Das 19. Filmfestival VERSO SUD vom 29. November bis 8. Dezember im Deutschen Filmmuseum, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dieser Lehrer-Schüler-Film ist warmherzig, er ist wahr, er ist chaotisch, wie Schule halt ist, er zeigt uns, wie auch Lehrer lernen können, ihre Schüler zum Lernen zu bringen, was immer nur über Respekt und die Autorität als Lehrer geht - und dabei sind die beiden Protagonisten: der junge Enthusiast und der alte Zyniker die gradlinigen Gegensätze, die Schule auch in der Wirklichkeit ausmachen.

 

Das sind dann Szenen wie aus dem Kino, wenn wir die Vorurteile gegenüber jungen und alten Lehrern so wahr auf der Leinwand erleben und gleichzeitig spüren und erfahren, daß auch immer das Gegenteil stimmt. Denn der so wahnsinnig nette und den Schülern zugewandte Giovanni Prezioso, welch schöner Name für den gutaussehenden Riccardo Scamarcio, der aufopferungsvoll die Rolle des naiven und wohlmeinenden Pädagogen spielt und für seine Schüler das Allerbeste will, er kann ganz schön fies sein und seiner schwierigsten Schülerin die weitere schulische Karriere versauen, womit wir Zuschauer durchaus einverstanden sind, denn wir erleben ja, wie diese frühreife Göre ihn vorführt und ausnutzt – bis, bis auch wir wie der Lehrer kurz vor Schluß mitbekommen, daß sie nicht log, die Mutter wirklich starb und sie die Chance verdient gehabt hätte, die er ihr verdarb, indem er bei der Klassenkonferenz den weiteren Verbleib an der Schule im Keim erstickte.

 

Andersherum wird auch ein Schuh daraus und der Alte, hinreißend von Roberto Herlitzka in der Doppelbödigkeit von Arroganz und Hilflosigkeit, von geistreichem Intellekt und aufbrechenden Gefühlen gespielt, den wir ständig als Zyniker und die Schüler niedermachenden Despoten erleben, wird zum beseelten Kunstvermittler, der den Schüler mehr mitgeben kann als nur Wissen, nämlich Leidenschaft für die Sache. Das alles ist klug durchdacht in diesem Film, der erst einmal das Waterloo für die Direktorin beschwört, wenn der aus Rumänien gekommene Junge, der auf seine Mutter wartet, die nie mehr kommen wird, der Vater ist schon tot oder verschwunden, wenn dieser Junge sich nicht ihren pädagogischen Avancen ergibt, sondern von ihr den vollen menschlichen Einsatz fordert. Den sie übrigens bringen kann. Und das noch ausgesprochen cool.

 

Ach, das ist auch deshalb ein schöner Film, weil er oberflächliche Wirklichkeiten und Wirksamkeiten unterläuft und uns ein so vielfältiges Muster von Leben und Schulleben anbietet, wie es halt ist. Lachen kann man eine Menge und natürlich liegt in jedem Lachen schon der Keim des Schmerzes, daß Schule auch wehtut, die Lehrer den Schülern und umgekehrt nicht weniger. Der Regisseur formuliert im Programmheft: „Ich mache Filme, um etwas mitzuteilen, das mir wichtig ist. Um Geschichten zu erzählen, die an den Kern unserer Existenz rühren, die in die Tiefe gehen. Und dieser Film entstand aus meinem Wunsch heraus, die Schule als einen Ort darzustellen, an dem verschiedene Schicksale, Hoffnungen und Enttäuschungen von Jung und Alt aufeinandertreffen.“

 

Er fährt fort und das ist besonders wichtig: „Die Schule ist eine Weggabelung, an der sich die desillusionierten Existenzen der Erwachsenen und die Träume der Jugendlichen begegnen. Ich wollte eine normale Geschichte erzählen, die in einer normalen Schule spielt, mit all den Problemen unserer Zeit, um diese besondere Welt mit Leichtigkeit, Leidenschaft und Ehrlichkeit dazustellen.“ Das ist Piccioni in außerordentlichem Maß gelungen und man sich fragen, warum solch ein Film in Deutschland keinen Verleih findet. Nachzutragen ist nur noch, daß Rot und Blau die Korrekturfarben der Lehrer in Italien sind, wobei Rot für die normalen Fehler gilt und Blau für die ganz gravierenden.

 

Zweiter Film des Festivals war um Samstag dann BELLAS MARIPOSAS, womit wir uns erst schwer taten, denn die Atmosphäre von aussichtslosem Leben in der Hochhauslandschaft am Rande der sardischen Hauptstadt Cagliari und die entsprechenden menschenverachtenden Dialoge von Jung und Alt gehen an die Nieren und man fragt sich länger, wieso man so furchtbare Dialoge, die furchtbar sind, weil sich Menschen in solchen Situationen so primitiv vulgär ausdrücken, ertragen soll. Und dann mittendrinnen, versteht man, mit welcher Kraft die beiden Mädchen, die Hauptperson Cate (Sara Podda) und ihre Freundin Luna (Maya Mulas) sich in dieser Welt eine eigene bauen, die auf jeden Fall dazu dienen soll, im Erwachsenenleben anders zu leben, als sie das rundherum sehen.

 

Denn da sind die Frauen Gebrauchsware für Männer. Die Männer können noch so dümmlich und mißgestaltet sein, sie sind per se erst einmal mehr wert, das vermittelt das normale soziale Gefälle in diesem gesichtslosen Hochhaus und den umliegenden weiteren Häusern. Dabei sind es unterm Strich dann doch wieder die Frauen, die das Leben am Laufen halten, für die Kinder sorgen und auch dafür, daß immer etwas zu essen da ist.

Welch herrliche Abziehbilder können wir bei den Männern ausmachen, während jeder der vorgeführten Frauen etwas Besonderes hat, sei es die verrückte Mieterin über Cate, die immer nachts scheißen muß (wir wollten eigentlich schreiben, aufs Klo geht, aber das paßt einfach nicht, wobei das Ganze in der mit Wasser gefüllten Badewanne mit Nachttopf passiert), sei es die rassige Wahrsagerin, die am Schluß das Schicksal der einzelnen in richtige Bahnen lenkt oder auch die beiden Mädchen selbst, die gemeinsam stark sind.

 

Der Film spricht uns aus dem Kopf von Luna an, die ihr Leben und die Vorkommnisse kommentiert und uns zu Eingeweihten macht. Ab und zu, uns auch direkt zuzwinkert, wenn ihr wieder etwas Besonders gelungen ist. Der Film von Salvatore Mereu hat auch stark dokumentarischen Charakter, was durch die Form erfolgt, wie kontinuierlich der Tagesablauf erzählt wird, der aber gleichzeitig gebrochen wird durch surreale oder phantastische Einfügungen, die aber in der realen Geschichte ihren Ort finden und uns darum völlig möglich erscheinen. Und so kommt man gestärkt und voll Hoffnung für diese beiden Mädchen aus einem Film, der einem zuerst als das Ende des Lebens für diese beiden schien.

 

 

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