belzsanchze Das ErsteSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. November 2021, Teil 10

Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch

Köln (Weltexpresso) – "...deshalb heißt es, der Mensch besäße kein eigenes und ihm angeborenes Bild, sondern viele, die von außen herstammen und zufälliger Art wären“, schrieb Pico della Mirandola in „Die Würde des Menschen“, einem Ursprungstext der Renaissance. Die Uffizien in Florenz haben in den letzten Jahren einen regelrecht explosionsartigen Anstieg an Besucherzahlen erlebt, der erst durch die Corona-Krise vorübergehend abgeebbt ist.

Warum einen Film über ein mehr als 500 Jahre altes Bürogebäude machen? Schon der Name „Uffizi“, Büros, klingt wie eine Räumlichkeit der Postmoderne. Während die Großindustrie zunehmend verschwindet, überlebt das Büro, und sei es in den eigenen vier Wänden. In diesen ab 1560 erbauten florentinischen Büros ist die Kunst zu Hause, das Erbe der Medici und zentrales Bildgedächnis der Renaissance, die wir den Beginn der Neuzeit nennen.

Immer wieder waren wir bei unseren Recherche- und Drehreisen erstaunt über die große Zahl junger Besucher, die sich vor den Bildern und Skulpturen drängten. Wenn sie die Meisterwerke mit offenem Blick betrachteten, war da, trotz der Unruhe um sie herum, oft ein Staunen, manchmal sogar Erschrecken, als würden sie in den Bildern ihren eigenen Sehnsüchten und unbewussten Ängsten begegnen. In solchen Momenten hatte man das Gefühl, dass nicht nur die Betrachter die Bilder anschauten, sondern umgekehrt auch die auf den Bildern dargestellten Menschen die Besucher. Dieser Blickwechsel, wie man ihn aus der Filmmontage kennt, überträgt sich hier jeden Tag in den musealen Raum. Hier ereignet sich seit Jahrhunderten ein Dialog, den die Künstlerin Louise Bourgeois einmal „the thrill of looking and beeing looked at“ genannt hat.

Claudio Di Benedetto, der Leiter der Bibliothek, fasst es so zusammen: „Es ist in gewisser Weise beunruhigend, genau zu wissen, dass die Bilder, mit denen wir uns beschäftigen, uns von oben herab betrachten, vielleicht sogar mit Verachtung. Denn sie sehen, wie wir uns abmühen, gefangen in der Gegenwart.“ Gerade aber die Kunst ermöglicht es dem Menschen, sich aus der Gegenwart zu lösen und eine Zeitreise anzutreten. Ob gegenständlich oder abstrakt: Kunstwerke geben unseren Phantasien eine Form, Geschichten und eine Projektionsfläche. Das Museum ist eine enge Verbündete des Kinos und nimmt filmische Erzählformen vorweg, wie schon in den mittelalterlichen Altarbildern.

Man spürt in den Gängen und Sälen der Uffizien, dass dieses Museum auch eine ständige Provokation und Überforderung für fast jeden Besucher darstellt. In dieser über den Lauf von fünfhundert Jahren gewachsenen Sammlung gibt es eigentlich von allem zu viel: zu viele großartige Künstler, Meisterwerke, Räume, Medici, Jahrhunderte, Schriften, Fragen; zu viele Aufgaben für die Mitarbeiter, die im Hier und Jetzt „den Laden am Laufen halten“.

Es geht uns um die Anstrengung aller. Ihnen, den Mitarbeitern der Uffizien und ihrem Direktor ist unser Film gewidmet. Wir folgen Eike Schmidt, den Architekten, den Führerinnen, der Assistentin, dem Hausmeister, dem Bibliothekar, der Restauratorin, den Malermeistern oder der Saalaufsicht bei ihren täglichen Aufgaben und behalten dabei immer auch die Bilder im Blick. Und so mischen wir uns wie der Flaneur der Großstadt immer wieder unter die Besucher und erkunden die Werke von Leonardo da Vinci, Michelangelo, Botticelli, Artemisia Gentileschi oder Caravaggio und Tizian. Es ist keinesfalls selbstverständlich, wie das Fotoarchiv der Uffizien beweist, und nur einer großen Anstrengung nationaler und internationaler Institutionen sowie dem Mut und der Besonnenheit vieler Einzelner zu verdanken, dass diese unvergleichliche Sammlung der Medici nach all den Kriegen und Machtwechseln überhaupt noch existiert. In Europa herrschte selten Frieden, und auch jetzt befinden wir uns in äußerst unruhigen Zeiten. Mit diesem Porträt des zweitältesten Museums der Welt und seiner Mitarbeiter möchten wir der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass trotz Krieg, Seuchen und Ignoranz am Ende nicht Mars, sondern immer wieder Venus das letzte Wort hat.


Foto:
©Das Erste

Info:
Ein Film von CORINNA BELZ und ENRIQUE SÁNCHEZ LANSCH
Mit EIKE SCHMIDT – Direktor Uffizien
ALBERICA BARBOLANI DA MONTAUTO – Referentin der Direktiom
CLAUDIO DI BENEDETTO – Leiter der Bibliothek
ANTONIO GODOLI – Leitender Architekt
NICOLA SANTINI – Architekt
ANTONY GORMLEY – Bildhauer, Turner-Preis 1994
OCEAN MIMS – Assistent von Antony Gormley
DEMETRIO SORACE – Verantwortlich für das Depot der Uffizien u.a.
96 Minuten
Anlaufen am 25. 11. 21

Abdruck aus dem Presseheft