Deutsche Juden1 TV1Erstmals im Fernsehen am Montag, 11. Oktober 2021

Margarete Ohly-Wüst

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - "Ich bin Jude. Was bedeutet das?", fragt sich Daniel Cohn-Bendit, der 4. April 2020 75 Jahre alt wurde. Der ehemaligen Pariser Studentenführer und Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament sieht sich vor allem als Europäer. Doch jetzt war es für ihn an der Zeit, sich auf eine persönliche Suche nach seinem eigenen Judentum zu begeben, denn sein Vater Erich Cohn-Bendit war Atheist, während seine Mutter Herta David eine engagierte Jüdin war.

Der Filmtitel spielt auf einen Solidaritätsruf während einer Pariser Studenten-Demonstration 1968 an, als Cohn-Bendit aus Frankreich ausgewiesen wurde.

Cohn-Bendit begibt sich zu erst einmal nach Frankreich, denn dort lebt sein neun Jahre älterer Bruder Gabriel. Der hat in Frankreich als Deutsch-Lehrer gearbeitet und hat sich nach dem frühen Tod der Eltern um den noch nicht volljährigen Bruder gekümmert. Während Gabriel kein Interesse an seiner jüdischen Vergangenheit hat, singt die ebenfalls interviewte französische Sängerin Talila (eigentlich Éliane Guteville), als Tochter polnisch-jüdischer Eltern bewusst jiddische Lieder.

Anschließend macht sich Cohn-Bendit auf den Weg nach Israel, um dort nach seiner jüdischen Identität zu suchen. Er macht allerdings deutlich, dass er doch einige Ressentiments gegen den heutigen Staat Israel hat. Sein Begleiter (und auch Dolmetscher) ist der israelische Friedensaktivist Ofer Bronstein.

In Israel trifft er auf Menschen, die ganz unterschiedliche Blicke sowohl auf das Judentum als auch auf den heutigen Staat Israel und seine Politik haben. Zu den Interviewten gehören Noemi, die nach Israel ausgewanderte Tochter von Ignaz Bubis, die Israelin Roba und die Palästinenserin Bushra, die beide Söhne während der Kampfhandlungen verloren haben, Bewohner einer illegalen jüdischen Siedlung im West-Jordanland und auch äthiopischen Juden, die am Rande der israelischen Gesellschaft leben, Probleme wegen ihrer dunklen Hautfarbe haben und die trotz allem stolz auf ihr Jahrhunderte langes Judentum sind.

Er besucht eine ultra-orthodoxe Schule und diskutiert mit den jungen Männern und er spricht mit einer jungen orthodoxen Frau, die erschrocken darüber ist, wie ein Cohn eine Nicht-Jüdin heiraten konnte. Aber er hat auch ein langes Gespräch mit einer Rabbinerin, die das orthodoxe Judentum für Frauen verachtend findet,

Er unterhält sich mit Palästinensern über die Probleme und Benachteiligungen, denen sie täglich ausgesetzt sind und zeigt auch, wie wenig Solidarität der Staat Israel für nicht jüdische Flüchtlingen hat.

Insgesamt glauben er und einige seiner Interviewpartner, dass die militärischen Unternehmungen des Militärs keine Sicherung der Grenzen Israels sind, sondern nur noch einer Verschiebung der Grenzen des Staates nach Osten dienen sollen. Als besondere Gefahr wird der Nationalismus gesehen.

Zum Schluss besuchen er und sein Freund auch noch die Ruinen von Masada, die an den Massenselbstmord im Jahr 73/74 beim Kampf gegen die Römer erinnern. Anschließend musste Cohn-Bendit feststellen, dass er seine eigene jüdische Identität nicht in Israel finden konnte.

Wieder in Frankfurt fragt sich Daniel Cohn-Bendit, für welche Identität sich wohl sein Enkel entscheiden wird, der Sohn seines Sohnes Bela und einer Frankfurterin mit christlich-eritreischen Wurzeln...


Deutsche Juden1 TV2Regisseur von "Wir sind alle deutsche Juden" ist der 1978 in Frankfurt geborene Niko Apel. Er hat Dokumentarfilmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und hat inzwischen schon einige abendfüllende Dokumentarfilme erstellt, die auch auf nationalen und internationalen Festivals viel Beachtung fanden. Die hier besprochene Dokumentation wurde in Französisch gedreht, dabei sind die von Daniel Cohn-Bendit gesprochenen Texte in Deutsch.

Trotz seiner ausgiebigen Reise nach Frankreich und Israel hat Cohn-Bendit zu Hause in Frankfurt immer noch keine Antwort auf die Frage gefunden, was ein Jude eigentlich ausmacht. Für sich selbst ist er zu der Erkenntnis gekommen, dass er als Jude lieber in der Diaspora und nicht in Israel leben möchte.

Der Film wurde bereits im Juni 2020 im französischen Fernsehen unter dem Originaltitel "Nous sommes tous juifs allemands" gezeigt. Seine deutsche Premiere hatte die Dokumentation am 6. September 2020 im Rahmen der jüdischen Filmtage in Frankfurt am Main.

"Wir sind alle deutsche Juden", der in Zusammenarbeit von Siècle Productions und dem NDR entstanden ist, wird jetzt als TV-Premiere am Montag, 11.10.2021 um 23:35 Uhr im Ersten gezeigt. Die spannende Dokumentation steht schon ab Freitag, 8. Oktober 2021 in der ARD Mediathek zur Ansicht bereit.

Diejenigen, die den Film bereits sehen konnten, waren von ihm begeistert. Dies gilt sowohl für Daniel Cohn-Bendits politische Freunde aus der linken und grünen Szene als auch von Mitgliedern verschiedener jüdischer Gemeinden. "Wir sind alle deutsche Juden" ist ein interessanter und kritischer Film, den man sich auch zu später Stunde nicht im Fernsehen entgehen lassen sollte.

Foto 1: Daniel Cohn-Bendit © NDR/Siècle Productions
Foto 2: Daniel Cohn-Bendit am Strand in Israel © NDR/Siècle Productions

Info:
Wir sind alle deutsche Juden (Frankreich 2020)
Originaltitel: Nous sommes tous juifs allemands
Genre: Dokumentation
Filmlänge: 73 Min.
Regie: Niko Apel
Drehbuch: Niko Apel, Daniel Cohn-Bendit
Mitwirkende: Daniel Cohn-Bendit u.a.
"Wir sind alle deutsche Juden" wird als TV-Premiere im Ersten am Montag, 11.10.2021 um 23:35 Uhr gezeigt.