Serie: Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 25. Dezember 2013, Teil 1

 

Corinne Elsesser

 

Frankfurt (Weltexpresso) – Dunkles Mittelalter im England des 11. Jahrhunderts. In einem Stadtteil Londons muss der kleine Rob Cole hart arbeiten für ein Stück Brot. Er verliert seine Mutter, die an einer nicht heilbaren „Seitenkrankheit“ leidet und schließlich im Beisein ihrer drei kleinen Kinder stirbt.

 

Die Geschwister werden an andere Familien gegeben, einen dritten hungrigen Mund kann man dort nicht noch füttern. So bleibt Rob allein zurück und läuft einem (eindrucksvoll von Stellan Skarsgård verkörperten) Bader nach. Mit rudimentären medizinischen Kenntnissen fuhren die Bader damals durchs Land und erfüllten ähnliche Aufgaben wie die Landärzte heute. Doch waren sie immer dem Verdacht der Scharlatanerie und Quacksalberei ausgesetzt.

 

Der Bader weist den kleinen Rob zunächst ab, doch dieser bleibt hartnäckig und reist schließlich mit ihm weiter. Er wird sein Assistent, weil er gelehrig ist und von einem großen Ziel getrieben wird. Er will herausfinden, was es mit dieser mysteriösen „Seitenkrankheit“ auf sich hat, die ihm seine Mutter nahm. In einer Stadt trifft der inzwischen jugendliche Rob (Tom Payne) auf geheimnisvoll kundige Juden, die den fast erblindeten Bader durch eine Augenoperation wieder sehend machen. Woher sie dieses Wissen haben, fragt Rob und erfährt von einem berühmten Arzt im fernen Orient, der solche Dinge lehrt. Und so macht Rob sich eines Tages mit dem Segen des Baders, der ihn nicht gern ziehen lässt, von Dover aus auf den weiten Weg nach Isfahan. Eine Reise durch die ganze zu jener Zeit bekannte Welt.

 

Mit dem Verlassen des alten Europa endet der erste Teil des Films. Der zweite Teil spielt bereits im persischen Isfahan, das Rob nach einer langen Reise mit dem Schiff und mit einer Karawane durch die Wüste erreicht.



Das 842 Seiten starke Buch von Noah Gordon, das 1986 unter dem Titel „The Physician“ herauskam und kurz darauf zu einem Bestseller avancierte (deutscher Titel: „Der Medicus“), musste auf Filmlänge zusammengeschmolzen werden. Kein leichtes Unterfangen. Zwar war eine Verfilmung seit Erscheinen des Buchs geplant, doch kam es zu keiner Verwirklichung. Der in Boston lebende Autor blieb gegenüber kommerziellen Angeboten zunächst reserviert. Als 2008 die Rechte wieder an ihn zurückfielen, nahmen Wolf Bauer und Nico Hofmann als Produzenten der UFA Cinema das Projekt in Angriff. Es entstand ein überzeugender, opernhaft inszenierter Spielfilm, der sich ganz auf die Person des Rob Cole konzentriert und dessen Lebensweg folgt.

Ex oriente lux. Das Licht naturwissenschaftlicher Erkenntnis kam im hohen Mittelalter aus dem Orient. Während in Europa die Wissenschaften der Antike weitgehend vergessen waren, wurden sie im Orient weiterhin gepflegt. Der Ruf des Heilkundigen Ibn Sina reichte weit über die Grenzen Isfahans hinaus. Im Abendland war er unter dem latinisierten Namen Avicenna bekannt.

Der Film ist eine Gratwanderung zwischen den Religionen. Im Orient trafen damals wie heute verschiedene Glaubensrichtungen aufeinander. Nicht immer verlief dies friedlich. Rob Cole musste Jude werden, denn Juden seien, so hörte er von den Ärzten in England, die einzigen, die von dem arabischen Stämmen geduldet würden. Als Christ dagegen hätte er keine Chance zu überleben. Aus diesen Konflikten bezieht der Film seine Aktualität. Doch scheinen die religiös motivierten Auseinandersetzungen oft sehr aus heutiger Sicht interpretiert. Man muss sich fragen, ob es schon damals jene fundamentalistischen Prediger gab, deren extreme Positionen Fronten schafften, die Verleumdungen, Hinrichtungen und Kriege nach sich zogen.



Der Triumph der Medizin in der Bekämpfung der Pest in Isfahan ist ebenfalls modern gesehen. Denn auch im wissenschaftlich aufgeschlossenen Orient kannte man damals ebensowenig wie in Europa den Floh als Überträger der Seuche. Dem Überschreiten ethischer Grenzen jedoch drohte hier wie dort die Todesstrafe. Als Rob wegen einer insgeheim vorgenommenen Obduktion zum Tode verurteilt wird, steht ihm Ibn Sina als sein Förderer und Lehrer zur Seite.



Tragische Momente wie diese wechseln mit eindrucksvollen Landschaftspanoramen. Ein Sandsturm in der Wüste oder eine vernichtende Eroberungsschlacht der - fundamentalistischen - Seldschuken gegen den Schah von Persien werden von Regisseur Philipp Stölzl grandios in Szene setzt. Er stellt sein Gespür für grosse epische Inszenierungen unter Beweis und macht kein Hehl aus Vorbildern wie „Der englische Patient“ oder „Lawrence von Arabien“.

 

Ben Kingsley überzeugt in der Rolle des Ibn Sina wie auch Tom Payne als Rob Cole. Mit letzterem wurde ein junger, noch wenig erfahrener Schauspieler für die Titelrolle engagiert. Paynes jugendliches Charisma ist es denn auch, das durch die Geschichte führt. Es entspricht aufs genaueste der Suche des Rob Cole nach neuen, noch nicht betretenen Wegen in der Medizin. So löste zum Beispiel der Blick ins Innere des menschlichen Leibes, das am Set so täuschend echt nachgebaut worden war, bei Payne einen ähnlichen Schauder aus, wie ihn wohl auch Rob Cole bei seinem ersten medizinischen Eingriff empfunden haben mag.



Der Schah von Persien dagegen scheint eher Kaiser Friedrich II. nachgebildet zu sein und deshalb aus einer anderen Zeit, nämlich aus dem 13. Jahrhundert, zu stammen. Wie der Schah in Isfahan hatte einst auch Friedrich II. den Austausch mit fremden Gelehrten gefördert und den Sarazenen in seinen Mauern Schutz geboten. Olivier Martinez wirkt in der Rolle des Schah eher wie ein Troubadour, der seine Macht zwar würdevoll zu gebrauchen weiß, aber immer ein wenig zu verspielt anmutet.



Der Medicus ist ein groß angelegter Spielfilm, der sich durch starke Bilder und eine hohe Qualität auszeichnet. Die Einstellungen sind sorgfältig strukturiert und bis ins Detail durchgestaltet. Selbst die Tricks und Visual Effects sind kaum auszumachen, wofür die Frankfurter Spezialisten von Pixomondo (Hugo Cabret) stehen, die ihre Arbeit subtil und unmerklich einzuflechten wissen. Ein Abenteuerfilm, dem man verzeiht, dass er den historischen Fakten nicht immer treu bleibt und zuweilen die literarische Vorlage neu schreibt.



 INFO:

Der Medicus, Regie: Philipp Stölzl, Deutschland, 2013

Basierend auf dem Roman „The Physician“ von Noah Gordon (deutsch: „Der Medicus“) 

Bilduntertitel:

Der Bader (Stellan Skarsgård) und Rob Cole (Tom Payne)