exground filmfest vom 12. bis 21. November in Wiesbaden, Teil 5
Claudia Schulmerich
Wiesbaden (Weltexpresso) – Ziemlich aufregend, einen Film, den man in der amerikanischen Originalversion – sowieso schwierig, echtes Amerikanisch, insbesondere mit ghanaischem Herkommen zu verstehen - schon gesehen hatte und der einem sehr gut gefallen hatte, ein zweites Mal mit deutschen Untertiteln zu erleben. Und am Schluß die Erkenntnis, daß man diesen Film auch ohne alle Worte versteht, weil sich organisch alles aus der Grundgeschichte entwickelt, was immer Kennzeichen eines guten Filmes ist.
Ein herzwarmer Film, ohne Kitsch, auch ohne Ethniekitsch, was immer eine Gratwanderung ist. Sarah Obeng( Nana Mensah), die in Manhattan wohnt, hat ein Promotionsstipendium und ist völlig auf Wissenschaft orientiert, hat seit drei Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten Professor ihrer Fachrichtung, wittert nun aber Land, weil Lyle (Adam Leon) eine Stelle in Ohio angenommen hat und sie mitgehen und dort mit ihm wohnen will. Mittenhinein kommt die Nachricht, daß ihre Mutter plötzlich verstorben ist. Das ist im Stadtteil Pelham Parkway in der Bronx, wo Sarah aufgewachsen ist, wohin sie mit der S-Bahn fährt - zu ihrer gegenwärtigen Welt, als ob tausend Kilometer dazwischen lägen. Denn dort ist auch die Community aus Ghana beisammen.
Mit der musikalischen Darbietung einer ghanaischen Gruppe, alles Schlaginstrumente, also stark rhythmisch geprägt, beginnt der Film und erst am Schluß wissen wir, daß diese die rituelle ghanaische Trauerfeier für die Mutter begleitete. Und bis dahin ist die geordnete US-akademische Welt von Sarah komplett durcheinander geraten und gleichzeitig ist sie auf dem Weg zu sich selbst angekommen.
Wir haben Sarah als eine schwarze junge Frau inmitten einer weißen Wissenschaftsgesellschaft kennengelernt, die großen Wert auf ihre geglätteten Haare legt, sich leger-elegant kleidet und das Weggehen nach Ohio mit ihrem weißen Liebhaber ihrer potentiellen Wissenschaftskarriere vorzieht. Nun muß sie das Begräbnis ihrer Mutter organisieren, ihren Vater,Godwin ((Oberon KA Adjepong, der von der Mutter längst getrennt wieder in Ghana lebt, informieren, der sofort anreist, und bei der Testamentseröffnung hören, daß sie die Erbin des christlichen Buchladens ihrer Mutter ist, vom Haus, in dem sie ihre Kindheit verbrachte, ganz abgesehen. Nein, der Vater will den Laden nicht, und der über und über, auch im Gesicht tätowierte Mitarbeiter ihrer Mutter, Pitt (sehr eindrucksvoll Meeko Gattuso ), einst im Gefängnis und nun christlich geläutert und der verstorbenen Mutter für ewig dankbar, geht durch das Dasein der Sarah vom Weiterbestehen des Buchladens aus, bzw. legt dies ihr ans Herz.
Sarah ist mit der Situation überfordert, hinzu kommen die Vorbereitungen für eine rituelle ghanaische Trauerfeier nachdem die ‚normale‘ Beerdigung nach der Einäscherung stattgefunden hat. Da erleben wir zum ersten Mal die weißen Nachbarn der Mutter, Tanya (Anya Migdal), Mutter der Kompanie einer ganzen russischstämmigen Familie, in der es rauf und runter geht, ein Hin und Her mit einer schwangeren Mutter, die einerseits kühl wirkt und dann mit vollem Herzen Sarah hilft, eine wunderbare unangepaßte Rolle und eine hinreißende Verkörperung durch Anya Migdal. Überhaupt wird Sarah langsam warm mit allen, am meisten mit Pitt, der nicht nur alles im Kopf hat, was zu tun ist, sondern auch die beliebten Kekse backt, die er in der Buchhandlung anbietet. Nach und nach verstehen wir, daß sie sich deshalb so gut verkaufen, weil sie glücklich machen, kein Wunder, der fromme Pitt hat ‚Gras‘ beimischt. Und weil sie sich so gut mit ihm versteht, kann sie ihm einfach nicht verraten, daß sie längst einen Immobilienmogul angeheuert hat, der ihr Geschäft verkaufen soll.
Auch mit ihrem Geliebten läuft es schlecht. Sie hatte sich um eine Wohnung für beide in Ohio bemüht, erfährt aber durch einen Anruf bei der Wohnungsvermittlung in Ohio, daß der gute Lyle nur für eine Person gemietet hat. In einem Café stellt sie ihn zur Rede, wobei klar wird, daß er nicht daran denkt, seine Frau zu verlassen und es ernst meint mit der Einzimmerwohnung. Sie verläßt ihn empört.
Dazwischen - und es sind die vielleicht stärksten Momente im Film, weil für uns völlig neu - kommt die ghanaische Community ins Spiel. Für die traditionelle Feier braucht die ständig westlich gekleidete Sarah ein buntes Kleid im ghanaischen Stil. Das Zusammensein mit Verwandten und Bekannten, was sie erst anstrengt, dann aber zunehmend ans Herz geht und der Zuschauer als traditionelle afrikanische Wärme wahrnimmt, verändert sie. Sichtbarer Ausdruck ihres neuen Selbst ist der Moment, wo sie ihre glatten langen Haare abschneidet. In den nächsten Szenen sehen wir sie mit krausem Haar, das wunderschön um ihren Kopf steht, wobei das rotgrundige Kleid mit den gebauschten Ärmel perfekt dazu paßt und auch der auffällige Goldschmuck an Hals und Armen aus ihr eine völlig andere Frau machen. Sarah versteht, daß sie sich nicht an amerikanische Verhältnisse anpassen muß, sondern sie selber werden kann. So kleine Feinheiten im Film sind dann zu konstatieren, daß sie erst jetzt, als sie ihre Wurzeln akzeptiert, auch heftig um ihre Mutter zu weinen beginnt. Bisher stand ihr Funktionieren im Vordergrund.
Diese andere Frau bleibt sie auch im weiteren Leben. Als ihr Deal mit dem Verkauf des Ladens auffliegt, bekommt sie erst recht ein schlechtes Gewissen gegenüber Pitt, mit ihrem Vater, der sich nur von ihr bedienen läßt, was er für typisch ghanaisch erklärt, überwirft sie sich, und als sie entdeckt, daß er in ihrem Haus mit einer anderen Frau rummacht, übernachtet sie bei der Nachbarsfamilie, wo sich gerade die Geburt ankündigt. Später geht der Vater von alleine. Nach all dem Trubel begreift sie nach und nach, daß es sie glücklich macht, mit Pitt im Laden sich auf die jeweilige Kundschaft einzustellen, Gespräche zu führen, in der Gemeinschaft in der Bronx zu leben. Längst hat sie dem Immobilienheini abgesagt und in der Schlußeinstellung sehen wir statt des alten Ladenschilds KING OF GLORY -BUCHLADEN das neue, daß „christliche Literatur und Backwaren“ ankündigt und eine glückliche Sarah und einen mächtig zufriedenen Pitt.
Im anschließenden Gespräch des Kurators mit der Kamerafrau Cybel Martin erfuhr man, daß der Film schon seit 2014 konzipiert war und letzten Endes mit Abständen über vier Jahre gedreht wurde. Sie selbst konnte am Schluß gar nicht mehr dabei sein, weil sie andere Verpflichtungen eingegangen war. Sie selbst – das frug ich sie danach – hatte keine Ahnung vom Preis der B3, Biennale des Bewegten Bildes, für diesen Film, der an die Regisseurin, Hauptdarstellerin und Produzentin des Films, Nana Mensah, ging, was man in einem direkten virtuellen Gespräch mit ihr auf der Leinwand des Astor in Frankfurt verfolgen konnte. Da wundert es einen schon, daß der amerikanische Gast davon keine Ahnung hatte. Denn sicher hätte ihr bei gutem Kontakt zur Regisseurin Nana Mensah diese vom Preis aus Frankfurt erzählt. Vom Preis der B3 aber wußte der Kurator, der ihn ihr erklärte, aber dies in der Öffentlichkeit unterlassen hatte, darauf hinzuweisen, daß der Eröffnungsfilm des 34. exground filmfests QUEEN OF GLORY Siegerfilm der B3 gewesen war und deshalb im Oktober als große Gala im Astor Frankfurt gezeigt wurde, mit vollem Saal übrigens und einem großen Fest danach, was angesichts der damaligen Coronazahlen möglich war.
Es war in Frankfurt auch deshalb eine andere Situation, weil eine Menge in Frankfurt lebender Ghanaer dabei waren, was ein ähnliches Gefühl ergab, wie die Frankfurter Premiere des deutschen Films LE PRINCE im Oktober, wo ein Kongolese die Hauptrolle spielt und man staunen konnte, wieviele aus dem Kongo stammende Frankfurter und Frankfurterinnen auftauchten und sofort die Veranstaltung bunter und herzlicher machten.
Aber selbstverständlich wäre es Sache von Andrea Wink gewesen, dies zu erwähnen. Es bleibt einfach unverständlich, warum es dem Wiesbadener Publikum verschwiegen wurde, daß der Film beim jüngsten B3-Festival den Hauptpreis in der Kategorie Spielfilm bekam. Wie gesagt, das ist unter Wert, ist provinziell und schwächt.
Hoffentlich kann man den Film auch bald in deutschen Kinos sehen. Dann hätte die Vorreiterrolle von B3 und exground filmfest eine handfeste positive Funktion für alle.
Und hoffentlich kann man von Nana Mensah bald Neues sehen und hören.
Fotos:
©Verleih
©Redaktion
Info:
Stab
Regisseur Nana Mensah
Drehbuch Nana Mensah
Kamera Cybel Martin, Jason Chau
Sound Design Anthony Thompson
Produzenten: u.a. Nana Mensah
Darsteller
Nana Mensah (Sarah Obeng)
Meeko Gattuso (Pitt)
Godwin ((Oberon KA Adjepong)
Lyle (Adam Leon)
Tanya (Anya Migdal)
https://weltexpresso.de/index.php/kino/23495-best-feature-film-queen-of-glory-von-nana-mensah-usa-2021-im-astor