madchenSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Februar 2022, Teil 1

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) – Der Blick der Chronisten: Von Anfang an haben die deutschen Filmemacher den langsamen Wandel vom geteilten zum vereinigten Land und die damit verbundenen Schicksale von Verlierern und Gewinnern der Wende begleitet. Am direktesten wird dieses Lebensgefühl in der Tradition der DEFA Dokumentarfilme reflektiert, in den Filmen von Volker Koepp, Jürgen Böttcher, Andreas Voigt sowie Winfried und Barbara Junge, die dem Bruch zwischen den Zeiten in besonderer Weise nachspürten.

Mit ihrer Langzeitdokumentation über die 1961 eingeschulten Kinder von Golzow sollte eigentlich exemplarisch der Erfolg der DDR dokumentiert werden. Nach der Wende wurde dieses Projekt dann zu einem einzigartigen Dokument des Wandels, denn was viele gerne schnell vergessen oder verdrängen, ist hier auf Zelluloid gebannt, und erinnert häufig an ungelöste Probleme der Gegenwart. Alte Werte müssen sich an neuen Errungenschaften messen lassen, die Überzeugungen von damals an den Hoffnungen und Enttäuschungen von heute. Später wurde Thomas Heise zu einem der wichtigsten Chronisten der Nachwendezeit, mit Filmen wie STAU – jetzt geht’s los und zuletzt Heimat ist ein Raum aus Zeit.


Zwischen den Zeilen

Sehr häufig war das Lebensgefühl im Nachwende-Deutschland aber auch nur ein Nebenprodukt ganz anderer, universeller Geschichten von Liebe und Tod, übers Erwachsenwerden, über Existenzängste, über den Versuch, einen Platz im Leben zu finden. Wenn Tamara Milosevic in ihrer einstündigen Dokumentation Zur falschen Zeit am falschen Ort die Umstände des gedankenlos gewalttätigen Mordes am sechzehnjährigen Marinus in Pozlow untersucht, dann erzählt sie unweigerlich auch von Verlorenheit und Verzweiflung der ehemaligen DDR-Bürger. Und wenn Alrun Goette in Die Kinder sind tot den spektakulären Fall von zwei verdursteten Kleinkindern in Frankfurt/Oder aufrollt, dann hat die Überforderung der jungen Mutter eben auch sehr viel mit den deutsch-deutschen Umwälzungen zu tun, und mit der Nachwende-Verwahrlosung in ostdeutschen Plattenbauten.

Aber nicht nur in Dokumentarfilmen, sondern auch in unzähligen Spielfilmen über schwierige Lebensgeschichten gebeutelter Helden sickert immer wieder der Alltag im Nachwendedeutschland durch, beispielsweise wenn das junge Mädchen in Wahrheit oder Pflicht ein ganzes Jahr lang die Tage in einem stillgelegten Bus totschlägt, um zuhause nicht erzählen zu müssen, dass sie längst von der Schule geflogen ist. Wenn sich die junge alleinerziehende Mutter in Jena Paradies mehr schlecht als recht mit ihrem Sohn durchschlägt. Wenn der lungenkranke Bergarbeiter in Schultze gets the Blues in Louisiana den Blues findet oder die beherzte Kioskbesitzerin Heidi M. sich als warmherziges Zentrum im Mikrokosmos des Prenzlauer Berges behauptet. Oder auch wenn sich der Stahlarbeiter Karger nach seiner Kündigung lethargisch durch die Trümmer seines alten Lebens treiben lässt.


Die DNA der DDR

Ein großes Thema der Zeit ist die Arbeitslosigkeit, vor allem junge Filmemacher spüren der Lebenswirklichkeit resignierter aber auch zäh kämpfender Wendeverlierer nach, so wie Robert Thalheim in seinem Spielfilmdebüt Netto. Vordergründig erzählt der schnell, billig und spontan gedrehte Film eine ganz universelle Geschichte über die Entfremdung und Annäherung zwischen Vater und Sohn. Doch vor dem Hintergrund der Wende, geht es auch um einen jungen Mann, der schon im Westen angekommen ist und einen älteren, der von der Vergangenheit nicht loskommt. Anfangs sind es auffällig oft Regisseure aus dem Westen, die ein besonders feines Gespür fürs Lebensgefühl Ost entwickeln, ein gewisses Maß an Distanz begünstigt die Genauigkeit und Wachsamkeit des Blicks. Die eigene Fremdheit kompensieren die Filmemacher, indem sie wie Thalheim an Originalschauplätzen drehen und auf die OstErfahrungen ihrer Darsteller bauen. Das gilt auch für Dominik Grafs Ausflug ins Dresden der frühen Sechziger Jahre in Der rote Kakadu. Auch er setzte darauf, dass Schauspieler wie Ronald Zehrfeld, Max Riemelt und Devid Striesow durch ihre Kindheit im Osten des Landes sozusagen genetisch etwas von der DDR einbringen. In den Wochen vor dem Mauerbau ist in dieser lichten Sommerfantasie noch nichts zu spüren vom beklemmenden Grau der späteren DDR. Stattdessen weht ein flirrend romantischer Wind der Nouvelle Vague durch die Straßen, Parks und Wohnungen von Dresden, und durch das legendäre Bar-Restaurant Roter Kakadu, in dem es um die Konstellationen der Liebe geht, und ob man nun „wegmacht“ in den Westen oder nicht. Statt den Osten der frühen sechziger Jahre mit westdeutscher Arroganz zu rekonstruieren, hat Graf ihn mit dem Glanz seiner Jugendzeit-Utopien überstrahlt.


Therapie durch Komik

Während sich eine ganze Reihe von Regisseuren dem wahren Lebensgefühl Ost annähert, kommen am Ende des 20. Jahrhunderts die ersten Filme, die die DDR komödiantisch aufs Korn nehmen. Mit vergnügter Respektlosigkeit und bisweilen derber Komik nimmt Leander Haußmann in Sonnenallee den real existierenden Sozialismus aufs Korn: das absurde Ausmaß der Verbote, das spießige Verhalten der Durchschnittsbürger, das überzogene Autoritätsgehabe der Vopos, das Wunder eines einfachen Telefons und die Tücken eines sozialistischen Klapptisches, aber auch die Arroganz der Westler, die von den Aussichtstribünen über die Mauer in die DDR schauen, als wäre sie ein gigantischer Zoo. Ähnlich wie in der 2005 folgenden Militärklamotte NVA verarbeitet Haußmann die eigenen DDR-Erfahrungen.

Im Kontrast dazu hat der aus dem Westen stammende Wolfgang Becker in Goodbye Lenin! ein ziemlich aberwitziges Szenario entworfen, in dem sich Realität und Phantasie ebenso aneinander reiben wie die menschliche Tragödie an der luftigen Komödie: Eine aufrechte Sozialistin fällt nach einem Herzinfarkt und kurz vor der Maueröffnung ins Koma. Als sie Monate später wieder erwacht, hat sich die Welt um sie herum radikal verändert. Um ihr lebensgefährdende Aufregungen zu ersparen, setzen die beiden erwachsenen Kinder alles daran, inmitten einer im Umbruch befindlichen Welt ein museales Stückchen DDR zu erhalten. Als Folge der allgemeinen Wegwerf- und Erneuerungswut ist das mit schier unermesslichem Aufwand verbunden. Aus dem subversiven Spiel mit den Möglichkeiten der Manipulation entsteht ganz nebenbei so etwas wie der wahr gewordene Traum eines besseren Landes: „Irgendwie musste ich zugeben, dass sich mein Spiel verselbstständigte.“, sagt Daniel Brühl da: „Die DDR, die ich für meine Mutter erschuf, wurde immer mehr die DDR, die ich mir vielleicht gewünscht hätte.“

Foto:
© Wild Bunch Germany 2021

Info:
DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN
von Katharina Marie Schubert, D 2021, 107 Min.
mit Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Peter René Lüdicke, Jörg Schüttauf, Gabriela Maria Schmeide, Ulrike Krumbiegel
Drama / Start: 17.02.2022