Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie ist es zur Idee zu diesem Film gekommen, was war der Anfang von Ihrem gemeinsamen Projekt? Wie fing Ihre Auseinandersetzung mit der Frage nach Ihrer jüdischen Identität an?
Daniel Cohn-Bendit: Lange habe ich mich vor dieser Frage gedrückt, wie meine Frau, die selbst keine Jüdin ist, es ausdrückte. Im Laufe der Zeit, ja man kann sagen, mit zunehmendem Alter fing ich an, mich mit meiner jüdischen Identität auseinanderzusetzen und vor allem zu konfrontieren. Ich bin der Meinung, dass ich eine mir eigene singuläre Position habe. Dieser Film gab mir die Möglichkeit, mein "Outing" emotional und inhaltlich zu begründen.
Niko Apel: Dany fragte mich eines Tages: Es gibt da eine Anfrage aus Frankreich für einen Film und ich möchte gerne etwas über Israel machen, willst du die Regie übernehmen? Zunächst winkte ich ab. Israel schien mir als Filmthema gelinde gesagt etwas überstrapaziert. Was hätten wir über Israel oder erst recht den israelisch-palästinensischen Konflikt Neues erzählen können? Dann kam mir Danys Buchprojekt in den Sinn. Dany behauptet nämlich seit einiger Zeit, ein Buch zu seiner jüdischen Identität schreiben zu wollen. Ich bin nicht sicher, ob er bis jetzt eine einzige Zeile geschrieben hat... Aber im Ernst: Ihn beschäftigt die Frage in den letzten Jahren immer mehr, deshalb schlug ich vor, den Israel-Film mit der Suche nach seiner eigenen jüdischen Identität zu verbinden. So war von Anfang an klar, dass der Film aus einer ganz persönlichen, subjektiven Perspektive erzählt werden würde.
Im Film stehen die zahlreichen Begegnungen mit so unterschiedlichen Menschen – eine zionistische Siedlerin, eine Schülerin in der israelischen Schule für Geflüchtete – wertfrei nebeneinander. Welche Entscheidungen haben Sie hier getroffen, Herr Apel?
N. A.: Ausschlaggebend für die Auswahl der Protagonisten waren immer zwei Dinge: Erstens, verkörpert die Person eine neue Facette von jüdischem Selbstverständnis, die sie in den Film einbringen kann, und zweitens, bringt sie Dany bei seiner persönlichen Suche nach seiner Identität ein Stück weiter? Wir haben bei allen Figuren nach einem Anknüpfungspunkt zu Dany und seiner Geschichte gesucht. Wichtig war dabei, dass wir niemanden verurteilen. Protagonisten im Dokumentarfilm sind immer dann gut, wenn sie überraschen und keine "Thesenerfüller" sind. Die Siedlerin z. B., die politisch beinhart ist, erzählt leidenschaftlich gerne schmutzige Witze und hat mit Dany auf eine sympathische Art sehr offen diskutiert.
Bei dem Besuch im Kibbuz prallen die wiederholten Fragen zu den besetzten Gebieten bei Ihrem Gegenüber ab. Das Gespräch wird mehrfach aktiv unterbrochen. Wie sind Sie vorgegangen, wenn es um heikle Themen ging? Gab es auch Momente, in denen Sie in einer Sackgasse gelandet sind?
D.C.-B.: Nein, weil wir die Protagonisten für sich sprechen lassen wollten. Jede Begegnung war ein Teil eines Puzzles. Das Verweigern einer Antwort ist filmisch auch eine Antwort.
N. A.: Für mich bringt dieses Nicht-Antworten den Zustand der israelischen Mehrheitsgesellschaft bezüglich des Konfliktes perfekt auf den Punkt. Der Ex-General und Geheimdienstchef Ayalon drückt es später im Film noch einmal anders aus: "If you don’t care about the Palestinians, life is great!" (in Israel.)
Herr Apel, Sie sind nicht jüdisch. Herr Cohn-Bendit, Sie sind, soviel kann man schreiben, kein israelischer Jude. Wie hat sich das auf die Gespräche während der Reise ausgewirkt?
N. A.: Bei den Diskussionen um jüdische Identität war ich immer der Goi, der am Rande steht und staunt. Dieses "am Rande stehen" hatte bei den oft ausufernden Diskussionen für mich manchmal den Vorteil des besseren Überblicks. So habe ich dann versucht, den roten Faden des Filmes nicht zu verlieren und auch Dany dazu zu bringen. Ein bisschen wie ein Trainer, der am Rande steht und den Spieler immer wieder auf den Platz schickt, wenn er sich ausruhen will.
D.C.-B.: Ich war neugierig, wie ich reagieren würde in der Konfrontation mit so unterschiedlichen Juden. Die Auseinandersetzung mit meinem Bruder über unsere unterschiedlichen Ansätze, das Judentum zu denken, war längst überfällig. Die Begegnungen wurden zu einem Wechselbad der Gefühle: mal bis zu Tränen gerührt, mal erstaunt, mal verständnislos...
Am Ende der Reise treffen Sie in Ihrer deutschen Heimatstadt Frankfurt a.M. auf Ihre Familie. Herr Apel, hat der Film den Blick auf Ihren Stiefvater verändert? Herr Cohn-Bendit, inwiefern hat die Reise den Blick auf die eigene Lebensführung und die der Familie verändert?
N.A.: Dazu kenne ich Dany zu gut, also nein.
D.-C.B.: Meinen Blick auf meine eigene Lebensführung im Hinblick auf mein Judentum hat diese Reise, so spannend und beeindruckend sie für mich war, nicht verändert. Allerdings hat sie mein Selbstverständnis geschärft. Auswirkungen auf unser Familienleben hatte sie nicht. Allerdings waren sowohl meine Familie wie auch meine nichtjüdischen Freunde von unserem Film sehr beeindruckt. Das liegt vor allem an der einfühlsamen und prägenden Regie meines Stiefsohns Niko. Er hat die Fallstricke, die in einer solchen Reise angelegt sein können, mit Geduld und Sensibilität umschifft.
Zurzeit gibt es eine Debatte über das Zuschreiben und Absprechen der jüdischen Identität, u. a. durch die Aussage des Schriftstellers Maxim Billers, sein Kollege Max Czollek habe keine jüdische Identität. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es dieses Bedürfnis gibt, anderen ihre Identität zuzuweisen oder abzusprechen?
D.C.-B.: Diese Debatte ist mir fremd! Ich finde, dass die orthodoxe Definition des Jüdischseins (nur wenn die Mutter jüdisch ist, sind die Kinder jüdisch) längst obsolet ist. Zusätzlich sind in Zeiten des Identitätswahns solche Autoritären und verletzenden Zuweisungen einfach peinlich!
N.A.: Ich meine, dass dieses erstmal eine innerjüdische Debatte ist. Ich finde aber durchaus bemerkenswert, dass es in der deutschen Öffentlichkeit scheinbar ein riesiges Interesse daran gibt, wenn Juden sich streiten.
Foto: Daniel Cohn-Bendit © NDR/Siècle Productions
Info:
Wir sind alle deutsche Juden (Frankreich 2020)
Originaltitel: Nous sommes tous juifs allemands
Genre: Dokumentation
Filmlänge: 73 Min.
Regie: Niko Apel
Drehbuch: Niko Apel, Daniel Cohn-Bendit
Mitwirkende: Daniel Cohn-Bendit u.a.
"Wir sind alle deutsche Juden" wird als TV-Premiere im Ersten am Montag, 11.10.2021 um 23:35 Uhr gezeigt.
Abruck des Interviews aus der Pressemappe des NDR