Romeos

von Lida Bach

Eine peinliche Situation für das Lukas und seine Heimmitbewohnerin. Er kommt gerade in die Waschräume, sie aus der Dusche. Eigentlich ist ihr erschreckter Aufschrei für ihn ein Kompliment, aber mit der Akzeptanz seines Äußeren tut der zurückhaltende Junge (Rick Okon) sich schwer kurz nach seinem Einzug im Schwesterntrakt. „Im Zivildienstwohnheim war kein Platz mehr frei.“, erklärt die Leiterin der Sozialstelle (Silke Geertz). Also muss Lukas vorerst bei den Mädchen wohnen, obwohl er es hasst. Dass seine beste Freundin Ine (Liv Lisa Fries) ihn willkommen heißt, ist ein schwacher Trost, denn die unbefangene Draufgängerin lebt Lukas das Selbstbewusst vor, das er nicht hat, erinnert ihn an sein altes Ich, dass er für immer loswerden will und sein Geheimnis, von dem niemand erfahren darf.

 

Der Anblick seiner Heimgenossin aus dem Waschraum lässt Lukas kalt: nichts, was er nicht schon gesehen hätte. Lukas steht nicht auf Mädchen. Ine schon. Eigentlich hat Lukas nichts gegen Mädchen. Nur eines hasst er: Miri. „Miri war sowas von Scheiße.“ Doch Miri gibt es nicht mehr. „Schade.“, sagt Ines, deren beste Freundin Miri war. Bevor Miri Lukas wurde und Ines bester Freund. Obwohl dem äußeren Eindruck nach ein Junge ist Lukas physisch weiblich – noch. Die letzten Wochen vor der Operation rühren nicht nur vertraute Ängsten auf, sondern tief verwurzelte Selbstablehnung, die über die zentrale Transgender-Thematik hinausreicht.

In Köln, wo ihn niemand kennt, soll alles anders werden. Noch bevor das Großstadtnachtleben, in dem Ine sich bereits auskennt, für ihn richtig beginnt, verliebt sich Lukas in den Typen, der im Auto neben ihm sitzt: Fabio (Maximilian Befort), der ebenso leicht zu haben wie schwer zu kriegen ist. In der Szene ist der abgebrühte Aufreißer für seine Kurzaffären berüchtigt. Zu ihm treibt Lukas weniger Zuneigung als das markige Auftreten. Er begehrt Fabios Körper, nicht sexuell, sondern für sich. Testosteron, dass Lukas spritzen muss, hat Fabio reichlich. Mit Lukas teilt er neben  privaten Heimlichkeiten auch eine uneingestandene Faszination für sein emotionales Gegenstück: Lukas.

Die feineren Emotionen in Sabine Bernardis Spielfilmdebüt lassen die „Romeos“ anklingen, ohne viele Worte darüber zu verlieren. Inszenatorische Zurückhaltung und Vagheit gleiten ineinander während die Motive zunehmend verschwimmen. Manchmal, weil sie die Figuren selbst über sie nicht im Klaren sind. Sehnsucht und Furcht vor physischer Nähe stürzen die Charaktere in ein emotionales Wechselbad. Ihr äußeres Selbstbewusstsein verbirgt innere Unsicherheit. Das sensible Low-Budget-Drama romantischer und freundschaftlicher Beziehungen erweitert das Thema jugendlicher Identitätsfindung um eine Facette, die ebenso vernachlässigt wie lohnend ist.

Oneline: Fremde Körper und fremde Gefühle.

Titel: Romeos Land/ Jahr: Deutschland 2011 Laufzeit: 94 Min. Regie: Sabine Bernardi Drehbuch: Jann Velber, Kristina Löbbert Kamera: Moritz Schultheiß Schnitt: Reanata Salazar Ivancan Musik: Roland Appel Darsteller: Rick Okon, Liv Lisa Fries, Maximilian Befort, Felix Brocke, Silke Geertz, Gilles Tschudi, Sigrid Burkholder, Tessa Lukat, Johannes Schwab, Ben Gageik, Ralf Rotterdam Verleih: Televisor Troika GmbH Kinostart: 8. Dezember 2011