Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Januar 2022, Teil 1
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Es wurde schon als das letzte verbliebene Rätsel des Revolutionskrieges beschrieben: Die Identität der geheimnisvollen Spionin, die man nur bei ihrem Decknamen „355“ kannte. Diese reale Agentin spielte eine tragende Rolle bei George Washingtons Spionageorganisation Culper Ring und half entscheidend mit, wichtige Informationen über britische Truppenbewegungen an die amerikanischen Generäle zu übermitteln. Der numerische Code war Teil eines ausgeklügelten Systems, das entwickelt worden war, um die Namen und Aufenthaltsorte all seiner Agenten geheim zu halten – was vorzüglich funktionierte.
Zu vorzüglich, wenn man so will. Hunderte Jahre später ist die wahre Identität der Frau weiterhin unbekannt. Ihre bahnbrechenden Leistungen sind indes unvergessen. Frauen, die heute als Professionelle in Geheimdiensten arbeiten, bezeichnen sich manchmal gegenseitig als „355“. Es ist der perfekte Titel für einen Film, der ein hochkarätiges Ensemble internationaler Schauspielerinnen in einem rasanten, den Erdball umspannenden Spionagethriller versammelt.
„Der Titel ist wirklich wichtig, weil es so viele Frauen gibt, die unermüdlich hinter den Kulissen gearbeitet haben und deren immense Beiträge niemals wirklich honoriert wurden“, sagt Jessica Chastain, die in THE 355 nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern auch eine der Produzentinnen des Films ist. „Selbst wenn man durch die Geschichtsbücher blättert, findet man nur selten Geschichten von Frauen und was sie geleistet haben. Dass wir den Film THE 355 genannt haben, ist ein Verweis auf die Frauen, die niemals anerkannt wurden. Er honoriert ihre Kraft, ihre Stärke, ihre Leistungen. Und er sagt: Danke!“
Die kosmopolitische Geschichte wirft ein Schlaglicht auf die ganz unterschiedlichen Talente einer eklektischen Mischung weiblicher Figuren, jede für sich eine begnadete Spezialistin auf einem speziellen Fachgebiet der Spionage, sei es nun Kampfeinsatz oder Außendienst, topmoderne technische Fertigkeiten, Treffsicherheit oder Psychologie. Als Kollektiv sind sie smart, klug und, wenn nötig, tödlich. Gemeinsam sind sie nicht zu stoppen.
Die Ursprünge des Filmes gehen zurück auf das Festival de Cannes im Jahr 2017. Jessica Chastain gehörte der Jury an (ebenso wie ihre künftige Ensemble-Kollegin Bingbing Fan), und ihr fielen all die Poster in der kleinen Fischerstadt an der Riviera auf, auf denen im Markt für kommende Actionfilme geworben wurde, in denen große und nicht so große Stars die Hauptrolle spielen würden – fast alle von ihnen Männer. Sie stellte sich die Frage, warum das so ist, wo es doch so viele großartige weibliche internationale Stars gibt. Warum hatte sich noch nie jemand die Mühe gemacht, sie zusammen in einem Film auftreten zu lassen?
Auf der Suche nach dem idealen Filmemacherpartner, der ihr helfen könnte, ihre Vision Realität werden zu lassen, wurde Chastain fündig bei dem Oscar©-nominierten Simon Kinberg, zu dessen Resümee als Autor/Regisseur/Produzent einige der größten Kinohits der letzten 15 Jahre zählen: MR. & MRS. SMITH („Mr. & Mrs. Smith“, 2005), SHERLOCK HOLMES („Sherlock Holmes“, 2009), CINDERELLA („Cinderella“, 2015), DER MARSIANER: RETTET MARK WATNEY („The Martian“, 2015), DEADPOOL („Deadpool“ 2016), LOGAN: THE WOLVERINE („Logan“, 2017) und zahlreiche Teile des X-MEN-Franchise. Als Jessica Chastain ihm von ihrer Idee erzählte, war Kinberg sofort Feuer und Flamme und erklärte sich bereit, den Film zusammen mit ihr und Kelly Carmichael zu produzieren und außerdem Regie zu führen. Zudem schrieb er das Drehbuch gemeinsam mit der preisgekrönten Dramatikerin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin Theresa Rebeck.
„Ich liebe Agentenfilme, und ich hatte lange schon darüber nachgedacht, wie man einen Film dieses Genres machen könnte, aber doch anders, frisch und modern“, sagt Kinberg, der schon bei DER MARSIANER: RETTET MARK WATNEY gemeinsam mit Jessica Chastain an einem Film gearbeitet hatte. „Jessicas Idee, einen Agentenfilm ausschließlich mit weiblichen Agenten, gespielt von einigen der größten weiblichen Stars der Welt, zu machen, fühlte sich absolut neu an – und zugleich total einleuchtend. Mein erster Gedanke war: Das hat bestimmt schon einmal jemand gemacht. Ich zerbrach mir den Kopf und ließ all die Agentenfilme, die ich in den letzten Jahren gesehen hatte, vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Und nein, das hatte noch keiner gemacht. Verrückt. Die Idee ließ mich nicht mehr los, und Jess und ich begannen, den Stoff miteinander zu entwickeln. Wir unterhielten uns über eine mögliche Geschichte, über die Figuren. Und dann redeten wir über Schauspielerinnen, die wir uns in diesen Rollen vorstellen konnten. Wir wollten, dass sich der Film international anfühlt, stark und echt.“
Stärke war ein zentrales Thema bei der Besetzung der Hauptrollen des Films. Die Filmemacher wandten sich an Frauen, mit denen Chastain schon lange hatte arbeiten wollen: Oscar©-Gewinnerin Penélope Cruz, Binbging Fan, Diane Kruger und Oscar©-Gewinnerin Lupita Nyong’o. Diese Frauen sollten nicht nur die Hauptrollen in THE 355 spielen, den Filmemachern war es vielmehr ein Anliegen, sie auch in den kreativen Prozess mit einzubinden.
„Ich habe immer sehr offen darüber gesprochen, wie Frauen in der Vergangenheit in der Filmbranche behandelt wurden – und weiterhin behandelt werden“, bemerkt Jessica Chastain. „Es war mir wichtig, einen Film zu machen, bei dem die Schauspielerinnen nicht einfach nur angestellt waren und dass die Entscheidungen nicht von irgendwelchen Leuten in einem Büro in Los Angeles getroffen wurden. Die Entscheidungen sollten tatsächlich die Kreativen am Set treffen.“
Es sollte ein Agentenfilm werden, wie es ihn noch nicht gegeben hat – und das nicht nur aufgrund des Geschlechts seiner Hauptfiguren. „Alle Figuren sind unglaublich mutig, geschickt und listig, und jede von ihnen hat ein ganz eigenes Motiv für die Dinge, die sie tut“, meint Mitautorin Theresa Rebeck. „Wir haben uns besonders darum bemüht, ihren jeweiligen persönlichen Geschichten eine Komplexität zu verleihen, wie man sie in Agententhrillern nicht allzu häufig sieht. Es machte außerdem Spaß, die vielen Möglichkeiten von Frauen zu untersuchen, in der Welt unterzutauchen. Man ist sehr mächtig, wenn man es beherrscht, unsichtbar zu sein. Diese Frauen wissen, was sie machen müssen, um gesehen zu werden. Und auch wie man nicht gesehen wird.“
Charakter, Realismus und Authentizität waren die Schlüssel zur Vision der Filmemacher. „Meine Lieblingsfilme sind geerdete, mutige Filme“, erzählt Kinberg. „Ich wollte an diesen Film so realistisch wie nur möglich herangehen, vor allem, was die Figuren, die Action und die Geschichte betrifft. Jeder emotionale Moment musste sich echt anfühlen. Jeder Moment voller Humor sollte von den Figuren ausgehen, und jede Actionszene sollte sich anfühlen, als würde sie so wehtun, wie es auch im echten Leben wehtun würde. Ich wollte, dass sich der Film mutig anfühlt, unkonventionell und cool.“
Diese präzise Ästhetik zeigt sich gleich in den ersten Minuten von THE 355, in denen das Publikum direkt in die Geschichte eintaucht mit einer visuell mitreißenden Verfolgungssequenz durch die labyrinthartigen Straßen und unterirdischen Korridore von Paris. Es geht los mit einem jungen Paar, das sich auf Hochzeitsreise in der Stadt der Liebe befindet. Unbeteiligte sehen Mace (Jessica Chastain) und Nick (Sebastian Stan) als Liebespaar, das nur Augen füreinander hat. Doch die vermeintlich frisch Vermählten sind in Wahrheit verdeckt ermittelnde CIA-Agenten auf einer wichtigen gemeinsamen Mission. Sie sollen in einem Straßencafé Kontakt zu Luis (Édgar Ramirez) aufnehmen und einen Rucksack sichern, in dem sich ein ganz besonderer Datenschlüssel befindet, mit dem man jedes geschlossene System des Planeten entsperren kann.
Aber die Operation läuft aus dem Ruder, als die raffinierte deutsche Agentin Marie (Diane Kruger) sich das Objekt schnappt und Luis panisch flieht. Während Nick sich ihm an die Fersen heftet, nimmt Mace die Verfolgung von Marie auf. Sie verlangt ihrem Körper alles ab, springt über Restauranttische und sprintet vorbei an Schaulustigen, um den Gegenstand wieder in ihren Besitz zu bringen, während Marie auf einem gestohlenen Motorrad durch die Fußgängerpassage rast. Schließlich führt die Jagd hinab in die Tunnel der Métro, wo sie den schnell vorbeifahrenden U-Bahn-Wagons ausweichen müssen.
„Diese knallharten Frauen fahren mit dem Motorrad durch Fußgängerpassagen und lassen sich von niemandem aufhalten – damit stellen wir gleich klar, dass es sich um einen großen, actiongeladenen, sehr intensiven Film handelt“, meint Produzentin Kelly Carmichael.
Schließlich können sich weder Mace noch Marie den Datenschlüssel sichern. Mace sieht sich gezwungen unterzutauchen, um ihre Mission doch noch zu erfüllen. Sie mag noch so gut ausgebildet sein, ihr wird schnell bewusst, dass sie ein Team mit unterschiedlichsten Fähigkeiten braucht, um ihre Aufgabe zu bewältigen. Schließlich schließt sie sich zusammen mit einer alten Verbündeten des MI-6, Khadijah Adiyeme (Lupita Nyong’o), Dr. Graciela Rivera (Penélope Cruz), einer Therapeutin des kolumbianischen Geheimdienstes, sowie Marie, während sie allesamt unbemerkt überwacht werden von der undurchschaubaren Lin Mi Sheng (Bingbing Fan). „Im Grunde geht es um fünf Figuren, die aufeinandertreffen, um schließlich so etwas wie eine Familie der Superagentinnen zu gründen; Spioninnen aus der ganzen Welt, die sich zusammenraufen, um gemeinsam nach einem Gegenstand zu suchen“, erklärt Simon Kinberg.
Kinberg, Chastain und Carmichael kamen ebenfalls zusammen, um ihrerseits ein außergewöhnliches Team zu bilden. „Jessica war die treibende Kraft und meine Kreativpartnerin“, erklärt Kinberg. „Von Anfang bis Ende hatte sie großartige kreative Ideen, sowohl als Schauspielerin wie auch als Geschichtenerzählerin. Sie ist mindestens ebenso beharrlich wie die Figur, die sie in THE 355 spielt. Wie ihre Figur kennt sie keine Grenzen. Sie ist stark, ehrgeizig, fokussiert und entschlossen – und für mich als Regisseur ist das die Art von Produzentin, mit der ich arbeiten will. Sie vermittelte allen Beteiligten das Gefühl, dass sie bei der Arbeit an diesem Film Partner waren. Sie verstand, dass es in diesem Film um etwas Bedeutsames geht – und er gleichzeitig Spaß macht, aufregend und spannend und überraschend und manchmal auch lustig, aber in gewisser Hinsicht auch tragisch ist. Und dass in ihm anstelle von fünf Männern fünf Frauen im Mittelpunkt stehen.“
Foto:
©Verleih
Info:
STAB
Regie Simon Kinberg
Drehbuch Theresa Rebeck, Simon Kinberg
Nach einer Idee von Theresa Rebeck
BESETZUNG
Mace/Mason Browne Jessica Chastain
Graciela Rivera Penélope Cruz
Lin Mi Sheng. Bingbing Fan
Marie Schmidt Diane Kruger
Khadijah Adiyeme Lupita Nyong‘o
Luis Rojas Édgar Ramirez
Nick Fowler Sebastian Stan
Elijah Clarke Jason Flemyng
Jonas Müller Silvester Groth
Larry Marks John Douglas Thompson
Grady Leo Staar