wannsseemit staatsobverPremiere des ZDF-Films "Die Wannseekonferenz" in Berlin
 
Romana Reich

Berlin (Weltexpresso) - Nein, wir finden das nicht zuviel, gleich viermal über das unterschiedliche Gedenken der Wannseekonferenz zu berichten. Das erste Mal war es die Ankündigung des Films und anderer Sendungen in der Mediathek des ZDF, das zweite Mal ist nun über die Premiere dieses Films zu berichten, zu dem Frank-Walter Steinmeier eine Rede hielt, die unten veröffentlicht ist. Ein drittes Mal geht es um die morgendliche Sendung heute und viertens kommt eine wichtige sprachliche, weil inhaltliche Korrektur hinzu.
 
In Anwesenheit des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier fand letzte Woche im Zoo Palast in Berlin die Premiere des ZDF-Films "Die Wannseekonferenz" statt. In seinem Grußwort betonte ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut die Bedeutung von zeitgemäßer Geschichtsvermittlung:

"Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF denkt knapp die Hälfte der Befragten, die meisten Deutschen damals hätten nicht so viel bis keinerlei Schuld an der Vernichtung der Juden getragen. Eine alarmierende Zahl, die uns als öffentlich-rechtliches Programm geradezu verpflichtet, weiterhin über die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuklären."

Anschließend sprachen der Bundespräsident sowie der Executive Producer von "Die Wannseekonferenz" und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Constantin Film, Oliver Berben. Anwesend waren neben Produzenten, Schauspielern, Drehbuchautoren und Regisseur auch Gäste aus Gesellschaft, Politik und Medien, darunter die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, Dr. Gideon Joffe, der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und ZDF-Programmdirektor Dr. Norbert Himmler.

Das ZDF zeigt den Film von Matti Geschonneck anlässlich des 80. Jahrestags der historischen Wannsee-Konferenz. Er steht im Zentrum eines Programmschwerpunkts zum Thema. Der Film schildert auf Grundlage des von Adolf Eichmann gezeichneten "Besprechungsprotokolls" das Treffen führender Vertreter des NS-Regimes am 20. Januar 1942 in einer Villa in Berlin-Wannsee. Thema war die Organisation des systematischen, millionenfachen Massenmords an den Juden in Europa, von den Nazis als "Endlösung der Judenfrage" bezeichnet.

"Die Wannseekonferenz" ist eine Koproduktion des ZDF mit Constantin Television. Das Drehbuch schrieb Magnus Vattrodt, inspiriert durch eine Vorlage von Paul Mommertz. Unter der Regie von Matti Geschonneck werden die Teilnehmer der Konferenz von Johannes Allmayer, Matthias Bundschuh, Maximilian Brückner, Fabian Busch, Jakob Diehl, Philipp Hochmair, Godehard Giese, Peter Jordan, Arnd Klawitter, Frederic Linkemann, Thomas Loibl, Sascha Nathan, Markus Schleinzer, Simon Schwarz und Rafael Stachowiak verkörpert.


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Premiere des Films "Die Wannseekonferenz" am 18. Januar 2022 in Berlin

Es ist ein beeindruckend guter Film, den wir gleich sehen werden – und ein schwer zu ertragender, ein verstörender Film. Was mit Unbehagen beginnt, wird zum Entsetzen, so jedenfalls erging es mir; ein Entsetzen, das noch anhält, wenn der Abspann lange vorbei und der Bildschirm schwarz geworden ist.
Wer dann – wie wir heute – aus dem Kino auf die Straße tritt oder im Fernsehen die Nachrichtensendung im Anschluss ansieht, bemerkt: Für einen irritierend langen Augenblick kommt einem die eigene vertraute Sprache unvertraut vor. Man misstraut ihr. Es beunruhigt, dass das Verwaltungsdeutsch, das im Film gesprochen wird, sich derselben Worte bedient, die man auch im Hier und Jetzt, auf der Straße oder im Fernsehen hört.

Woher rührt dieses Unbehagen, woher das Misstrauen?

Der Film zeigt die Arbeitsbesprechung hoher Polizei- und Verwaltungsbeamter des NS-Staates, die später als "Wannseekonferenz" zu einem Teil deutscher Geschichte werden wird. Er zeigt sie, wie sie stattgefunden haben könnte, denn was und wie tatsächlich gesprochen wurde, wissen wir nicht. Heydrich hatte im Auftrag von Göring zu einer "Besprechung mit anschließendem Frühstück" geladen. Es wurde vom Töten, Eliminieren und Vernichten gesprochen und dazu Cognac gereicht. Matti Geschonnecks Film ist eine in vielen Passagen wortgetreue, vielleicht die genaueste Adaption des Protokolls der Wannseekonferenz.

Was wir sehen und erleben, ist eine reibungslos funktionierende Verwaltungsmaschinerie, Ressortabstimmungen, Vorlagen und Abläufe, die sich –
abgesehen vom Inhalt der Besprechung – in nichts von denen unterscheiden, die es auch heute noch in Ministerien und Behörden gibt.Es ist das Gewöhnliche, das Vertraute, das uns anspringt, entsetzt und verunsichert. Was Geschonneck gelingt, ist eine Inszenierung der Banalität des Bösen.
Die Wannseekonferenz ist eine historische Momentaufnahme, sie zeigt den administrativen Hintergrund des Holocaust. Der Historiker Peter Klein versteht sie als Warnung auch an unsere modernen arbeitsteiligen Gesellschaften, deren bürokratische und politische Strukturen nur so lange gegen ihren Missbrauch gefeit sind, solange eine stabile demokratische Verfassung zwischen einer ebenso stabilen Regierung und
Verwaltung und dem ideologischen Abgrund steht.Wo sich diese Abgründe auftaten, ist im Protokoll der Wannseekonferenz vor allem an der Sprache abzulesen. Sprache ist ein Mittel der Identifikation ebenso wie der Distanzierung. Man kann sich durch Worte mit einer Sache gemein machen oder von ihr abrücken. Im Protokoll der Wannseekonferenz geschieht noch etwas weit Radikaleres.

Hier leugnet jedes Wort seine eigentliche Funktion. Es will nichts benennen oder bezeichnen. Es will Tatbestände verschleiern und Verantwortung in homöopathische Dosen auflösen. So wird aus der Besprechung, wie sie das Protokoll wiedergibt, eine seltsame, mitunter groteske Spiegelfechterei. Wer sich hier zu Wort meldet, will sich hervortun. Er will seinen Wert, seine Bedeutung und die seiner Behörde für den nationalsozialistischen
Staat mit eigenen Ideen und Vorstellungen geltend machen und voranbringen – und hält sich doch gleichzeitig mit Worten vom Leibe, worüber er spricht und woran er sich beteiligt.

Die Teilnehmer der Wannseekonferenz wussten ebenso gut wie wir es heute wissen, was sie nicht aussprechen wollten: dass der Gegenstand ihrer Beratungen die "restlose Ausschaltung der europäischen Juden" war, wie Joseph Goebbels nach der Lektüre des Protokolls in seinem Tagebuch notierte, die bis ins Detail geplante Ermordung von elf Millionen Menschen; sie wussten, dass dieses Vorhaben lange schon beschlossen war und
zum Zeitpunkt der Wannseekonferenz – vor allem nach dem Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion im Juni 1941 – bereits hunderttausendfach ins Werk gesetzt worden war.

Wer ein modernes Staatswesen und seine Verwaltung als regulierende und ausgleichende Instanz für einen zivilisatorischen Fortschritt hält, muss feststellen, dass die fünfzehn Seiten des "Ergebnisprotokolls" den in wohlgesetzte Worte gekleideten Rückfall eines Staates in die Barbarei belegen.
Es zeigt, wie Sprache selbst zu einem Mordwerkzeug wird. Sie dient gleichermaßen der Abstrahierung wie der Verschleierung des eigentlichen Vorhabens, damit der Völkermord, so beschreibt es Peter Klein richtig, "administrativ kommunizierbar" und damit "für die Verwaltung handhabbar wird". Sie ermöglichte es den vielen Namenlosen – vom Verwaltungsbeamten über Mitarbeiter in Reichskanzlei und Auswärtigem Amt, über den Polizisten bis zum Lokführer –, an der Deportation und Ermordung von Millionen Juden mitzutun, und entlastete zugleich ihr Gewissen. Sie machte aber auch Millionen Deutsche zu schweigenden Mitwissern.

Das Protokoll der Wannseekonferenz ist eine Tatwaffe. Die Schmauchspuren, die sie hinterließ, sind bis heute nachweisbar. Matti Geschonnecks Protagonisten agieren; nicht als Karikaturen von Nazi-Schergen, wie man sie aus manch anderen einschlägigen Filmen kennt, sondern als das, was sie vor 1939 waren und immerhin zwei von ihnen auch nach 1945 blieben: Juristen und Verwaltungsbeamte.

Gerhard Klopfer etwa, Leiter der Abteilung III in der Parteikanzlei, einer der einflussreichsten Beamten des NS-Staates an der Schnittstelle zwischen Partei und Staat. Im Wilhelmstraßen-Prozess behauptete er, auf der Wannseekonferenz sei ausschließlich über die "Auswanderung der Juden" gesprochen worden. Auf den Einwand der Anklagevertretung, "es scheint aber schon so, dass Ihnen damals ganz genau gesagtworden ist, was mit den Juden zu geschehen hat", antwortete er: "Ich weiß davon nichts."

"Ich habe davon nichts gewusst" – wie oft wurde diese Antwort nach 1945 gegeben. Wer sich die Frage stellt, was für Menschen die fünfzehn Männer der Wannseekonferenz waren, wird, nach dem Stand der Forschung, zu dem Schluss kommen: Männer, die im Staatsdienst Karriere gemacht hatten, ein repräsentativer Querschnitt der Verwaltungselite. Zehn waren Akademiker, neun der Fünfzehn hatten eine juristische oder staatswissenschaftliche Ausbildung. Acht waren promoviert. Ihr Selbstverständnis als Juristen vertrug sich problemlos mit dem nationalsozialistischen Rassegedanken, denn Ziel des Rechts und Ideologie des NS-Staates waren eben nicht die Gleichheit aller vor dem Gesetz und der Schutz des Einzelnen. "Recht ist, was dem Volke nützt" – das zielte auf Ausgrenzung, auf eine "rassische Auslese".

Die Verwaltungseliten durchliefen nach 1945 die für Beruf und Fortkommen nötige Entnazifizierung oft folgenlos und schützten sich gegenseitig vor Strafverfolgung – das ist ein bedrückendes Kapitel der deutschen Rechts- und Verwaltungsgeschichte. So stehen heute hochbetagte Handlanger des Holocaust vor Gericht, während nicht wenige ihrer Vorgesetzten zeit ihres Lebens für ihre Taten nie zur Rechenschaft gezogen wurden.

Wie konnte die Mordmaschinerie des Nationalsozialismus so perfekt funktionieren?
Und was bedeutet persönliche Verantwortung in einer Diktatur?
Das war ein Lebensthema von Hannah Arendt. Sie zeigt, dass totalitäre Systeme nicht allein mit dem absolut Bösen paktieren, nicht allein von Dämonen und Monstern getrieben werden, sondern dass in diesen Systemen so viele kleine Rädchen ineinandergreifen, bis die Verantwortung des Einzelnen unkenntlich geworden ist und kein Unrechtsbewusstsein mehr existiert. Die Banalität des Bösen ist die seelenlose Bürokratie einer Diktatur, die Herrschaft der Niemande.

Dass sich Gleiches nicht wiederholt, das ist die Absicht jeder Erinnerung an die Verbrechen des NS-Staates. In unserem demokratischen Staat trägt jeder Einzelne Verantwortung, auch Beamte und Beamtinnen in einer hierarchisch organisierten Verwaltung. Seien wir keine Niemande. Scheuen wir Verantwortung nicht. Auch nicht die, Nein zu sagen, wo es Recht und Mitmenschlichkeit gebieten.

Foto:
ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut, Elke Büdenbender und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Premiere des ZDF-Films „Die Wannseekonferenz“
© ZDF/Svea Pietschmann

Info:
Produzenten sind Reinhold Elschot und Friederich Oetker, Executive Producer ist Oliver Berben. Die Redaktion im ZDF liegt bei Frank Zervos und Stefanie von Heydwolff.

Der Film wurde gefördert vom FilmFernsehFond Bayern (FFF Bayern) und dem medienbord Berlin-Brandenburg (MBB). Den Weltvertrieb hat die Telepool in Zusammenarbeit mit dem Constantin Film Verleih übernommen.

Das ZDF sendet "Die Wannseekonferenz" am Montag, 24. Januar 2022, 20.15 Uhr. Im Anschluss folgt eine Dokumentation.

Berichte in WELTEXPRESSO, in denen auch auf die Folgesendungen verwiesen wird
https://weltexpresso.de/index.php/kino/24339-die-wannseekonferenz
https://weltexpresso.de/index.php/kino/24391-was-bundespraesident-steinmeier-zum-film-am-heutigen-abend-im-zdf-meint
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/24392-aus-dem-haus-der-wannsee-konferenz
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/24390-wessen-gedenkt-man-wenn-man-vieles-in-einen-topf-wirft