind sie andere Arbeitszeiten als unser Team gewohnt: 10 vorgeplante Stunden am Tag zu drehen und das Wochenende frei zu haben, ist dort völlig unverständlich. Für manche war es wohl der relaxteste Dreh ihrer Filmlaufbahn; das dokumentieren sie bis heute noch bei Facebook.


Gab es eventuell Repressalien, weil ihr einen politischen, kritischen Film macht? Wie war die Zusammenarbeit mit Behörden oder Motiv-Gebern vor Ort?

Wir haben uns dafür entschieden, direkt in einem der größten Goldabbau-Gebiete der Mongolei zu drehen. In der Region war das Thema des Films aus Angst vor Sabotage nicht bekannt. Bei der ersten Motivbesichtigung hatten wir einen sehr beeindruckenden Ort für die Jurte Zayas und Erdenes gefunden, unweit einer Mine. Doch fünf Tage vor Drehbeginn bekamen wir die Nachricht, dass der Besitzer der Mine das Land, auf dem wir drehen wollten, im großen Stil aufgekauft hatte und uns ein Drehverbot erteilte. Wir mussten kurzerhand eine neue Location finden. Als wir diesen Ort gefunden hatten, baten wir den Nomaden, der dort lebte, um seine Erlaubnis. Als er uns seine Geschichte erzählte, die zu großen Teilen unserer Fiktion entsprach, und sagte, wie glücklich er ist, dass jemand über die Misere dort erzählt, wurde unsere Geschichte plötzlich zur Realität.

Die Main Location lag in den Hügeln, so dass wir durch den ganzen Dreh hindurch weitgehend unbehelligt blieben. Die Probebohrungsmaschine sollte „unter dem Radar“ geliefert werden. Doch genau zu dem Zeitpunkt tauchte der Minenbesitzer auf, so dass dies unmöglich wurde. Eine andere solche Maschine wurde dann beschafft im Tausch gegen eine Wolfszunge, um dem Besitzer gegen seine Halsschmerzen zu helfen (ein übliches Hausmittel). Grundlagen für das Erreichen von Zielen wie z.B. Genehmigungen etc. ist selten Geld, meistens ist es Zeit: Zeit zum gemeinsamen Trinken, zum Anhören von Familiengeschichten. Wenn man sich darauf einlässt, kann man in der Mongolei vieles erreichen. Sogar zusätzlich noch ungewollt eine Kuh als Gastgeschenk.


Wie habt ihr den Cast gefunden?

Diesmal hat Byambaa im Unterschied zu den vorigen Filmen mit SchauspielerInnen gedreht, die eine Casterin in enger Zusammenarbeit mit Byambaa gefunden hat. Das war ein großer Gewinn.

Die Kinder waren natürlich Laien, die – selbstverständlich in der Mongolei – alle singen und reiten können. Und unser Hauptdarsteller konnte bereits tatsächlich Auto fahren, weil er längst schon einmal die Woche 20 km allein zu den Großeltern fährt.


Wird der Film auch in der Mongolei gezeigt werden?

Es soll bereits im März dort einen Kinostart geben, den unsere wunderbaren Ko-Produzenten von Mongol TV initiiert haben.


Welche Zielgruppen wünscht ihr euch für den Film?

Wir sahen ihn von Anfang an als Familienfilm, den verschiedene Generationen gemeinschaftlich schauen sollten im Hinblick auf das aktuelle und universelle Thema, das in ihm steckt: Das Prinzip von Nachhaltigkeit vs. kurzfristige Gewinnmaximierung. Außerdem der Generationen-Clash und das generationenübergreifende Lernen.


Dies ist kein Propagandafilm etwa für Fridays For Future oder andere Aktivisten, die gegen den Raubbau an der Erde ihre Stimme erheben. Glaubt ihr aber, dass etwa der Schluss, wo sich die Mutter Zaya mit anderen Nomaden gegen die Schürflizenznehmer auflehnen und Bedingungen aushandeln wollen, Kraft genug hat die derzeitige Realität dieser Landnahme zu verändern?

Ja klar.


Foto:
© Verleih

Info:
Regisseurin und Drehbuchautorin Byambasuren Davaa (DIE HÖHLE DES GELBEN HUNDES, DAS LIED VON DEN ZWEI PFERDEN) feiert mit DIE ADERN DER WELT ihr Spielfilmdebüt, einer berührenden, generationenübergreifenden und bildgewaltigen Familiengeschichte. Mit ihrem Film DIE GESCHICHTE VOM WEINENDEN KAMEL, der in über 60 Länder verkauft wurde, war sie bereits 2005 für einen Oscar nominiert. DIE ADERN DER WELT ist eine BASIS BERLIN Filmproduktion in Ko-Produktion mit Mongol TV und Rundfunk Berlin-Brandenburg in Zusammenarbeit mit Arte. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Filmförderungsanstalt und Deutscher Filmförderfonds. DIE ADERN DER WELT feierte seine Weltpremiere in der Sektion GENERATION Kplus auf der Berlinale 2020.

STARTMELDUNG DIE ADERN DER WELT
(Internationaler Titel: Veins of the World )
Regie: Byambasuren Davaa
Darsteller: Bat-Ireedui Batmunkh, Enerel Tumen, Yalalt Namsrai, Algirchamin Baatarsuren u.a. Deutschland / Mongolei 2019 / 95 Minuten